Alexander Zick: Der Rattenfänger von Hameln. Kolorierter Kupferstich,1872. Aus: Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn, 1873.

Niedersachsen Die Sage einer Entführung: Der Rattenfänger von Hameln

Stand: 26.06.2024 00:00 Uhr

Heute vor 740 Jahren soll es passiert sein: Ein bunt gekleideter Rattenfänger entführte aus Rache alle Kinder der Stadt Hameln auf Nimmerwiedersehen. Die Sage ist in aller Welt bekannt, wurde in mehr als 30 Sprachen übersetzt.

Von Annette Volland

Bunting, so soll der Rattenfänger wegen seines bunten Gewandes geheißen haben, hatte den Auftrag, die Stadt von dem pelzigen Ungeziefer zu befreien. Er zückte seine Flöte und die Ratten folgten demütig seinem verführerischen Spiel. "Quiekend und glucksend verschwanden sie angeblich zuhauf in den Wellen der Weser auf Nimmerwiedersehen", heißt auf den Seiten der Stadt Hameln dazu.

Doch die Bezahlung für seine Dienste blieb aus. Man jagte den Flötenmann sogar aus der Stadt. "Um Gerechtigkeit betrogen, kehrte der Rattenfänger am 26. Juni 1284 nach Hameln zurück. Seine Rache war bitter: Er raubte der Stadt ihre Zukunft - ihre Kinder", heißt es. Der Mann lockte 130 Jungen und Mädchen mit seinem betörenden Flötenspiel aus der Stadt hinaus und verschwand mit ihnen in einem Berg. Nur ein stummes und ein blindes Kind kehrten zurück, alle anderen blieben für immer verschwunden.

In mehr als 30 Sprachen übersetzt

Die Sage aus Hameln ist in aller Welt bekannt. Erzählt von den Brüdern Grimm, wurde sie in mehr als 30 Sprachen übersetzt. Nach Schätzungen kennen sie mehr als eine Milliarde Menschen. Auch in fernen Ländern lesen Kinder in der Schule von dem Rattenfänger. Besonders Touristen aus Japan und den USA begeben sich in Hameln gern auf seine Spuren. Und sie werden fündig: Noch heute darf zum Beispiel in der Bungelosenstraße in der Altstadt aus Respekt vor den verlorenen Kindern keine Musik ertönen und nicht getanzt werden. Denn durch diese Gasse soll der Fremde mit der Flöte die Kinder einst aus der Stadt geführt haben.

Rattenfänger-Freilichtspiel

Von Mai bis Mitte September spielen etwa 80 Darsteller jeden Sonntag um 12 Uhr auf der Terrasse des Hochzeitshauses nach, wie es zum Auszug der Kinder kam. Das Stück dauert rund 30 Minuten und wird für Besucher kostenfrei aufgeführt. Im Anschluss können Interessierte noch an einer kostenpflichtigen Stadtführung mit dem Rattenfänger teilnehmen.

Rattenfänger in Literatur, Film, Musik ...

Die Geschichte über den Rattenfänger hat schon viele Künstler inspiriert. Auch Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), Robert Browning (1812-1889) und Berthold Brecht (1898-1956) schrieben über ihn Gedichte, Carl Zuckmayer (1896-1977) sogar ein Theaterstück. Der britische Sänger Donovan spielte 1971 in dem Film "The Pied Piper" (Der Rattenfänger) die Hauptrolle und komponierte die Musik dazu. Auch Hannes Wader schrieb 1974 ein Lied aus Sicht des Rattenfängers mit einer ganz eigenen Deutung der Ereignisse: Bei ihm machen die Kinder mit dem Rattenfänger gemeinsame Sache gegen die habgierigen Bürger der Stadt.

Der britische Liedermacher Donovan während der Dreharbeiten zu dem Film "Der Rattenfänger von Hameln" am 13. Mai 1971 in Rothenburg ob der Tauber.

1971 wurde die Geschichte vom Rattenfänger verfilmt - in Rothenburg ob der Tauber.

... und in der Kunst

Durch so ziemlich alle Epochen entstanden Gemälde und Stiche zum Thema. Herman Kaulbach (1846-1909) ist nur einer von vielen, die die Geschichte in Öl auf Leinwand festhielten. Um 1900 malte Oskar Herrfurth die Sage als Postkartenserie, es gab sie in dieser Zeit auch als Sammelbildchen zum Fleischextrakt. Inzwischen ist der Rattenfänger von Hameln mehrfach als Comic erschienen. Der Grafiker und Karikaturist Herbert Sandberg (1908-1991), ein in der DDR bekannter Künstler, schuf 1977 die Grafik "Der Rattenfänger" für seinen Zyklus "Über die Dummheit in Musik".

Herbert Sandberg: Plakat mit der Grafik "Der Rattenfänger" aus dem Zyklus "Über die Dummheit in Musik" (1977)

Immer wieder inspirierte der Rattenfänger Künster zu Bildern und Grafiken.

Ein wahrer Kern

Der historische Kern der Rattenfängersage konnte bis heute nicht sicher gefunden werden. "Niemand weiß genau, ob es sich wirklich so zugetragen hat oder ob es nur aus der Feder eines findigen Schreiberlings oder aus den Mündern geschwätziger Bürger stammt", so die Stadt Hameln heute. War es eine Auswanderung von Jung-Hamelnern, spielte die Pest eine Rolle oder beruht die Sage auf einem Kinderkreuzzug? Unter den vielen Erklärungsversuchen gilt heute der Hinweis auf die Auswanderungen gen Osten als am wahrscheinlichsten: Die "Kinder von Hameln" sollen Hamelner Jung-Bürger gewesen sein, die von Territorialherren zur Siedlung in Mähren, Ostpreußen oder Pommern angeworben wurden.

Cornelis Visscher (um 1619 - 1662) :Der Rattenfaenger", Kupferstich

Rattenfänger gab es in der Mühlenstadt Hameln tatsächlich.

Die "Kinderauszugs-Sage" wurde übrigens nicht gleich mit einer Rattenvertreibung verknüpft. Diese kam erst später dazu und bezieht sich mit Sicherheit auf die in der Mühlenstadt Hameln einst besonders bedrohliche Rattenplage und ihre Bekämpfung durch professionelle "Rattenfänger".

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Hallo Niedersachsen | 18.08.2016 | 19:30 Uhr