Eine Luftaufnahme zeigt die "Polarstern" in der inneren Pine Island-Bucht

Niedersachsen Forschungsreise in die Antarktis verspricht genauere Klimamodelle

Stand: 06.07.2024 08:18 Uhr

Der westliche Teil der Antarktis ist offenbar deutlich später entstanden als gedacht. Bohrkernproben des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven liefern neue Erkenntnisse - auch über die Zukunft der Erde.

Während die östliche Antarktis vor rund 34 Millionen Jahren entstand, bildete sich das Eis im Westen erst etwa sieben Millionen Jahre später. Das hat ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) mithilfe neuer Technik herausgefunden. "Das krempelt unser Wissen um die antarktische Erstvereisung komplett um", sagte Gerrit Lohmann, Paläoklimamodellierer am AWI. Das neue Wissen liefere aber nicht nur wichtige Erkenntnisse zur Vergangenheit, erklärte Johann Philipp Klages vom AWI gegenüber dem NDR Niedersachsen. "Mit dem neuen Wissen über die Geburtsstunde können wir deutlich mehr über das Schicksal der Antarktis in der Zukunft sagen", so Klages.

Klimawandel: Eis im Westen schmilzt schneller als im Osten

Durch den Klimawandel schmilzt das "ewige" Eis in der Antarktis. Forschern zufolge verschwindet das Eis im Westen aber offenbar deutlich schneller als im Osten. Warum, war bisher unklar, denn über die Entstehung der Antarktis vor rund 34 Millionen Jahren gab es nur wenige Erkenntnisse. "Wie, wann und vor allem von wo aus, war bisher noch nicht genau bekannt", sagte Klages. Es fehlten zuverlässige Daten und Proben vor Ort. Die neuen Forschungsergebnisse könnten nun die Erklärung liefern, warum Ost- und Westantarktis unterschiedlich auf die äußeren Einflüsse reagieren, so das AWI.

Forscher: Leichte Erwärmung reicht aus, damit Eis wieder schmilzt

Demnach entstanden die ersten Eiskappen offenbar nicht wie bisher angenommen in der Mitte, sondern im Osten der Antarktis. Zu dieser Zeit sei die Westantarktis zu großen Teilen von dichten Laubwäldern bedeckt gewesen und es herrschte ein kühl-gemäßigtes Klima. "Erst sieben Millionen Jahre später herrschten hier Bedingungen, unter denen sich ein Eisschild bilden konnte", erklärte Hanna Knahl, Paläoklimamodelliererin am AWI. Die Ergebnisse machten deutlich, wie kalt es dafür werden musste. "Eine leichte Erwärmung reicht schon aus, um das Eis der Westantarktis wieder zum Schmelzen zu bringen - und genau da befinden wir uns gerade", so Klages.

Bearbeitung der Bohrproben von J. Klages (AWI) und T. van de Flierdt (Imperial College London) im großen Nasslabor des FS Polarstern

Die Forscher Johannes Klages (AWI) und Tina van de Flierdt (Imperial College London) bearbeiten Bohrproben auf dem Forschungsschiff "Polarstern".

Viel genauere Klimamodelle möglich

Dank des neu gewonnenen Wissens könnten Klimamodelle künftig sehr viel genauer werden, heißt es vom AWI. Laut Klages markierte der Übergang von einem Treibhausklima in ein Eishausklima vor 34 Millionen Jahren den letzten fundamentalen Klimawandel auf der Erde. Im Eishausklima leben wir bis heute. Nun stehe die Erde vor dem nächsten grundlegenden Klimaveränderung, zumindest, "wenn wir weitermachen wie bisher", so der Forscher gegenüber NDR Niedersachsen. Den extremen Wandel von vor 34 Millionen Jahren zu verstehen, könne helfen vorauszusagen, welche Auswirkungen aktuelle Veränderungen in der Antarktis auf die globale Klimadynamik haben.

Gerenderte Grafik des MARUM-MeBo70, wie es auf dem Meeresboden des Amundsenmeeres landet.

Die Grafik zeigt das Bohrgerät MARUM-MeBo70, wie es auf dem Meeresboden landet.

Einzigartige Bohrkernanalyse lieferte Erkenntnisse

Grundlage für die neuen Erkenntnisse ist laut AWI ein "einzigartiger" Bohrkern aus der Westantarktis. Diesen hatten die Forscher bereits 2017 auf einer Expedition mit dem Forschungsschiff "Polarstern" mithilfe eines speziellen Bohrgeräts in zehn Metern Tiefe gezogen. Weil der Meeresboden dort stark verdichtet ist, war es nach Angaben des AWI vorher nicht möglich, tiefe Sedimente zu erreichen. Anhand von Computersimulationen wurden die neu gewonnenen Daten daraufhin mit bereits vorhandenen verknüpft. Die neuen Erkenntnisse zu gewinnen, sei "extrem aufwendig" gewesen, so Klages. 34 Forscher aus ganz Europa und den USA waren demnach über Jahre an dem Projekt beteiligt.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Niedersachsen 18.00 | 05.07.2024 | 18:00 Uhr