
Niedersachsen Nach 13 Jahren in Niedersachsen: Erste Reise zurück nach Syrien
Orwa Eyade kommt aus Syrien, vor 13 Jahren hat er zusammen mit seiner Frau das Land verlassen. Seit zehn Jahren leben beide in Braunschweig. Nun ist Orwa Eyade das erste Mal wieder nach Syrien gereist.
Orwa Eyade und seine Frau haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft und zwei kleine Kinder. Aufgrund der Sicherheitslage waren sie lange Zeit nicht nach Syrien zurückgekehrt. Doch durch den Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024 ist ein Urlaub in der Heimat wieder möglich. Im Februar ist Orwa Eyade dann das erste Mal zurück nach Syrien gereist - als Test zunächst allein.
Herr Eyade, Sie sind nach 13 Jahren das erste Mal zurück nach Syrien geflogen: Waren Sie aufgeregt vorher?
Orwa Eyade: Aufgeregt natürlich und auch gespannt. Ich wusste nicht, wie das Land nach 13 Jahren ist. Viele Freunde sind nicht mehr da wegen des Krieges. Es waren ganz unterschiedliche Gefühle. Ich habe meine Familie vermisst und mein Zuhause. Aber ich habe es auch vermisst, meine Sprache frei zu sprechen mit vielen Leuten, lachen, einen Witz erzählen können in meiner Muttersprache. Ich wollte dieses Gefühl nochmal haben.
Wie ist es für Sie, jetzt einfach wieder zum Urlaub nach Syrien fahren zu können?
Eyade: Es ist Freiheit. Wir leben endlich nicht mehr im Exil. Wir haben die Freiheit zu entscheiden, wo wir leben wollen. In Damaskus habe ich mich hingekniet und den Boden geküsst. Einmal aus einem religiösen Grund. Ich bin Gott sehr dankbar. Der zweite Grund war: Das ist mein Land. Hier bin ich aufgewachsen. Hier sind meine Wurzeln, meine Sprache, meine Freunde. Ich möchte den Boden einfach küssen, weil das mein Land ist, meine Heimat.
Sie haben dort am Flughafen auch Ihre Eltern wiedergesehen. Wie war das für Sie? Können Sie diesen Moment beschreiben?
Eyade: Ich bin sprachlos. Meine Mutter ist die Frau, die ich kenne. Aber meinen Vater kenne ich von früher eigentlich nur als sehr starke Person. Ich habe ihn in den Arm genommen und hatte seinen Kopf in meiner Hand, genau wie bei einem Kind. Dabei kenne ich ihn nur sehr stark. Ich habe dafür keine Worte.
Waren Sie auch in Ihrem alten Zuhause?
Eyade: Nein, der Ort, wo wir gelebt haben, ist durch den Krieg zerstört. Meine Eltern sind umgezogen. Also kannte ich ihr jetziges Haus noch nicht. Aber sofort, als ich ins Haus meiner Eltern gekommen bin, habe ich meine Mutter geschmeckt, gefühlt, gespürt. Einfach durch das, was das Haus ausstrahlt, die Art, wie es eingerichtet ist. Ich kenne das. Dieses Gefühl konnte ich selbst zuerst für eine Stunde nicht glauben.
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Ist das Land sehr zerstört?
Eyade: Ich war vor allem in Damaskus und das hat mich überrascht. Die Gebäude sind dort noch relativ heile. Das Problem ist, dass es keine Polizei auf der Straße gibt. Das heißt, es ist chaotisch. Außerdem fehlt Infrastruktur. Es gab keinen Strom, so dass die Menschen Diesel-Generatoren benutzen müssen. Das riecht schlecht.
Was war für Sie das schönste Erlebnis auf Ihrer Reise?
Eyade: Ich habe meine Frau damals in Syrien in einem kleinen Café im alten Damaskus kennengelernt. Auf meiner Reise bin ich wieder dorthin gegangen. Das war der beste Moment für mich. Meine Mutter war dabei. Ich habe meinen Kaffee bestellt, türkischen Kaffee mit Wasser. Ich mag das Wasser in Damaskus. Es ist ganz spannend für mich, zurückzukommen zu meinem Lieblings-Café.
Gab es etwas, das Sie überrascht hat?
Eyade: Das Flugzeug nach Damaskus war komplett ausgebucht. Während der Reise hatte ein Kleinkind Probleme mit dem Blutdruck. Als gefragt wurde, ob es einen Arzt an Bord gibt, gingen 23 Hände hoch. Ich habe sie gezählt. 23! Da habe ich mich gefragt: Wenn wir in nur einem Flugzeug 23 Ärzte sind - was gibt es dann noch in Syrien?
Da sprechen Sie die vielen syrischen Fachkräfte an, die inzwischen auch in Deutschland leben. Hier wird viel darüber diskutiert, wie es mit denen weitergeht. Sie sind als Dozent an der Uni Hildesheim selber eine dieser Fachkräfte. Was denken Sie über diese Diskussion?
Eyade: Ich fühle mich traurig. Denn in dieser Diskussion geht es nur um Syrer als Arbeitskräfte. Für mich ist Deutschland aber nicht nur ein Ort zum Arbeiten oder ein Land, das mir ein Gehalt zahlt. Ich sehe Deutschland nicht als Firma, sondern als meine Heimat, zu der ich gehöre. Deutschland ist ein Teil von mir. Ein Beispiel dafür: Die ersten Worte meiner Kinder waren auf Deutsch. In der arabischen Kultur sagt man: Wer vierzig Tage unter einem Volk lebt, wird ein Teil von ihr. Wir sind auch Menschen und haben unser Leben hier. Wir gehören jetzt zu Deutschland. Ich selber habe meine Mentalität geändert. Ich könnte gar nicht einfach nach Syrien zurückgehen und dort bleiben. Denn mein komplettes Leben hat sich geändert: meine Arbeit, meine Freunde, meine Hobbys, meine Kollegen. Ich bin jetzt einfach Braunschweiger.
Also denken Sie nicht darüber nach, zurückzugehen?
Eyade: Aktuell nein. Ich habe zwei kleine Kinder. Die kennen Syrien nicht. Was wir als Familie jetzt brauchen, ist Stabilität. In Syrien fehlt die Infrastruktur. Das zweite ist die Sicherheitslage. In Damaskus ist alles gut. Aber wie es draußen ist, weiß ich nicht. Das Land braucht Zeit und Hilfe von der internationalen Gemeinschaft. Aber wenn die Situation bereit für mich ist, habe ich in Syrien auch eine Rolle. Dann helfe ich gerne meinem Land. Heimat ist Heimat. Ich habe dort ja auch viele Erinnerungen und meine Familie.
Jetzt waren Sie zwei Wochen in Syrien. Wie fühlt es sich an, zurück zu sein?
Eyade: Nach einer Woche in Syrien habe ich Deutschland vermisst. Hier ist auch meine Heimat. Ich bin sehr glücklich. Ich habe zwei Länder, zweimal Freundschaften, zweimal Nachbarn und Kollegen.
Das Interview führte Kristin Haefemeier, NDR.de.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Funkbilder - der Tag | 28.03.2025 | 16:00 Uhr