Türschild der Staatsanwaltschaft Hannover.

Jurist in Untersuchungshaft Staatsanwalt als Informant für Kokainmafia?

Stand: 01.11.2024 20:15 Uhr

Ein Staatsanwalt aus Hannover soll vertrauliche Informationen an die Kokainmafia weitergeleitet haben. Recherchen von NDR und "Süddeutscher Zeitung" zeigen: Der Mann war offenbar schon länger verdächtig.

Von Reiko Pinkert und Benedikt Strunz (NDR)

Es ist ein Schriftstück, das zahlreiche Fragen aufwirft. Ende November 2022 fertigt eine Richterin am Landgericht Hannover einen Vermerk an, der sich aus heutiger Sicht verstörend liest. Es geht um das größte Kokainverfahren, das zu diesem Zeitpunkt jemals in Deutschland verhandelt worden ist. Mehr als ein Dutzend Männer stehen in Verdacht, 16 Tonnen Kokain nach Deutschland geschmuggelt zu haben. In dem Vermerk hält sie fest, was sie damals überrascht haben wird: Kurz vor Beginn der Hauptverhandlung meldeten sich die Anwälte eines Angeklagten bei ihr. Deren Mandant, Jonas H., habe ihnen gegenüber LKA-Beamte und auch einen Staatsanwalt belastet. Diese sollen der Drogenbande Informationen aus dem Ermittlungsverfahren gesteckt haben, gegen Geldzahlungen.

Zahl der Kokain-Delikte in Niedersachsen steigt deutlich

War das Justizministerium informiert?

Besonders heikel ist der Vorgang, weil es sich dabei nicht um irgendeinen Staatsanwalt handelt, sondern um einen der Staatsanwälte, die für das 16-Tonnen-Verfahren verantwortlich sind. Ihr Mandant Jonas H. solle diese Informationen auch an die Polizei weitergegeben haben, sagten die Anwälte. In dem Vermerk der Richterin heißt es weiter, dass die Anwälte auch einen Abteilungsleiter im niedersächsischen Justizministerium über die Vorwürfe informiert hätten. Und dass ihr Mandant die Teilnahme des Staatsanwaltes an der Hauptverhandlung "bedenklich" finden würde.

Informationen von "Cop" und "Coach"

Die Vorwürfe, die Jonas H. im Sommer 2022 erhebt, kommen nicht von ungefähr. Das zeigen unter anderem auch die Chats, in denen sich die Täter unterhielten und die von den Ermittlern ausgewertet wurden. Immer wieder ist in den vertraulichen Nachrichten davon die Rede, dass Mitarbeiter der niedersächsischen Strafverfolgungsbehörden die Gruppe über die Ermittlungen informieren würden, beispielsweise darüber, wer im Fokus der Ermittler steht. Die Informationen sollen von "Cop" und "Coach" stammen, aber auch von "Boxer", der oft mit "Coach" zu tun habe. An einer Stelle werden die Kriminellen konkreter. "Eine statssnwalt den die kenne hat gesagt" … "Er ist korrupt Ist von Hella Engel“ (sic!), heißt es in dem Chat. Mit Hella Engel ist offenbar die Rockergruppe "Hells Angels" gemeint.

"Hannover-Connection" war stets im Bilde

Der Beschuldigte Jonas H. wird der Polizei gegenüber konkreter. In Untersuchungshaft berichtet er einem Polizisten, dass "ein Mitarbeiter aus dem IT-Bereich der Polizei Informationen an die Gruppierung (…) zu anstehenden Durchsuchungen weitergegeben habe", heißt es in dem Urteil gegen H. Außerdem habe "der sachbearbeitende Staatsanwalt (…) in der Vergangenheit ebenfalls Informationen an die Gruppierung (…) weitergebeben (…) und (…) hierfür im Gegenzug Geldzahlungen erhalten". Tatsächlich geht aus den Chats der "Hannover-Connection" hervor, dass die Bande über konkrete Ermittlungsergebnisse informiert war. Am Tag der Razzia gegen die Bande hatten sich zahlreiche Beschuldigte, darunter auch die mutmaßlichen Köpfe der Gruppe, ins Ausland abgesetzt. Drei von ihnen sollen sich bis heute in Dubai aufhalten.

Staatsanwalt ein Maulwurf der Kokainmafia?

Doch kann es wirklich sein, dass ausgerechnet ein Staatsanwalt aus Hannover als Maulwurf der Kokainbande fungierte? Dies werden nun die weiteren Ermittlungen zeigen müssen. Weder der Anwalt des Mannes noch das niedersächsische Justizministerium wollten sich zu Details äußern. Doch offenbar hält man bei der Staatsanwaltschaft Hannover die Vorwürfe gegen den eigenen Mitarbeiter nicht für gänzlich unbegründet. Dies könnte auch damit zu tun haben, dass der Staatsanwalt offenbar nicht das erste Mal in den Fokus von Korruptionsermittlungen gerückt ist. Das geht aus weiteren Unterlagen hervor, die NDR und SZ einsehen konnten. Im Sommer 2022 führte demnach das Landeskriminalamt in Hannover ein Ermittlungsverfahren gegen einen hannoverschen Kampfsporttrainer wegen des Vorwurfs der "Bestechlichkeit/Geheimnisverrats". Dabei waren die Ermittler auch auf "enge Verbindungen" zwischen dem Boxer und dem jetzt festgenommen Staatsanwalt gestoßen.

Verdächtiger tritt weiter als Ankläger auf

Aufgrund des "- wenn auch geringen - Anfangsverdachts" leitete der zuständige Staatsanwalt bereits zu diesem Zeitpunkt ein verdecktes Ermittlungsverfahren gegen den Staatsanwalt ein, um drei ungeklärte Geldzahlungen aufzuklären. Hinzu kamen zu diesem Zeitpunkt die Anschuldigungen von Angeklagten, der Staatsanwalt habe Informationen aus dem 16-Tonnen-Verfahren gegen Geld an die Organisierte Kriminalität verraten. Im Winter 2022 wurde letztlich ein Durchsuchungsbeschluss gegen den Staatsanwalt vollstreckt. Im Zuge dessen konnten die Zahlungen aufgeklärt werden, auch führte die Sichtung der Asservate nicht zu einer Erhärtung des Verdachts. Es bleibt erstaunlich, weshalb der Mann - trotz laufender Ermittlungen gegen ihn - dennoch in dem Hauptverfahren um die "Hannover-Connection" als Ankläger auftreten konnte. Offenbar befürchtete man in den zuständigen Behörden zu diesem Zeitpunkt, dass hinter den Vorwürfen ein gezielter Diskreditierungsversuch der Angeklagten stecken könne.

Auch hier gilt die Unschuldsvermutung

Oliver Huth vom Bund Deutscher Kriminalbeamter weist darauf hin, dass natürlich auch in diesem Verfahren die Unschuldsvermutung gelte. Sollten sich die Vorwürfe allerdings bestätigen, wäre das "ein schwerer Schaden für die deutsche Justiz". Es müsse jetzt alles auf den Tisch, dazu gehöre auch, "bereits abgeschlossene Verfahren des Beschuldigten auf Auffälligkeiten" zu überprüfen. Huth rät zudem dazu, dass eine externe Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernehmen solle.

Staatsanwalt sitzt in Untersuchunghaft

Das Justizministerium Niedersachsen wollte sich nicht zu Details äußern, erklärte aber allgemein, man nehme die "schwerwiegenden Vorwürfe gegen einen Bediensteten der Staatsanwaltschaft Hannover sehr ernst". Es sei nun von größter Bedeutung, dass die Staatsanwaltschaft Hannover den Sachverhalt "zügig und lückenlos" aufklärt. Zudem kündigte das Ministerium an, in der kommenden Woche den zuständigen Ausschuss über Einzelheiten des Verfahrens zu unterrichten. Gegen den Staatsanwalt ist am Dienstag ein Haftbefehl erlassen worden. Er sitzt nun wegen des Verdachts auf Bestechlichkeit in besonders schwerem Fall sowie wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat und Strafvereitelung im Amt in Untersuchungshaft.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 01.11.2024 | 20:00 Uhr