Christian Lindner gibt seine Entlassungspapiere ab

Nordrhein-Westfalen Aus der Ampel wird Rot-Grün und Lindner ist nun Ex-Minister

Stand: 07.11.2024 10:38 Uhr

Die Ampel-Koalition ist zerbrochen. Bundespräsident Steinmeier hat den FDP-Ministern ihre Entlassungsurkunden überreicht. Verkehrsminister Wissing tritt aus der FDP aus und will im Amt bleiben. Bundeskanzler Scholz hat angekündigt, im Januar im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat nach dem Bruch der Ampel-Koalition gesagt, dass jetzt alle Verantwortung übernehmen müssten. Es sei nicht die Zeit für "Taktik und Scharmützel". Bundeskanzler Scholz hatte ihn gestern Abend um die Entlassung Lindners gebeten.

Scholz sagte in einem Pressestatement, zu oft habe Lindner sein Vertrauen gebrochen. Dem FDP-Chef gehe es um die eigene Klientel und das kurzfristige Überleben der eigenen Partei. Solch ein "Egoismus" sei vollkommen unverständlich - gerade an einem Tag wie diesem. Der SPD-Politiker bezog sich dabei auf den Sieg Donald Trumps bei der US-Wahl.

Lindner wirft dem Kanzler "kalkulierten Bruch der Koalition" vor

Christian Lindner gibt ein Statement

Christian Lindner gibt dem Bundeskanzler Schuld an Ampel-Aus

FDP-Chef Christian Lindner warf Scholz vor, ihn unter Druck gesetzt zu haben, die Schuldenbremse auszusetzen. Dem habe er aber nicht zustimmen können, "weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte". Daraufhin habe Scholz die Zusammenarbeit mit ihm und der FDP aufgekündigt, so Lindner.

Der FDP-Chef ergänzte, er habe einen gemeinsamen Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen, "um geordnet und in Würde" eine neue Bundesregierung zu ermöglichen und um die Handlungsfähigkeit des Landes zu jedem Zeitpunkt zu garantieren. Das habe Scholz aber "brüsk" zurückgewiesen. Der Kanzler habe mit seinem "genau vorbereiteten Statement" einen "kalkulierten Bruch der Koalition" herbeiführen wollen.

FDP-Minister legen Ämter nieder – Wissing tritt aus Partei aus

Aus Solidarität mit ihrem Parteichef kündigten die FDP-Minister daraufhin an, sich aus ihren Ämtern zurückzuziehen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Finanzminister Christian Lindner, Bundesjustizminister Marco Buschmann und der Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger heute ihre Entlassungsurkunden ausgehändigt.

Einer tanzt aus der Reihe: Verkehrsminister Volker Wissing will trotz des Bruchs der Ampel-Koalition Bundesverkehrsminister bleiben und tritt aus der FDP aus. Er wolle nicht in eine andere Partei eintreten, sagte Wissing in Berlin.

Jörg Kukies ist neuer Finanzminister

Zusätzlich zum Verkehrsministerium übernimmt Wissing ab sofort auch das Justizministerium von seinem ehemaligen Parteikollegen Marco Buschmann (FDP).

Neu ernannter Finanzminister Jörg Kukies (SPD)

Jörg Kukies (SPD) wurde zum neuen Finanzminister ernannt.

Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) wird zusätzlich das Bildungsministerium führen. Auch ein Nachfolger für Lindner ist bereits gefunden: Jörg Kukies (SPD) ist neuer Finanzminister. Er war bislang Staatssekretär im Kanzleramt und wurde am Nachmittag vom Bundespräsidenten ernannt.

Vizekanzler Habeck: Ampel-Aus fühlt sich falsch an

Vizekanzler Habeck von den Grünen erklärte in einem gemeinsamen Statement mit Außenministerin Baerbock, notwendig gewesen wäre nach dem Sieg Donald Trumps in den USA vor allem eine stärkere Unterstützung der Ukraine. Habeck pochte auch auf zusätzliche Anstrengungen für sozialen Frieden sowie die wirtschaftliche und ökonomische Erholung des Landes. Darauf habe man sich nicht verständigen können, sagte er mit Blick auf Lindner.

Der Bruch des Regierungsbündnisses mit SPD und FDP fühle sich an einem Tag wie diesem falsch und geradezu tragisch an, ergänzte Habeck. Man wolle nun zügig den Weg zu geordneten Neuwahlen freimachen und aus dem Amt heraus Stabilität geben.

Scholz will Vertrauensfrage stellen - Neuwahl im März möglich

Olaf Scholz hält eine Mappe in den Händen im Bundeskanzleramt

Bundeskanzler Olaf Scholz am Abend bei den Koalitionsbesprechungen im Kanzleramt

In der ersten Sitzungswoche des Bundestags im neuen Jahr will Scholz dann die Vertrauensfrage stellen. Der Bundestag soll am 15. Januar darüber abstimmen. Eine mögliche Neuwahl könnte dann spätestens bis Ende März stattfinden, sagte Scholz. Der Opposition und für Vertreter der Wirtschaft ist das zu spät.

CDU-Chef Friedrich Merz und mehrere Unionspolitiker pochen auf eine baldige Neuwahl. Die AfD-Fraktionschefs Weidel und Chrupalla begrüßten den Koalitionsbruch als "Befreiung für Deutschland" und auch die Linken zeigen sich offen für Neuwahlen.

Sondersitzung von CDU und CSU in Berlin

Der Unions-Kanzlerkandidat traf sich am Morgen mit den Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU zu einer Sondersitzung. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst verzichtet angesichts der Sondersitzung auf eine Reise nach Polen. Die Unions-Bundestagsfraktion will prüfen, welche Gesetzesprojekte sie bis dahin noch mit verabschieden könne, kündigte Merz nach dem Treffen an.

Der CDU-Chef reagierte damit auf die Ankündigung des Kanzlers, das Gespräch mit Merz zu suchen. Scholz erklärte, dass er in zwei entscheidenden Fragen konstruktiv mit der Opposition zusammenarbeiten wolle: Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden hätten, sagte Scholz. Es brauche außerdem Klarheit über die solide Finanzierung der Sicherheit und Verteidigung.

Opposition will Vertrauensfrage sofort

Ein erstes Gespräch zwischen Scholz und Merz blieb ergebnislos. Die Union knüpft die Zusammenarbeit an eine klare Bedingung: Bundeskanzler Olaf Scholz solle die Vertrauensfrage schon in den kommenden Tagen stellen - und nicht erst im nächsten Jahr. Dafür hat sich auch NRW-Ministerpräsident Wüst ausgesprochen:

Sofortige Neuwahlen wären ein Akt der politischen Vernunft.

Hendrik Wüst (CDU), NRW-Ministerpräsident

Reaktionen aus NRW

Die FDP in NRW dankte Lindner "für seinen Mut und für das konsequente Handeln in dieser herausfordernden Zeit". Die Grünen hingegen bezeichneten Lindner als "politischen Poker-Spieler". Mehr Reaktionen aus NRW gibt es hier:

Unsere Quellen:

  • Statements von Bundeskanzler Scholz (SPD), Finanzminister Lindner (FDP) und Wirtschaftsminister Habeck mit Außenministerin Baerbock (Grüne)
  • Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
  • ARD-Brennpunkt