Nordrhein-Westfalen "Das war ein Putschversuch" - NRW-SPD am Tag danach
Boris Pistorius wird nicht SPD-Kanzlerkandidat. Besonders in NRW hatte er viele Unterstützer. Nun müssen sie für Scholz Wahlkampf machen. Im Landesverband gibt es nach den Turbulenzen der letzten Tage viel Redebedarf.
Dafür, dass nun wirklich Klarheit herrscht, ist es am Freitag eher ruhig in der nordrhein-westfälischen SPD. Kanzler Olaf Scholz wird Kanzlerkandidat. Jetzt gelte es, die Partei hinter dieser Entscheidung "zu versammeln", so der SPD-Fraktionschef im Landtag, Jochen Ott. Dafür ist ganz offensichtlich noch viel Überzeugungsarbeit bei etlichen Mitgliedern notwendig.
Der laut Umfragen beliebteste Politiker der Republik, Verteidigungsminister Boris Pistorius, hatte am Donnerstagabend in einem Video an Parteimitglieder erklärt, dass er für eine Kanzlerkandidatur nicht zur Verfügung stehe.
Pistorius-Momentum von Münte, Basis und MdBs
Vorausgegangen waren öffentliche Debatten, bei denen sozialdemokratische Basisvertreter, aber auch Ex-Parteichef Franz Müntefering und einflussreiche NRW-SPD-Politiker eine erneute Kandidatur des amtierenden Bundeskanzlers in Frage gestellt hatten.
SPD-Fraktionschef Ott und die Co-Landesvorsitzende Philipp
Weder die beiden SPD-Landesvorsitzenden Sarah Philipp und Post noch Landtags-Fraktionschef Ott hatten sich klar für Scholz ausgesprochen. Vielmehr sei es gut, mit Pistorius und Scholz zwei kanzlerfähige Kandidaten zu haben.
Statement der Landesgruppe als Wendepunkt?
Aus den Wahlkreisen höre man "viel Zuspruch für Boris Pistorius", erklärten die beiden Vorsitzenden der NRW-SPD-Landesgruppe im Bundestag, Wiebke Esdar und Dirk Wiese, am Montagabend. Die Erklärung auf WDR-Anfrage löste ein großes mediales Echo aus. Auch innerparteilich sorgte der Aufschlag aus NRW für Turbulenzen - letztlich mit dem Ergebnis, dass Pistorius mit seinem Video die Debatte beendete.
Und nun? Wiese, der auch einer der Sprecher des eher konservativen Seeheimer Kreises in der SPD ist, schrieb am Tag nach dem Pistorius-Video auf Facebook: "Guten Morgen! Auf in den Winterwahlkampf". Am Freitagnachmittag teilte die Landesgruppe mit, nunmehr "gemeinsam mit unseren Genossinnen und Genossen vor Ort" für Olaf Scholz Wahlkampf machen zu wollen.
NRW-SPD-Co-Chef Achim Post
Der Co-Landesvorsitzende Post trat in Düsseldorf vor die Kameras und sagte, die K-Frage sei nun "von der Parteispitze entschieden". Man ziehe in NRW mit Olaf Scholz "geschlossen" in den Wahlkampf gegen Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU), der für "soziale Kälte" stehe. Zugleich betonte Post nochmal, dass es "großen Zuspruch" für Pistorius in NRW und auch in anderen Landesverbänden gegeben habe.
Sofort zur Tagesordnung und zum Wahlkampf übergehen wollen aber nicht alle in der NRW-SPD. Die Ereignisse dieser Woche dürften noch für heftige interne Debatten bei den Genossen sorgen.
Umfrage-Absacker wegen Debatte über K-Frage?
Der Bochumer Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer, der in den letzten Tagen in mehreren Interviews vehement für Scholz geworben hatte, wirkt immer noch empört: "Das war ein Putschversuch der beiden Landesgruppenvorsitzenden. Sie wollten offenbar erreichen, dass unser amtierender Bundeskanzler auf die Kanzlerkandidatur verzichtet", sagte Schäfer dem WDR.
Es habe vorher keine Meinungsbildung innerhalb der Landesgruppe gegeben. "Wir Abgeordneten wurden nicht informiert, sondern haben von dem Statement der beiden Vorsitzenden abends aus den Medien erfahren", so Schäfer. "Jene, die diese Debatte angezettelt haben, sind verantwortlich dafür, dass die SPD zwei Prozent in den Umfragen verloren hat. Der Wahlkampf wird dadurch nicht leichter." Von der Landesgruppe gab es keinen Kommentar zu der scharfen Kritik Schäfers.
Der Sprecher der SPD-Bundestagsabgeordneten aus dem Ruhrgebiet, Markus Töns, hatte sich am Dienstag hinter Pistorius gestellt. Am Freitag steht er laut seinem Büro nicht für ein Interview zur Verfügung.
Nun bleibt abzuwarten, wie geschlossen der größte Landesverband der Sozialdemokraten für Scholz in den harten Winterwahlkampf zieht. Die SPD steht laut Infratest dimap derzeit bei 14 Prozent. Dass die führenden Leute der NRW-SPD an Infoständen und auf Wahlkampfbühnen tatsächlich glaubwürdig für Olaf Scholz werben können, erscheint zumindest fraglich.
Unsere Quellen:
- eigene Recherchen
- Ott laut Mitteilung
- Post vor Journalisten in Düsseldorf
- Axel Schäfer auf WDR-Anfrage
- Nachrichtenagentur Reuters
Über dieses Thema berichtet der WDR am 22.11.2024 auch im Fernsehen und im Hörfunk.