Mario Voigt (CDU), Vorsitzender der CDU in Thüringen und Spitzenkandidat, steht in einem Fernsehstudio bei der Runde der Spitzenkandidaten neben Björn Höcke (AfD) und Katja Wolf, Spitzenkandidatin des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen.

Nordrhein-Westfalen Das bedeuten die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen für NRW

Stand: 02.09.2024 10:18 Uhr

Erstmals ist in einem Bundesland die AfD stärkste Kraft geworden. Das könnte große Auswirkungen haben - auf den Bund und auch NRW.

Von Rainer Striewski

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So haben Thüringen und Sachsen gewählt:

In Thüringen liegt die AfD laut vorläufigem Ergebnis mit 32,8% klar vorne. Nach Angaben des Landeswahlleiters kommt die CDU auf 23,6%. Die Linke mit Ministerpräsident Ramelow hat ihren Stimmenanteil mit 13,1% mehr als halbiert. Die SPD kommt demnach auf 6,1%, das BSW auf 15,8%. Die Grünen sind mit 3,2% nicht mehr im Landtag vertreten. Auch die FDP scheitert mit 1,1% deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde - und kommt auf weniger Stimmen als die Freien Wähler. Die Wahlbeteiligung liegt bei 73,6 Prozent. 2019 waren es 64,9 Prozent.

In Sachsen holt die CDU mit 31,9% die meisten Stimmen. Nach Angaben des Landeswahlleiters kommt die AfD auf 30,6%. Das BSW ist mit 11,8% erstmals im Landtag vertreten. Die Linke kommt auf 4,5%, wird aber trotzdem ins Parlament einziehen, weil sie zwei Direktmandate gewonnen hat. Die Grünen kommen auf 5,1%, die SPD auf 7,3%. Ein Direktmandat hat der Spitzenkandidat der Freien Wähler, Matthias Berger, bekommen. Der Oberbürgermeister von Grimma wurde durch sein Krisenmanagement beim Jahrhunderthochwasser von 2002 bekannt. Die bisherige Koalition aus CDU, SPD und Grünen verfehlt die nötige Mehrheit der Sitze im Parlament. Die FDP ist mit 0,9% nicht mehr im Landtag vertreten. Die Wahlbeteiligung liegt bei 74,4 Prozent. 2019 waren es 66,2 Prozent.

Fehler bei der Berechnung der Sitze?

Am Montag meldete DPA, dass der sächsische Landeswahlleiter offenbar das Ergebnis zur Sitzverteilung im Landtag überprüfe. Das Portal wahlrecht.de hatte auf seiner Webseite erklärt, die Zahl der vom Landeswahlleiter errechneten Abgeordnetensitze passe nicht zu den im vorläufigen Ergebnis angegebenen Stimmenzahlen. Tatsächlich bekäme die CDU 41 Sitze, also einen Sitz weniger als nach dem vom Landeswahlleiter in der Nacht zum Montag veröffentlichten vorläufigen Ergebnis. Auch die AfD hätte nach Berechnungen von wahlrecht.de mit 40 einen Sitz weniger als nach dem vorläufigen Ergebnis. Grüne und SPD hätten laut wahlrecht.de hingegen jeweils einen Sitz mehr.

Der Osten am Rande der Unregierbarkeit?

Da keine andere Partei in Thüringen mit der AfD zusammenarbeiten will, könnte sich die Regierungsbildung in Erfurt schwierig gestalten. Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) sieht den Auftrag zur Regierungsbildung nun bei der CDU unter deren Spitzenkandidat Mario Voigt. Und auch das BSW hat schon Ansprüche angemeldet: "Wir hoffen sehr, dass wir am Ende mit der CDU eine gute Regierung zustande bekommen", erklärte Sahra Wagenknecht.

Nach dem vorläufigen amtliches Ergebnis kommt die AfD in Thüringen auf 32 Sitze im Landtag. Damit hätte sie eine Sperrminorität von mehr als einem Drittel der 88 Mandate. Gegen sie wäre beispielsweise keine Verfassungsänderung mehr möglich.

Wir als CDU sind ja das letzte Bollwerk gegen die AfD.

Jens Spahn (CDU)

Auf die CDU kämen nun schwierige Koalitionsverhandlungen zu, sagte Jens Spahn, stellvertretender CDU-Vorsitzender, dem WDR am Montagmorgen. Die Partei werde sich dieser Aufgabe aber stellen. Denn: "Wir als CDU sind ja das letzte Bollwerk gegen die AfD, das letzte Bollwerk in der demokratischen Mitte." Spahn sieht nun die Berliner Ampel-Koalition in der Pflicht. "Ihr müsst eine bessere Politik machen oder den Weg frei machen für Neuwahlen. Wenn das nicht verstanden wird in der Ampel, dann wird das nächste Jahr ein sehr schweres Jahr."

Landtagswahlen mit großer Bedeutung

Die beiden ostdeutschen Länder haben zusammen nur rund 6,2 Millionen Einwohner - ein Bruchteil der rund 84 Millionen Menschen in Deutschland. Trotzdem gilt den beiden Wahlen ungewöhnlich viel Aufmerksamkeit. Denn die Wahlen können vielfältige Auswirkungen auf den Bund und auch NRW haben.

Auswirkungen auf NRW und den Bund

Landesfahne vor dem NRW-Landtag (Archivbild)

Auswirkungen der Wahlen bis nach NRW

Sachsen und Thüringen haben im Bundesrat, also der "Länderkammer", in der die Bundesländer mitbestimmen, jeweils 4 Sitze. Zusammen verfügen sie also über 8 Sitze in der insgesamt 69 Sitze umfassenden Länderkammer. Das klingt nach nicht viel, könnte aber bei knappen Abstimmungen entscheidend sein. "Dann könnte eine Landesregierung mit einer Partei, die durchaus auch ein Interesse an Blockade haben könnte, womöglich den Unterschied machen. Nicht sofort, aber mittelfristig", meint Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky. Denn die Länder im Bundesrat können ihre Stimmen nur in einer Einheit abgeben. Eine Landesregierung in Thüringen oder Sachsen muss sich also vorher darauf einigen, ob sie mit ihren 4 Stimmen im Bundesrat mit "Ja" oder "Nein" stimmen möchte.

Auswirkungen auf die AfD in NRW

Politikwissenschaftler Dr. Marcel Lewandowsky

Lewandowsky: AfD-Positionen könnten legitimer werden

In NRW kam die AfD bei der letzten Landtagswahl 2022 auf 5,4 Prozent, bei der Europawahl 2024 auf 12,6 Prozent. Das aktuell gute Abschneiden der Partei in Thüringen und Sachsen muss sich nicht direkt auf die Ergebnisse der AfD in NRW auswirken. Denn die Menschen in NRW würden eher Parteien bevorzugen, die schon länger etabliert sind. Das Protestpotential wäre kleiner als etwa in Ostdeutschland, weiß Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky - betont aber auch: "Wenn die AfD weiter etabliert wird als Partei, dann bedeutet das auch, dass ihre Positionen legitimer werden." Denn Parteien wie die CDU würden weiter glauben, dass man die Themen und Positionen der AfD aufgreifen und kopieren müsse, um sie in Schach zu halten. Das funktioniere jedoch nicht, betont Lewandowsky.

BSW in NRW profitiert vom "Trittbrettfahrer-Effekt"

Logo mit der Aufschrift "Bündnis Sahra Wagenknecht" wird auf eine Leinwand projiziert.

BSW auch im Landtag NRW?

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnte in NRW vom "Trittbrettfahrer-Effekt" profitieren. Denn wenn eine Partei in anderen Bundesländern erfolgreich ist, könnte sie auch in NRW interessanter werden, vermutet Politiwissenschaftler Lewandowsky. Bei der Europawahl 2024 kam das BSW in NRW nur auf 4,4 Prozent. Mittelfristig sieht der Politikwissenschaftler Lewandowsky aber auch hier großes Potential, über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. "Und das wird natürlich auch das Regieren in NRW womöglich nicht einfacher machen", so Lewandowsky.

Das sagen die Menschen aus NRW zu den Wahlen

"Ich schäme mich, dass fast 80 Jahre später eine rechte Landesregierung gewählt wird von 30 Prozent der Menschen", sagt Gabi Dosenbach in Münster dem WDR. "Wenn jemand in Ostdeutschland sagt, dass er sich nicht verstanden fühlt, ich fühl mich auch oft nicht verstanden, aber deswegen wähle ich nicht rechtsradikal, ist keine Entschuldigung."

Krimiautor Jürgen Kehrer findet es "erschreckend, dass so viele Menschen Probleme haben mit unserer Demokratie", während der 22-Jährige Jussus sagt, dass viele Menschen die AfD gewählt haben - "dass man nicht unbedingt mit der regiert, okay, aber dass man überhaupt nicht mit der redet, finde ich falsch".

Als am Abend die ersten Hochrechnungen bekannt werden, herrscht teilweise Unverständnis. "Ich persönlich halte die AfD nicht für eine wählbare Partei", sagt eine junge Frau in Köln dem WDR. Ein junger Mann ist der Meinung, dass die Partei zwar "sehr viel Propaganda macht", jedoch keine Substanz dahinter habe. "Man sagt viel, weiß aber nicht, was man dagegen tun kann."

Reaktionen aus der NRW-Politik

Die Parteien im Düsseldorfer Landtag reagierten zunächst nicht auf die Wahlergebnisse in Thüringen und Sachsen. Einzig die AfD in NRW zeigte sich schon kurz nach Schließen der Wahllokale "hocherfreut" über die Ergebnisse ihrer Partei in den ostdeutschen Bundesländern. "Die Wähler haben der AfD, in beiden Ländern, einen klaren Regierungsauftrag erteilt. Die Bevölkerung wünscht sich eine blau schwarze Koalition", teilte AfD-Landessprecher Martin Vincentz mit. Dabei forderte er die CDU auf, ihre "lächerliche Brandmauer einzureißen und in Koalitionsverhandlungen mit der AfD zu treten."

Am Montag meldeten sich die Grünen: Man freue sich, dass die Grünen in Sachsen erneut im Landtag vertreten sind, sagte die Landesvorsitzende Yazgülü Zeybek. "Dass das in Thüringen nicht gelungen ist, ist bitter." Die Regierungsbildung in beiden Bundesländern werde voraussichtlich sehr schwer, sagt Zeybek: "Wenn sich die demokratischen Parteien schon im Wahlkampf in ideologische Schützengräben begeben, wird es nach der Wahl nicht leichter, wieder zusammenzukommen." NRW könne aber als Vorbild für eine gute Zusammenarbeit von Grünen und CDU dienen.

Unsere Quellen:

  • Prognose und Hochrechnungen von infratest dimap
  • Gespräch mit Politikwissenschaftler Marcel Lewandowsky
  • Pressemitteilung der NRW-AfD
  • ARD-Wahl-Sondersendungen
  • Statement der Grünen NRW