Flugaufnahme von ThyssenKrupp Steel Europe in Duisburg-Marxloh

Nordrhein-Westfalen Stahlgipfel in Duisburg: Sorge um deutsche Standorte

Stand: 16.09.2024 09:15 Uhr

Der nationale Stahlgipfel lädt nach Duisburg: Unternehmer, Gewerkschafter, Politiker und Stahlarbeiter kommen zusammen. Mit der Hoffnung auf Aufbruch, aber auch jeder Menge Probleme.

Von Jörg Marksteiner

Schon am Morgen des nationalen Stahlgipfels wurde es bei einer Demonstration von rund 2000 Mitarbeitenden in Duisburgs Innenstadt deutlich: Sorge, Wut und Hoffnung liegen ganz nah beieinander. Die Große Frage: Wie geht es weiter in der Branche? Die Antwort soll Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, am späten Nachmittag geben.

Anlagen und Werke nicht ausgelastet

Nicht nur die 13.000 Beschäftigten im größten deutschen Stahlwerk bei Thyssenkrupp in Duisburg-Hamborn sehen es jeden Tag: Viele Anlagen und Werke sind nicht ausgelastet. Kein Einzelfall. Vielen der oft kleineren 50 deutschen Stahlproduzenten geht es ähnlich. Von einer "existenzgefährdenden Krise" spricht die Wirtschaftsvereinigung Stahl aus Düsseldorf. Sie vertritt einen Großteil der heimischen Stahlindustrie.

"Dieser Stahlgipfel ist für uns so wichtig, damit wir der Politik ganz deutlich mitgeben können, was da los ist in unserer Industrie", sagt Kerstin Maria Rippel von der Wirtschaftsvereinigung Stahl. 2024 sei eines der schwierigsten Jahre seit langem.

Viele Probleme für NRW-Stahlfirmen

Für die Stahlunternehmen komme gerade viel zusammen: Sehr hohe Energiepreise, außerdem drängen Überkapazitäten aus China nach Europa. Die Folge: Ein Preisverfall, unter dem heimische Firmen leiden. Dazu kommt, dass wichtige Abnehmer von Stahl gerade wenig bestellen.

thyssenkrupp und der Stahl

Wichtige Abnehmer bestellen weniger

Der Grund: Die Autoindustrie hat selbst Probleme. Außerdem wird weniger gebaut und auch der Maschinenbau spürt die Wirtschaftsflaute. "Wenn diese Abnehmerbranchen leiden und schwächeln, dann schlägt das auf uns zurück", sagt Rippel. "Wir haben einen Nachfrage-Einbruch." Für Nordrhein-Westfalen ist das ein besondere Gefahr: Fast 40 Prozent der deutschen Stahlproduktion kommt aus dem Westen. 45.000 Beschäftigte leben in NRW von der Stahlindustrie, mehr als in jedem anderen Bundesland. Dazu kommen viele Betriebe, die den Stahl weiterverarbeiten.

Teurer Umbau zu klimafreundlicher Produktion

Was die bundesweit 80.000 Stahlarbeiter außerdem sorgt: Um die extrem CO2-intensive Stahlproduktion zukunftssicher zu machen und auf eine klimaschonende Herstellung umzurüsten, sind viele Milliarden Euro nötig.

Allein für ein Pilotprojekt in Duisburg hat die Landesregierung Staatshilfen von 700 Millionen Euro gegeben, vom Bund kamen weitere 1,3 Milliarden. Damit soll bei Thyssenkrupp Steel ein Hochofen ersetzt werden. Die neue, 130 Meter hohe Direktreduktionsanlage wird gerade gebaut. Daran soll auch der Streit um die Stahlsparte nichts ändern, heißt es im Konzern.

Grüne Pilotanlage in Duisburg

Aktuell kommen 2,5 Prozent der deutschen CO2-Emissionen allein aus dem Duisburger Stahlwerk. Das würde dann anders: Die neue Anlage läuft nicht mit Koks, sondern mit Erdgas und später mit grünem Wasserstoff. Aber was mit den fünf anderen Hochöfen in Duisburg passiert, ist unklar.

Ohne Geld vom Staat ist eine Umstellung der Stahlherstellung kaum möglich, fürchten Betriebsräte. Fachleute wie Professor Stefan Lechtenböhmer vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sehen das auch so: "Es handelt sich um eine ganz wichtige Investition in eine neue Technologie. Die wir sonst nicht bekommen würden."

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas befürchtet, dass bislang zugesagtes Geld nicht reicht. "Wenn das stimmt, was ich den Zeitungen entnommen habe, ist es so, dass die Anlage, die gebaut werden soll, weitaus teurer werden soll, als bisher geplant. Das heißt, dass möglicherweise die zwei Milliarden Euro gar nicht ausreichen werden und deshalb eben auch Überlegungen von Thyssen da sind, den Stahl-Standort oder die Stahlsparte zu verlassen. Das ist die große Sorge, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben", sagte die SPD-Politikerin am Sonntag im WDR Fernsehen.

Bas sitzt für die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat der Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM), eine Kooperation von Thyssenkrupp Steel, Salzgitter und Vallourec, und warnt vor einer Schließung mehrerer Stahlwerke mit 10.000 Arbeitsplätzen. "Die Beschäftigten erwarten eine klare Positionierung sowohl von der Landesregierung als auch von der Bundesregierung, wie sie die Transformation in Richtung grünem Stahl bewältigen will."

Stahlgipfel mit 400 Teilnehmern

Wie das gehen soll, wer das finanziert, ab wann grüner Wasserstoff wo verfügbar ist und zu welchem Preis, das wollen die 400 Teilnehmer bis zum Abend diskutieren. Angesagt haben sich unter anderem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und viele Vertreter von Firmen und Gewerkschaften.

Mona Neubaur sprach am Montagmorgen im WDR 5-Morgenecho von einer "Riesenaufgabe" und nahm zugleich die Stahlbranche in die Pflicht. Thyssenkrupp müsse einen Zukunftsplan entwickeln, "der die Lage des Stahlmarkts als globales Handelsgut so austariert, dass es nicht ein scheibchenweiser Abbau von Stahlproduktion in Deutschland im Herzen Europas ist".

Zudem appellierte die Grünen-Politikerin an die Bundesregierung, "für strukturelle Klarheit in Wasserstoffkosten und überschaubare Energiekosten" zu sorgen.

Wir haben nicht ohne Grund aus Nordrhein-Westfalen heraus gesagt: Kümmert Euch, Bundesregierung, dass wir bei den Netzentgelten, dass wir bei den Strompreisen Planbarkeit kommt, für unsere energieintensive Industrie. Die braucht verlässliche Stromkosten, damit sie diesen großen Strukturwandel eben planen kann.

NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne)

Unsere Quellen:

  • Reporter vor Ort
  • Wirtschaftsvereinigung Stahl
  • IG Metall
  • Thyssenkrupp
  • NRW-Wirtschaftministerium
  • Transformationsforscher Prof. Stefan Lechtenböhmer, Wuppertal Institut
  • Branchenkenner Prof. André Küster Simic, Hamburg School of Business
  • Eigene Recherchen
  • Interview mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur
  • Interview mit Bundestagspräsidentin Bärbel Bas

Wir berichten über dieses Thema unter anderem auch im WDR 5 Morgenecho, im WDR 5 Wirtschaftsmagazin sowie in der Lokalzeit Duisburg.