Flugplatz der Nato-Airbase in Geilenkirchen mit einem Awacs-Flugzeug

Nordrhein-Westfalen Hintergründe der Sicherheits-Warnung für NATO-Airbase Geilenkirchen

Stand: 23.08.2024 15:34 Uhr

Die NATO warnte vor einer "möglichen Bedrohung" auf ihrem Luftwaffenstützpunkt in Geilenkirchen im südwestlichen NRW. Was bedeutet die zweithöchste Sicherheitsstufe "Charlie"? Wie ist der Vorfall einzuschätzen? Und was macht die NATO dort eigentlich? Fragen und Antworten.

Von Jörn Seidel

Aufregung an der NATO-Airbase in Geilenkirchen: Seit dem späten Donnerstagabend galt an dem Standort des Militärbündnisses im Kreis Heinsberg nördlich von Aachen die zweithöchste Sicherheitsstufe. Inzwischen gibt es aber Entwarnung. Die Sicherheitsstufe wurde wieder gesenkt. Das sagte ein Sprecher des Stützpunktes. Für Oberst a.D. Ralph Thiele deutet der Vorfall auf hybride Kriegsführung hin. Was er damit meint, wie die aktuelle Sicherheitsstufe einzuschätzen ist und welche Rolle die USA und Russland möglicherweise in dem Vorfall spielen - ein Überblick.

Die ausgerufene Sicherheitsstufe "Charlie" bedeutet im NATO-Jargon, dass ein Zwischenfall eingetreten ist oder Erkenntnisse vorliegen, dass irgendeine Form von terroristischen Aktionen gegen das Bündnis sehr wahrscheinlich ist. 

Dies ist kein Grund zur Besorgnis und eine reine Vorsichtsmaßnahme, um sicherzustellen, dass wir unsere kritischen Operationen fortsetzen können".

Ein Sprecher der Nato-Air-Base

Die höchste Stufe ist "Delta". Diese wird bei der NATO gemeinhin ausgerufen, wenn ein Terroranschlag erfolgt ist oder unmittelbar bevorsteht.

Das Militärbündnis hat in Geilenkirchen das fliegende Frühwarnsystem Awacs stationiert. 14 umgebaute Boeing-707-Maschinen überwachen den Luftraum mit dem Ziel der Früherkennung möglicher Gefahren und der Vorwarnung des Bündnisses.

Awacs steht für "Airborne Early Warning and Control System", auf Deutsch: Luftgestütztes Frühwarn- und Kontrollsystem. Es handelt sich also nicht um ein Waffensystem.

Awacs-Flugzeuge an der NATO-Airbase Geilenkirchen

Awacs-Flugzeuge an der NATO-Airbase Geilenkirchen

Der multinational zusammengesetzte Verband leistet klassische Luft- und Seeraumüberwachung und wird in Einsätzen zum Führen von Kampfflugzeugen als eine Art fliegende Kommandozentrale eingesetzt. 

Der Verband hat an zahlreichen Einsätzen teilgenommen, etwa auf dem Balkan und in Afghanistan. Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine verlegte die Nato zeitweise Maschinen nach Rumänien.

In der vergangenen Woche hatte es in mehreren Militäreinrichtungen erhöhte Sicherheitsmaßnahmen gegeben: am Bundeswehr-Standort in Köln-Wahn, am Bundeswehr-Standort in Mechernich in der Eifel und am NATO-Stützpunkt Geilenkirchen.

Laut einer NATO-Sprecherin des Stützpunkts in Geilenkirchen besteht kein Zusammenhang mit dem Vorfall in der vergangenen Woche. Dabei war die Sicherheitsstufe auf der Airbase kurzzeitig erhöht worden, weil die Bundeswehr bei sich in Köln einen Sabotageakt an der Wasserversorgung vermutete.

Die Bundeswehr gab später Entwarnung: Testergebnisse hätten gezeigt, dass das Leitungswasser nicht verunreinigt sei. Auch der Verdacht der Sabotage konnte sich nicht erhärten.

Ralph Thiele im Interview zu Klimaaktivisten am Flughafen Köln-Bonn

Oberst a.D. Ralph Thiele

Es mag in Köln ein Einzelfall gewesen sein, mutmaßt Oberst a.D. Ralph Thiele am Freitag im Gespräch mit dem WDR. Der jetzige Vorfall in Geilenkirchen deutet für ihn aber sehr auf hybride Kriegsführung hin. Und solche Fälle werde es in Deutschland nun wohl häufiger geben.

Der hybride Krieg beginnt.

Ralph Thiele, Oberst a.D.

Auch die wiederholten Drohnen-Überflüge über einem Chemie-Industriegebiet in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein könnten nach Einschätzung des Militärexperten zu einer hybriden Kriegsführung. Thiele hat als Verantwortlichen Russland im Verdacht.

Hybride Kriegsführung besteht laut Thiele aus zweierlei:

  • Stress-Ereignisse: Das seien Nadelstiche wie etwa Drohnen-Flüge über sensible Bereiche, zum Beispiel Militärstützpunkte sowie Strom-, Gas- und Chemie-Anlagen.
  • Schock-Ereignisse: Das seien insbesondere Terror-Bedrohungen und -Anschläge.

"Hybride Kriegsführung zielt darauf ab, Gesellschaften und Regierungen zu destabilisieren", sagt Thiele. Daran habe Russlands Präsident Putin ein großes Interesse.

Auch die NATO hatte in den vergangenen Monaten mehrfach vor einer von Russland inszenierten Kampagne feindlicher Aktivitäten gewarnt, darunter Sabotageakte und Cyberangriffe. Ob es sich im Fall Geilenkirchen aber um eine solche Aktivität handelt, ist nicht klar.

Thieles Forderung: Deutschland müsse sich dringend angemessen auf eine solche hybride Kriegsführung einstellen. "Das findet in der Bundesregierung nicht genug statt." Stattdessen würden Drohnen-Überflüge, Cyberattacken und andere Ereignisse bloß als "Mosaikstückchen" betrachtet, aber nicht als ganzheitlicher Angriff, der Deutschland deutlich schwächen könnte.

Es gibt unzählige Modelle von Drohnen, angefangen von Geräten für Privatleute und Unternehmen, mit denen man Fotos und Videos machen kann, bis hin zu militärischen Geräten mit komplexen Eigenschaften.

Bei den Drohnen der Russen handele es sich oft um den Typ Orlan-10, sagt Thiele. Einen solchen habe man offenbar auch über Brunsbüttel gesichtet.

Russische Soldaten an einer Orlan-10-Drohne im Februar 2023

Russische Soldaten an einer Orlan-10-Drohne im Februar 2023

Russische Orlan-10-Drohnen seien häufig zu dritt unterwegs, so der Militärexperte:

  • Die erste Drohne sei mit Sensoren ausgestattet, um Bilder zu machen, auch bei Nacht.
  • Die zweite Drohne könne Bilder im elektromagnetischen Bereich aufnehmen oder auch Radaranlagen stören.
  • Die dritte Drohne übermittele die riesigen Datenmengen an die Basis.

Mit diesen Daten lasse sich dann zum Beispiel eine vierte, bewaffnete Drohne schicken, um präzise ein Ziel zu treffen. "Wir müssen uns auf all diese Arten von Drohnen einstellen", meint Thiele.

Hintergrund der erhöhten Warnstufe seien nachrichtendienstliche Informationen, die auf eine mögliche Bedrohung hinwiesen, sagte ein Sprecher der NATO-Airbase. Konkreter wurde er nicht.

Klar ist: Ein amerikanischer Geheimdienst hatte am Donnerstag vor einem Anschlag gewarnt. Und klar ist auch, dass Personen auf der Airbase direkt beim Kommandeur melden sollen, wenn sie Drohnen über der Base sehen - das teilte der Stützpunkt am Freitagmorgen mit.

Ob das mit der Warnung des Geheimdienstes zusammenhängt, blieb jedoch offen. Vieles deutet aber daraufhin, dass die Amerikaner vor einem möglichen Drohnenangriff gewarnt haben.

Für Militärexperte Thiele besteht auch hier dringend Nachholbedarf: Es könne nicht sein, dass ein wichtiger Militärstützpunkt wie der in Geilenkirchen Drohnen-Überflüge nicht technisch und automatisch erfasse, sondern auf Augenzeugen angewiesen sei.

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagenturen dpa, Reuters
  • NATO-Mitteilung im Onlinedienst X und Aussagen eines NATOSprechers der Airbase in Geilenkirchen
  • WDR-Interview mit Oberst a.D. Ralph Thiele

Über dieses Thema berichten wir am 23.08.2024 auch in der Aktuellen Stunde im WDR-Fernsehen.