Rheinland-Pfalz Babyboomer gehen in Rente: So ist Dein Beruf betroffen
In den nächsten Jahren verabschieden sich die Babyboomer aus dem Arbeitsleben und hinterlassen eine große Lücke. Eine Analyse des SWR Data Lab zeigt, wie viele es in Deinem Beruf und Deiner Region sind.
3,7 Millionen Beschäftigte waren in Deutschland im Jahr 2023 über 60 Jahre alt und gehen damit voraussichtlich in den kommenden Jahren in Rente. Das zeigt eine Analyse des SWR Data Lab. Viele weitere Personen werden folgen, bis 2036 der letzte Babyboomer-Jahrgang das gesetzliche Rentenalter erreicht haben wird. Und da die Jahrgänge nach den Babyboomern wesentlich kleiner sind, wird die Rentenwelle der kommenden Jahre in einigen Berufen eine große Lücke hinterlassen und den Arbeitskräftemangel verstärken.
Die Babyboomer wurden Mitte der 50er- bis Ende der 60er-Jahre geboren - besonders viele kamen 1964 zur Welt. Noch arbeiten viele von ihnen und sind daher Teil der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit, die alle sozialversicherungspflichtigen Angestellten enthält.
Dass der Anteil der über 60-Jährigen nahezu berufsübergreifend steigt, hat mehrere Gründe. Einerseits arbeiten mehr ältere Personen, insbesondere ältere Frauen, und mehr Beschäftigte arbeiten über das Rentenalter hinaus. Andererseits nähern sich die geburtenstarken Babyboomer dem Rentenalter, während weniger junge Personen nachkommen.
Berufe unterschiedlich stark betroffen
Fast 30 Prozent der Taxifahrer:innen gehen voraussichtlich in den nächsten fünf Jahren in Rente. Von den Bus- und Straßenbahnfahrer:innen war im Jahr 2023 ebenfalls bereits jeder Fünfte über 60 Jahre alt. Aber nicht in allen Berufen arbeiten so viele Ältere. Beispielsweise im Bereich Erneuerbare Energien sind es nur etwa drei Prozent. Über alle Berufe hinweg waren 2023 etwa 11 Prozent der Beschäftigten 60 Jahre und älter.
So sieht es in Deinem Kreis aus
Die Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass der Abschied der Babyboomer nicht nur die Berufe, sondern auch die Regionen unterschiedlich trifft. Der Anteil der über 60-Jährigen Beschäftigten ist in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt am höchsten. In Hamburg, Berlin, Bayern und Hessen gibt es deutschlandweit die wenigsten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die älter als 60 Jahre alt sind.
Nach einem Bericht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales steigt insbesondere in strukturschwachen und ländlichen Gegenden die Zahl älterer Menschen. Das Risiko für Personalmangel ist in diesen Regionen besonders hoch.
Überalterung ein Haupttreiber des Fachkräftemangels
Der demografische Wandel übt einen enormen Druck auf das Rentensystem aus. Zudem mangelt es in vielen Branchen schon jetzt an Angestellten. In Cafés fehlen Servicekräfte, in Supermärkten Kassierer und im Nahverkehr Busfahrerinnen. Und in manchen Branchen wird sich der Mangel aufgrund steigender Nachfrage zusätzlich verschärfen. So müssen künftig immer mehr Alte gepflegt, Arbeitsschritte digitalisiert und Solarmodule montiert werden.
Öffentlicher Nahverkehr stark betroffen
Besonders wird der Abschied der Babyboomer voraussichtlich den öffentlichen Nahverkehr treffen. Denn bei den Bus- und Straßenbahnfahrer:innen ist der Anteil der Babyboomer besonders hoch. 2023 war bereits mehr als die Hälfte von ihnen 50 Jahre und älter. Und laut Bundesagentur für Arbeit besteht bereits heute ein Mangel in dieser Berufsgruppe. Durch die Renteneintritte in den kommenden Jahren wird sich die Personalnot im öffentlichen Nahverkehr also weiter verstärken. Die Folge: noch mehr Verspätungen und Ausfälle - dabei sollen als Teil der Verkehrswende künftig mehr Busse und Straßenbahnen fahren.
Wandelnde Berufsbilder
Für andere Berufe stellt der demografische Wandel kurzfristig ein geringeres Problem dar. Manche Berufsbilder existieren zum Beispiel aufgrund der Digitalisierung nicht mehr oder haben sich gewandelt. In anderen Fällen folgen den Babyboomern genügend jüngere Beschäftigte. Der Berufsabschied der Babyboomer kann mittelfristig jedoch alle Branchen treffen und der gesamten Wirtschaft schaden. Denn gibt es zum Beispiel zu wenige Lkw-Fahrer:innen, müssen Firmen länger auf Lieferungen warten und die Produktion wird ausgebremst.
Holger Schäfer ist Arbeitsmarktökonom beim arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Er sagt, die Beseitigung des Fachkräftemangels in einem Berufszweig könne nur auf Kosten eines anderen behoben werden: "Wenn der Beruf des Tischlers attraktiver gestaltet wird und dadurch mehr Menschen Tischler statt Elektriker werden, dann ist auf der Baustelle trotzdem Stillstand."
Seit 20 Jahren beschäftigt sich Schäfer mit den Effekten der demografischen Entwicklung auf die Wirtschaft. Schon damals sei prognostiziert worden, dass die Babyboomer-Generation einmal eine Lücke auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen werde. Doch zu dem Zeitpunkt hätte es keine Mehrheiten für die Umsetzung von geeigneten Maßnahmen gegeben. Daher drohe ein massiver Arbeitskräftemangel, der die ganze Gesellschaft stark beeinträchtigen werde, sagt Schäfer.
Mögliche Lösungsansätze
Laut einem Mitte November veröffentlichten Gutachten des wissenschaftlichen Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums sei die Strukturkrise, in der sich Deutschland derzeit befinde, bereits eine Folge des demografischen Wandels. Das Gremium empfiehlt verschiedene Maßnahmen, um gegenzusteuern.
Einerseits müsse das vorhandene Potenzial des deutschen Arbeitsmarkts besser ausgeschöpft werden. Der Beirat schlägt vor durch Anreize wie ein besseres Kita-Angebot mehr Frauen von Teilzeit in Vollzeit zu bringen und Arbeitnehmer zu ermutigen über das Renteneintrittsalter hinaus zu arbeiten.
Die fehlenden Arbeitskräfte könnten andererseits ausgeglichen werden, wenn die Produktivität gesteigert werden würde. Dafür müsste laut Beirat die Digitalisierung vorangetrieben, in Bildung investiert und Bürokratie abgebaut werden.
Auch Migration kann laut den Beratern des Ministeriums eine Rolle spielen. Viele ausländische Arbeitskräfte hätten jedoch Probleme auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. 2023 hat die Ampelregierung ein Gesetz verabschiedet, um die Zuwanderung zu erleichtern.
Eine Sprecherin des Ministeriums für Arbeit und Soziales, das verantwortlich für die Fachkräftestrategie ist, schreibt auf SWR-Anfrage: "Es zeichnet sich eine positive Entwicklung ab: In den ersten drei Quartalen 2024 sind mehr als 90.000 Visa zu Erwerbszwecken erteilt worden." Das sei ein Anstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum um acht Prozent.
Ökonom Schäfer sieht jedoch weiterhin Umsetzungsprobleme: Die Visa-Vergabe müsse weiter beschleunigt, Ausländerbehörden besser ausgestattet, Qualifikationen einfacher anerkannt und Fachkräfte effektiver rekrutiert werden. Denn, so Schäfer: "Gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland müssen nicht nach Deutschland kommen, die haben auch andere Möglichkeiten."
Die Datengrundlage für den Artikel bilden Zahlen aus der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Allen Angestellten in Deutschland wird darin über das Meldeverfahren zur Sozialversicherung von den Arbeitgebern ein Beruf aus der Klassifikation der Berufe (KldB 2010) zugewiesen. Die von uns hier verwendeten Berufsbezeichnungen lehnen sich an die Berufsgruppen (dreistelliger Code) und Berufsuntergruppen (vierstelliger Code) dieser Klassifikation an. In einigen Fällen haben wir Berufsgruppen zusammengefasst, die sich nur durch ihren Spezialisierungsgrad unterscheiden oder haben kürzere synonyme Bezeichnungen gewählt. In unseren Daten der Beschäftigtenstatistik sind alle sozialversicherungspflichtig Beschäftigten nach Arbeitsort zwischen 2013 und 2023 enthalten (das heißt es sind darin beispielsweise keine Beamt:innen oder Selbstständige enthalten). Die Daten decken circa 75 Prozent der Erwerbstätigen in Deutschland ab.