Eine Kinderzeichnung zeigt drei Kinder, die einander die Hände auf die Schultern legen. Eines der gezeichneten Kinder sitzt in einem Rollstuhl. Das Bild steht symbolisch für das Thema Inklusion in Kitas und Schulen.

Rheinland-Pfalz Zu wenig Fachkräfte bei Inklusion an Schulen und Kitas in Rheinland-Pfalz

Stand: 21.03.2025 20:35 Uhr

Alle Kinder, mit und ohne Behinderungen, haben das Recht, zusammen aufzuwachsen und zu lernen - so steht es im Bundesteilhabegesetz. In Kitas und Schulen in Rheinland-Pfalz hakt es aber häufig bei der Umsetzung der Inklusion.

Bei Familie Reinecke aus Mainz startet der Tag musikalisch: Tochter Raffaela setzt sich kurz ans Klavier, bevor sie sich allein auf den 800 Meter langen Weg zur Schule macht. Die 15-Jährige hat das Down-Syndrom (Trisomie 21) und geht in die neunte Klasse der Integrierten Gesamtschule Europa in Mainz - gemeinsam mit Schülern ohne Behinderung.

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Integrationskraft Vanessa hilft der 15-jährigen Raffaela im Alltag

Raffaela bekommt dieselben Aufgaben wie ihre Mitschüler, aber etwas mehr auf sie zugeschnitten. Außerdem wird sie von ihrer Integrationskraft Vanessa unterstützt. Das ist jedoch nicht selbstverständlich. Integrationskräfte (I-Kräfte) werden überall gesucht - auch in Rheinland-Pfalz. "Teilweise hatten wir jede Woche jemand Neues, wenn überhaupt jemand da war", sagt Raffaelas Mutter.

Was ist eine Integrationskraft?

I-Kräfte können pädagogisch ausgebildete Fachkräfte sein, oftmals sind es aber Quereinsteiger ohne Fachqualifikation, sogenannte Integrationshelfer. Sie betreuen Kinder mit unterschiedlichen Diagnosen wie Autismus, ADHS oder körperlichen Behinderungen. Und helfen ihnen ganz praktisch, zum Beispiel indem sie ihnen beim Schreiben die Hand führen oder sie beruhigen. So können auch Kinder mit Behinderungen Regelschulen und -kitas besuchen. Das sieht die UN-Behindertenrechtskonvention so vor.

Was verstehen die UN unter Recht auf Teilhabe?
Die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UN-BRK) stellt klar, dass Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein Menschenrecht ist. Die UN-BRK konkretisiert außerdem grundlegende Menschenrechte für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen. Sie haben das Recht, an allen Bereichen des öffentlichen Lebens teilnehmen zu können, ohne Barrieren und Diskriminierung. Der Grundgedanke dahinter ist die Inklusion. Deutschland hat die UN-BRK 2009 ratifiziert und sich damit unter anderem dazu verpflichtet, dass "Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden (...)." Gesetzlich verankert wurde dieses Recht mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG). Darin ist auch vorgesehen, dass Kinder mit Behinderungen die Möglichkeit haben sollen, Regelschulen und -Kitas zu besuchen.

Die Landesregierung betont: Integrationshelfer sind keine Zweitlehrer. Trotzdem berichten mehrere betroffene Familien dem SWR, dass es öfter vorkommt, dass Integrationshelfer Kindern bei Schulaufgaben helfen müssten. Die Landesregierung will daher mehr Förderschullehrer und Erzieher ausbilden und hat dafür auch einen neuen Studiengang an der Uni Koblenz geschaffen. Aber: "Alle diese Maßnahmen brauchen Zeit, um entsprechend in der Breite zu wirken", so das Bildungsministerium.

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Einblick: Das machen I-Helfer

Fachkräftemangel als größte Herausforderung

In Zweibrücken dauert es momentan etwa zwei bis vier Monate, bis der Sozialdienst eine I-Kraft gefunden hat. Und im Landkreis Trier-Saarburg können etwa 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen, bei denen ein Bedarf besteht, nicht versorgt werden. Wie groß der Mangel ist, ist aber regional unterschiedlich. In Koblenz habe sich die Lage inzwischen entspannt, so die Stadtverwaltung.

Die Lebenshilfe Rheinland-Pfalz sieht den Fachkräftemangel bei I-Kräften als das größte Problem. Sie ist einer der größten Träger, der Integrationskräfte beschäftigt. Landesgeschäftsführer Sven Friedrich sagt, der Bedarf an Integrationshilfen steige seit Jahren kontinuierlich an: "Man kann fast sagen: Es explodiert." Dass sich diese Entwicklung in absehbarer Zeit verlangsamen oder gar umkehren könnte, hält er für unwahrscheinlich.

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Lebenshilfe: Integrationshilfe

Der Personalmangel führt auch dazu, dass es oft keinen Ersatz gibt, wenn eine I-Kraft ausfällt. Schlimmstenfalls können Kinder mit Behinderungen dadurch nicht zur Schule gehen - trotz Schulpflicht.

Lösungsansatz: Team statt Einzelkämpfer

Deswegen probieren einige Träger nun neue Konzepte aus, bei denen nicht mehr auf die klassische Eins-zu-eins-Betreuung gesetzt wird. Stattdessen werden feste Teams von Schulbegleitern eingesetzt, bei denen nicht mehr eine Kraft für ein bestimmtes Kind verantwortlich ist. Praktiziert wird das unter anderem an Schulen in Trier, Kaiserlautern, Speyer und Bad Dürkheim.

Player: videoI-Helfer: So funktioniert das Pool-Modell in Neustadt

I-Helfer: So funktioniert das Pool-Modell in Neustadt

An der August-Becker-Grundschule in Neustadt werden aktuell 18 Kinder von 17 Mitarbeitern betreut. Die Lebenshilfe sieht das Modell nicht als Allheilmittel gegen den Fachkräftemangel, aber dadurch sei gewährleistet, dass alle Kinder weiter betreut werden, auch wenn eine I-Kraft mal krank werde. Durch die Vernetzung der I-Kräfte wisse jeder über jedes der Kinder Bescheid und könne bei Bedarf einspringen.

Sendung am Fr., 21.3.2025 19:30 Uhr, SWR Aktuell Rheinland-Pfalz, SWR RP