Vermummte Polizist*innen führen ein Gruppe Leute ab.

Sachsen Anführer der "Sächsischen Separatisten" soll mit Waffen- und Militärausrüstung gehandelt haben

Stand: 20.12.2024 05:00 Uhr

Der mutmaßliche Anführer der "Sächsischen Separatisten" kann nach Deutschland überstellt werden. Das hat ein polnisches Gericht entschieden. Vertrauliche Dokumente zeigen nun: Der Mann soll nicht nur mit Waffenteilen und militärischer Ausrüstung gehandelt haben – er scheint auch überzeugter Nationalsozialist zu sein.

Von Nina Böckmann, Thomas Datt, Marcel Siepmann, Edgar Lopez, Albrecht Radon und Marcus Engert, MDR INVESTIGATIV

Deutsche Behörden halten den Anführer der "Sächsischen Separatisten", Jörg S., offenbar nicht nur für einen Waffennarr, sondern auch für einen bekennenden Nationalsozialisten. Das zeigen vertrauliche Unterlagen, in die MDR INVESTIGATIV Einsicht nehmen konnte.

Die Unterlagen wecken außerdem den Verdacht, dass Jörg S. in verschiedenen Chatgruppen auf dem Messengerdienst Telegram seine Gesinnung offen äußerte – darunter ein privater Kanal namens "NSB chat". "NSB" kurz für "National Socialist Brotherhood" – auf Deutsch etwa "nationalsozialistische Bruderschaft". Die Chatgruppe sollte der internationalen Vernetzung von Anführern rechtsextremer "Zellen" dienen. Inwiefern hinter jedem Mitglied auch eine aktive "Zelle" steckt, ist unklar.

Noch vor seiner Aufnahme in den "NSB Chat" wurde er von einem anderen Mitglied der Telegram-Gruppe offenbar auf seine Eignung geprüft. Nach seiner ideologischen Orientierung gefragt soll S. geantwortet haben, er sei Nationalsozialist, und ergänzt haben, das sei keine Ideologie, sondern eine Lebenseinstellung.

Vernetzung in Chatgruppen

Nach Erkenntnissen der Ermittler soll Jörg S. zudem Mitglied des NSB-Ablegers "Deutsch Völkische Front" gewesen sein. Darin sollten sich vorrangig deutsche "Zellenleiter" miteinander vernetzen. In zugehörigen Chatruppen soll S. auffällig aktiv gewesen sein und sich über militärische Ausrüstung und rechtsextreme Schriften ausgetauscht haben.

An einer Stelle unterhalten sich einzelne Mitglieder darüber, ob sie vom Konflikt zwischen der Ukraine und Russland betroffen seien, woraufhin Jörg S. geantwortet haben soll, Deutschland könne irgendwann das Gas abgestellt werden. Dies kommentiert ein anderer Nutzer mit: "Hoffentlich bleibt genug Gas für die Juden übrig". Jörg S. soll geantwortet haben: "LMAO", der englischen umgangssprachlichen Abkürzung für "Ich lach mich schlapp".

S. habe außerdem nicht nur Zustimmung für einen "White Jihad" geäußert, sondern seine Ansichten zu geeigneten Organisationsformen für Rechtsterrorismus geteilt. Mit Bezug auf die "Atomwaffen Division" soll er beispielsweise geschrieben haben, bei zu großer medialer Aufmerksamkeit würden Gruppen schnell ins Visier der Behörden geraten, weshalb "Zellen" oder "Einsame-Wolf-Taktiken" besser seien, um staatliche Repression zu unterlaufen.

Schießübungen in Tschechien

Der Generalbundesanwalt ließ Anfang November mehrere Männer festnehmen. Sie sollen sich unter dem Namen "Sächsische Separatisten" zu einer rechtsterroristischen Vereinigung zusammengeschlossen haben, um mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen zu erobern und einen NS-Staat zu errichten.

Die Gruppe soll sich für "paramilitärische Trainings", Häuserkampf-Übungen und Nachtmärsche in einem Wald und auf einem alten Flugplatz bei Brandis getroffen haben. Für Übungen mit scharfen Waffen wich ein Teil der Gruppe den Erkenntnissen der Ermittler zufolge wohl ins Ausland aus: Ein Schießtraining fand offenbar in Tschechien statt, mindestens ein weiteres sei in Polen geplant gewesen.

Handel mit Militärausrüstung

Jörg S. soll zudem nicht nur mit NS-Devotionalien, sondern auch mit Militärausrüstung gehandelt und dafür nicht nur Ebay-Kleinanzeigen, sondern auch einen Telegram-Kanal namens "Völkischer Flohmarkt" verwendet haben. Zuerst hatte die "WELT" darüber berichtet.

Zwei mutmaßliche Geschäfte des Beschuldigten sind den Ermittlern dabei nach MDR-Informationen besonders aufgefallen. Im Oktober 2023 soll S. zusammen mit seiner polnischen Freundin einen Schalldämpfer aus Polen erhalten und nach Österreich weiterverkauft haben.

Nur wenige Wochen später soll S. am Handel mit schusssicheren Westen für den militärischen Gebrauch, sogenannte militärische Plattenträger, beteiligt gewesen sein. Die Ermittler schätzen ihren Wert auf rund 50.000 Euro.

Mögliche weitere Aktivitäten

Unklar ist, ob das Geschäft abgeschlossen wurde und ob S. seine Aktivitäten möglicherweise sogar ausgeweitet hat. So soll er geplant haben, in Polen ein Lager für Schalldämpfer und Magazine für Maschinengewehre einzurichten. Einem weiteren Beschuldigten gegenüber soll S. von der Möglichkeit berichtet haben, 100 Stück der Magazine von einer polnischen Quelle kaufen zu können.

All das bringt die Ermittlungsbehörden zu der Einschätzung, dass S. Zugang zu scharfen Waffen hatte und für den Ernstfall sicherstellen wollte. Insgesamt gehen die Ermittler basierend auf den Unterlagen davon aus, dass S. für das Netzwerk als Mentor und Berater insbesondere im Hinblick auf militärisches Equipment und die Beschaffung von Ausrüstung fungierte. In den Chats habe er zudem auch zu einzelnen Waffentypen gefachsimpelt.

Verhaftung in Polen

Anders als die übrigen Beschuldigten war Jörg S. nicht in Deutschland, sondern in Polen verhaftet worden. Über seine Auslieferung nach Deutschland muss ein polnisches Gericht entscheiden. MDR-Informationen zufolge hat das Gericht die Überstellung kürzlich bestätigt.

Jörg S. wird vom rechtsextremen Szeneanwalt Martin Kohlmann vertreten. Dieser ließ MDR-Anfragen zu den Vorwürfen unbeantwortet. Nach der Festnahme seines Mandanten hatte Kohlmann erklärt, bei der Gruppierung handele es sich um einen losen Freundeskreis, der sich gelegentlich zum Wandern und zum Paintball-Spielen getroffen habe.

Die Ermittler glauben nicht daran. An welchen Vorbildern sich Jörg S. stattdessen orientiert haben könnte, zeigt ein weiterer Post in dem Chat mit seinen Freunden aus Brandis. S. soll darin Fotos zweier Opfer eines rechtsextremen Anschlags geteilt haben. In Bratislava hatte ein Rechtsextremist sie 2022 bei einem Anschlag in einer queerfreundlichen Bar erschossen. Auch das Manifest des Täters habe Jörg S. gepostet. Ein weiteres Gruppenmitglied kommentiert den Post mit einem Meme. Darauf zu sehen: ein lachender Heinrich Himmler.