Bei der Auszählung der Briefwahlstimmen im Briefwahlzentrum

Sachsen Die Maschen der Wahlfälscher: Wie sicher sind Wahlen wirklich?

Stand: 10.09.2024 05:00 Uhr

Wahlbetrug, Wahlfälschungen, Manipulationen: Vor und nach den Wahlen gibt es vor allem online viele Gerüchte dazu. Meist zu unrecht. Aber aktuell ermitteln Behörden zum Vorwurf des Wahlbetrugs bei der Landtagswahl in Sachsen. Viele Fragen sind ungeklärt, Details gibt die Generalstaatsanwaltschaft nicht preis, weil noch ermittelt werde. Wahlbetrug gab es in Deutschland seit der Wiedervereinigung immer wieder, meist bei Kommunalwahlen. Auch bei der Europawahl gibt es Gesetzeslücken. Hier die wichtigsten Antworten im Überblick.

Von MDR SACHSEN

Sind Wahlen in Deutschland überhaupt sicher?

Kleinere Unregelmäßigkeiten bei Wahlen könne es immer geben, sagt die Politikwissenschaftlerin Gabriele Abels. Wahlmanipulation im großen Stil hält sie in Deutschland jedoch für unwahrscheinlich. Durch die etablierten Sicherheitsmechanismen bei Wahlen sei es "eher schwer" zu manipulieren. Aber: "Wenn Sie wirklich viel kriminelle Energie da reinstecken, dann werden Sie auch manipulieren können", meinte der Wahlsystem-Experte Daniel Hellmann vom Institut für Parlamentarismusforschung im Bayerischen Rundfunk.

Diese fünf Grundregeln gelten für Wahlen in der Bundesrepublik

  • Die Wahl ist öffentlich. Jede und jeder kann im Wahllokal Stimmabgabe und Auszählung beobachten.
  • Die Wahlhelfer sind plural zusammengesetzt. Die Gemeinden achten laut Landeswahlleitung darauf, dass Vertreter unterschiedlicher Parteien und Verbände dabei sind.
  • Die Wahlhelfer arbeiten immer mindestens nach dem Vier-Augen-Prinzip.
  • Es gibt das Wählerverzeichnis, das dafür sorgen soll, dass jeder in Sachsen nur einmal abstimmt.

Anfälliger für Betrug hält Politikwissenschaftlerin Abels aber die Briefwahl, weil dabei "weniger gut garantiert werden kann, dass die Person selber den Wahlzettel ausgefüllt hat oder - sofern sie dabei Assistenz braucht - kontrollieren kann, wie er ausgefüllt wird". Auch Briefträger könnten Wahlunterlagen laut Abels unterschlagen und vernichten, etwa in Hochburgen von Parteien. Ob beispielsweise Mitarbeiter in Seniorenheimen und Postboten beim Wahlbetrug in Dresden und Radeburg beteilgt waren, ermitteln derzeit LKA und Generalstaatswanwaltschaft.

Was droht Wahlfälschern laut Gesetz?

Wer eine Wahl verfälscht, wird nach Paragraph 107a des Strafgesetzbuches mit einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft. Unbefugt wählt auch, wer als zulässiger Assistent entgegen der Wahlentscheidung des Wahlberechtigten oder ohne eine geäußerte Wahlentscheidung des Wahlberechtigten eine Stimme abgibt. Das kann bei Senioren, Kranken oder physisch eingeschränkten Menschen der Falls sein. Auch der Versuch einer Wahlfälschung ist strafbar.

Wahlbetrug bei Wahlen in Deutschland?

Wahlfälschungen und Wahlbetrug werden immer wieder aufgedeckt. Dabei geht das Interesse der Wahlfälscher quer durch Deutschlands Parteienlandschaft. Politikwissenschaftler sagen, die Fälle sind selten, aber es gab sie. Hier einige Beispiele für verurteilte Wahlfälscher in Deutschland:

  • Bei der Kommunal- und Oberbürgermeisterwahl 2022 in Dachau in Oberbayern hatten zwei CSU-Stadträte 140 Wahlzettel zugunsten der CSU manipuliert. Sie traten zurück und mussten 116.300 Euro Strafe zahlen.
  • 2014 wurde in Halle/Saale ein Wahlvorstand zu 7.500 Euro Strafe verurteilt, weil bei der Europawahl im Halle-Neustädter Wahlbezirk 101 Stimmen zu viel ausgezählt wurden. Die meisten der Stimmen kamen zunächst der Partei Die Linke zu Gute.
  • Ebenfalls 2014 bei der Kommunalwahl wurden in Stendal in Sachsen-Anhalt ein CDU-Stadtrat und Stadtmitarbeiter ermittelt, der mit Komplizen Briefwahlunterlagen von mehreren Hunderten Wählern zu seinen Gunsten ausgefüllt hatte. Ihm wurde der Job gekündigt. Das Landgericht Stendal verurteilte ihn zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft wegen 300-fachen Wahlbetrugs.
  • In Hamburg hatte 2015 ein Wahlkampfkoordinator der Grünen dutzende Bekannte angestiftet, ihm die Briefwahlunterlagen zu geben, er füllte die für einen grünen Kandidaten aus. Konsequenz: zwölf Monate Gefängnis auf Bewährung.
  • 2016 hatten vier Linken-Abgeordnete und eine FDP-Abgeordnete bei der Kommunalwahl in Quakenbrück (Niedersachsen) Briefwahlunterlagen gefälscht. Die Masche der Linken-Politiker, vor allem eines Russlanddeutschen aus Kasachstan: Man ging gezielt von Tür zu Tür zu Menschen, die nicht gut deutsch verstanden, wies sie an, Briefwahlunterlagen zu beantragen und fälschte die dann. Der Russlanddeutsche bekam eine Strafe von etwas mehr als sieben Monaten auf Bewährung, die anderen drei Linken-Politiker bis zu 18 Monate auf Bewährung. Die FDP-Abgeordnete hatte laut Anklage in einigen Fällen Wahlunterlagen von Migranten ausgefüllt und in deren Beisein selbst die Kreuze gesetzt. Konsequenz: acht Monate Haft auf Bewährung und 4.000 Euro Strafe.

Welche Maschen für Betrug kennt man?

Bei der Briefwahl

Es gibt viele Wege, Wahlen zu manipulieren. Bei den aktuellen Wahlbetrugsvorwürfen zur Landtagswahl in Sachsen sollen bislang Unbekannte die Briefwahlunterlagen nachträglich zugunsten der rechtsextremen Kleinstpartei "Freie Sachsen" manipuliert haben. Wahlleiter Markus Blocher sagte dazu MDR SACHSEN: "Bereits abgegebene Stimmen waren abgeklebt in so einer feinen Form, dass es kaum erkennbar war. Dafür wurden dann Erst- und Zweitstimme für die 'Freien Sachsen' markiert."

Aktuell werde ermittelt, wer wann die Briefwahlpost gefälscht hat. Alle Dresdner Wahlkreise bei der Landtagswahl seien von Wahlfälschung betroffen. Außerdem gab es manipulierte Wahlzettel in Radeberg. Die Wahlzettel wurden inzwischen für ungültig erklärt. Mittlerwiele werden auch Ergebnisse der Kommunalwahl im Juni 2024 für Dresden nochmals überprüft.

Wahlbetrug in Dresden: Alle Wahlkreise betroffen

Noch vor Einwurf in den Briefwahlkasten

Fehlerquelle Wähler: "Wahr ist, dass die Briefwahl zusätzliche Fehlerquellen schafft: Die Wahlunterlagen müssen beantragt, verschickt, ausgefüllt und wieder zurückgeschickt werden. Dabei können den beteiligten Personen Fehler unterlaufen", sagt die Bundeszenteale für politische Bildung.

Aber auch mit bewusst falschen Registrierungen sind Wahlfälschungen möglich. Personen können versuchen, unter falscher Identität abzustimmen oder sich mehrfach registrieren. In Sachsen soll ein zentrales Wählerregister dafür sorgen, dass jede Person nur einmal abstimmen kann. Zudem müssen Wählerinnen und Wähler bei der Stimmabgabe im Wahllokal ihren Personalausweis vorzeigen.

Bewusste Manipulationen

Selbst wenn Briefwahlunterlagen ordnungsgemäß beantragt und zugeschickt wurden, kann es Manipulationen geben, indem auf den einzelnen Wähler Druck ausgeübt wird oder in dessen Beisein jemand anderes das Kreuz setzt - wie beim Wahlbetrugsskandal in Quakenbrück zur Kommunalwahl hundertfach geschehen. Die manipulierte Stimmzettel wurden in die Wahlurne geworfen, um das Ergebnis zu beeinflussen. Eine strenge Kontrolle bei Aus- und Rückgabe der Wahlunterlagen soll dies verhindern.

Beim Wahlfälschungsskandal in Stendal in Sachsen-Anhalt waren von zwölf Bürgern Stendals Vollmachten für insgesamt 179 Briefwahlunterlagen im Rathaus angefordert, direkt abgeholt und danach gefälscht worden. Laut Gesetz in Sachsen-Anhalt hätte ein Bevollmächtigter aber nur maximal vier Wahlunterlagen einreichen dürfen.

Nachdem Wähler am Wahltag verblüfft hörten, sie hätten schon per Brief gewählt und ein Wähler auf die Fälschung seine Unterschrift in der Vollmacht hinwies, flog der Betrug auf. Ein Mitarbeiter des Jobcenters, zugleich ambitionierter CDU-Stadtrat, hatte die Adressdaten für die Wahlunterlagen kopiert, beantragen lassen, fälschen und in die Briefwahlurne schicken lassen.

Aktenordner mit Unterlagen zur Briefwahl stehen Rahmen der Sitzung des Kreiswahlausschusses im Festsaal im Rathaus auf einem Tisch

Wegen des Verdachts der Wahlfälschung sind die Aktenordner mit Unterlagen zur Briefwahl für die Landtagswahl in Sachsen in Dresden noch lange kein Fall für die Ablage. (Symbolbild)

Organisatorische Fehler

In Meißen waren vor der Landtagswahl fast eine vierstellige Zahl Wählerinnen und Wähler ohne Wahlunterlagen geblieben. Das Problem fiel rechtzeitig auf und die Unterlagen wurden eineinhalb Wochen vor dem Wahltag zugestellt. Laut Stadt hatte das Problem beim Postzustelldienst gelegen.

2021 hat die Wahl zum Deutschen Bundestag in Berlin gezeigt, "was durchaus alles schief gehen kann", sagte die Politikwissenschaftlerin Gabriele Abels. Bei der Wahl gab es keine direkten Wahlfälschungen, aber neben falschen und fehlenden Stimmzetteln auch zu wenige Wahlurnen, teils waren Wahllokale geschlossen gewesen und Wählerinnen und Wähler mussten stundenlang anstehen. Die Wahl musste schließlich wiederholt werden.

Am Wahlabend selbst: Bei und nach der Auszählung

Stimmzettel könnten zugunsten einer bestimmten Partei oder eines Kandidaten von Wahlhelfern vernichtet werden, um das Ergebnis zu beeinflussen. Um das zu verhindern, erfolgt die Auszählung der Stimmen öffentlich für jeden Bürger und unter Aufsicht.

Doppelte Staatsbürgerschaften von EU-Ländern

Bei Europawahlen denken viele, dass sie doppelt wählen können, wenn sie die doppelte Staatsbürgerschaft zweier EU-Länder haben. Aber: Wer in Deutschland gegen das Verbot der doppelten Stimmabgabe verstößt, macht sich strafbar. Problematisch ist, dass es bei EU-Doppelstaatlern eine Rechtslücke gibt und beispielsweise spanische Behörden nicht wissen, ob spanische Staatsbürger, die auch einen deutschem Pass besitzen, bereits in Deutschland abgestimmt haben - oder umgekehrt. Die EU-Länder haben da Kommunikationslücken.

Was passiert mit den abgegebenen Stimmzetteln?

Nach der Wahl werden die Stimmzettel nicht einfach weggeworfen. Sie werden geordnet, gebündelt und sicher verwahrt. Dafür gelten Fristen, die genau in der Landeswahlordnung geregelt sind. Darin heißt es, dass Wählerverzeichnisse, Wahlscheinverzeichnisse und Formblätter mit Unterstützungsunterschriften für Wahlvorschläge nach Ablauf von sechs Monaten seit der Wahl zu vernichten seien. Das gilt aber nicht, wenn der Landeswahlleiter mit Rücksicht auf ein schwebendes Wahlprüfungsverfahren etwas anderes anordnet oder sie für die Strafverfolgungsbehörde zur Ermittlung einer Wahlstraftat von Bedeutung sein können.

Alle übrigen Wahlunterlagen sind 60 Tage vor der Wahl des neuen Sächsischen Landtags zu vernichten, also in fünf Jahren. Sie können auf Anordnung der Landeswahlleitung auch eher weg oder länger aufbewahrt werden, wenn wegen einer Wahlstraftat ermittelt wird. (Quelle: §77 und §78 Landeswahlordnung).

MDR (kk/kbe)