Sachsen Kassenärzte-Chef Heckemann wegen "Eugenik"-Äußerungen unter Druck

Stand: 29.08.2024 16:44 Uhr

Der Begriff "Eugenik" steht für die Lehre der vermeintlich guten Erbanlagen. Die Nationalsozialisten verübten unter dem Deckmantel der "Eugenik" Massenmorde an behinderten Menschen zum Zweck der vermeintlichen "Erb- und Rassenhygiene". Der Chef der Kassenärztlichen Vereinigung in Sachsen, Klaus Heckemann, hat nun mit Äußerungen von einer "humanen Eugenik" für Empörung gesorgt. Landesärztekammer und Sozialministerium distanzieren sich, die KVS bittet um Entschuldigung.

Von MDR SACHSEN

Sachsens Landesärztekammer distanziert sich von den umstrittenen "Eugenik“-Aussagen des Chefs der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), Klaus Heckemann. Heckemann wecke mit seinen Äußerungen "automatisch Erinnerungen an die deutsche Vergangenheit", teilte die Ärztekammer mit. Dies sei "mit dem ärztlichen Ethos unvereinbar". Es gebe "das Recht eines jeden auf Leben und körperliche Unversehrtheit". Mit seinen Äußerungen habe Heckemann eine Grenze überschritten.

Der Sächsische Hausärztinnen- und Hausärzteverband teilte mit, er erwarte, dass Heckemann sich zu den Aussagen erklärt. "Der Verweis von Herrn Dr. Heckemann, dass es sich um ein Missverständnis handele, ist in keinster Weise ausreichend." Ansonsten hält der Verband einen Rücktritt für unvermeidlich.

Heckemann: "Eugenik in ihrem besten und humansten Sinn"

Der KV-Chef hatte sich in einem offiziellen Text zur Humangenetik geäußert und darin von "Eugenik" in "ihrem besten und humansten Sinn" gesprochen. In einem Editorial beschreibt er eine "Zukunftsvision", bei der Kosten für die Suche nach Mutationen im genetischen Material drastisch optimiert wären.

Dann sei denkbar, dass "allen Frauen mit Kinderwunsch eine komplette Mutationssuche" nach allen bekannten vererbbaren, schweren Erkrankungen angeboten werde. Mittels künstlicher Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik könnte so die Geburt eines schwerstkranken Kindes ausgeschlossen werden.

Hochschulmediziner: Heckemann nicht mehr tragbar

Auch die Dresdner Hochschulmedizin hat den KVS-Chef in einem offenen Brief an Sozialministerin Petra Köpping (SPD) für seine Äußerungen scharf kritisiert. Das Uniklinikum und die medizinische Fakultät der TU Dresden werfen Heckemann vor, er baue "unabhängig von den ethisch abstoßenden Äußerungen (...) seine Visionen zur Nutzung der gendiagnostischen Möglichkeiten auf inhaltlich zum Teil grotesk falschen Annahmen auf." Die Mediziner, darunter mehrere Hochschulprofessoren, halten Heckemann für nicht mehr tragbar.

Sozialministerium: Heckemann wird Verantwortung nicht gerecht

Sozialministerin Köpping distanzierte sich ebenfalls von den Aussagen Heckemanns und schloss sich der Kritik der Verbände und Fachgesellschaften ausdrücklich an. "Aus meiner Sicht werden die Einlassungen seiner Funktion und Verantwortung als Vorstandsvorsitzender der KVS nicht gerecht."

Aus meiner Sicht werden die Einlassungen seiner Funktion und Verantwortung als Vorstandsvorsitzender der KVS nicht gerecht. Petra Köpping (SPD) | Sozialministerin Sachsen

Und weiter: "Die Vielzahl entsetzter Reaktionen zeigen, dass diese Aussagen der KVS und damit auch den dort organisierten Ärztinnen und Ärzten schaden." Köpping habe am Mittwoch das Gespräch mit Heckemann gesucht und ihre Position zum Ausdruck gebracht. Das Sozialministerium hat zwar die Aufsicht über die KVS, den Vorsitzenden wählt aber die sogenannte Vertreterversammlung.

KVS-Hauptausschuss: Vor Veröffentlichung ausdrücklich gewarnt

Der Hauptausschuss der KV Sachsen teilte am Mittwoch mit, von der Veröffentlichung sei im Vorfeld von mehreren Seiten, auch aus den maßgeblichen Gremien heraus, gewarnt worden. "Die schlussendliche Entscheidung dazu liegt jedoch in der Verantwortung des Vorstandsvorsitzenden." Das Gremium distanziere sich nachdrücklich von der Publizierung.

Es handelt sich um eine persönliche Meinung und entspricht nicht der der KV Sachsen. Hauptausschuss der Kassenärztlichen Versammlung Sachsen |

Mit den Äußerungen im Editorial sei ein gesellschaftlich wie medizinisch relevantes und sehr bedeutendes Thema in ein falsches Licht gerückt worden. "Es handelt sich um eine persönliche Meinung und entspricht nicht der der KV Sachsen." Heckemann habe damit eine Grenze überschritten, die vom Hauptausschuss missbilligt werde. Die KVS bitte dafür um Entschuldigung. "Der Hauptausschuss wird mit der Vertreterversammlung den Vorgang ausführlich aufarbeiten und notwendige Konsequenzen diskutieren."

Der Hauptausschuss der Vertreterversammlung besteht aus dem Vorsitzenden, dessen Stellvertreter und den drei Vorsitzenden der Regionalausschüsse für Chemnitz, Dresden und Leipzig.

Entscheidung über Heckemanns Zukunft nächste Woche?

Heckemann selbst wollte sich auf Anfrage von MDR SACHSEN bislang nicht zu seinen Aussagen äußern. Nach Informationen der "Freien Presse" will die Vertreterversammlung am kommenden Mittwoch über die Zukunft Heckemanns beraten.

Kritik auch aus Politik, Kirche und Gesellschaft

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, Markus Scholz, hält die Äußerungen Heckemanns "in ihrem besten und humansten Sinn" für unsäglich. "Es ist nicht das erste Mal, dass er den KVS-Vorsitz zur Verbreitung seiner persönlichen politischen Meinung benutzt."

Die Linken-Politikerin Susanne Schaper erklärte, Heckemann bringe durch die Verwendung des Begriffs "Eugenik" eine wichtige ethische Debatte nicht voran, sondern vergifte sie.

Auch Sachsens katholischer Bischof Heinrich Timmerevers kritisierte die Humangenetik-Äußerungen Heckemanns scharf. Er weise dessen Überlegung und Formulierungen "mit ihren Bezügen zur Eugenik" entschieden zurück, sagte Timmerevers. "Sie rufen Assoziationen an dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wach und sind mit Wert und Würde des Lebens jedes einzelnen Menschen unvereinbar."

Der Inklusionsbeauftragte der Landesregierung Michael Welsch erklärte, allein die Wortwahl verbiete sich von selbst. "Derartige Aussagen sind auch ein Beleg dafür, dass bis in breite Fachkreise hinein noch häufig von einem rein medizinischen Modell von Behinderung ausgegangen wird, das vordergründig auf Defizite abstellt," so Welsch.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Humangenetik schloss sich mehreren Rücktrittsforderungen an. Heckemanns Aussagen seien "fachlich falsch sowie aus gesundheitspolitischer und ethischer Sicht unhaltbar."

MDR (kbe)/epd