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Sachsen Keine Toleranz? Kritik an Punktabzug beim Gendern in Sachsens Schulen

Stand: 05.08.2024 16:38 Uhr

In Sachen Gendern zieht das sächsische Kultusministerium die Zügel an. War es bislang nur für Ämter, Verwaltungen, Projektpartner und Lehrkräfte verboten, sollen nun Schülerinnen und Schüler, die in schriftlichen Arbeiten gendern, aufgrund von Punktabzug schlechtere Noten bekommen. Dagegen üben Vertreter und Vertreterinnen von Lehrer- und Schülerverbänden in Sachsen Kritik.

Von MDR SACHSEN
  • Das Kultusministerium in Sachsen hat seine Regeln für das Verwenden von Gendersprache an Schulen verschärft.
  • Der Sächsische Lehrerverband hat einerseit eine klare Regelung begrüßt, sieht andererseits aber auch Probleme beim Umgang damit.
  • Sächsische Studenten befürchten einen Standortnachteil für den Freistaat aufgrund des Genderverbotes.

Gendern in Schularbeiten soll sich in Sachsen künftig negativ auf die Noten auswirken. Wurde die geschlechtergerechte Sprache mit Gendersternchen oder Binnen-I bislang nur als Fehler angestrichen, allerdings folgenlos blieb, soll sie ab Beginn des neuen Schuljahrs auch negativ in die Bewertung der Schreibleistungen eingehen. Das teilte das sächsische Kultusministerium vor Beginn des neuen Schuljahres 2024/2025 mit. Grund dafür ist den Angaben zufolge, dass das Gendern vom Rat für deutsche Rechtschreibung nicht ins Amtliche Regelwerk aufgenommen wurde. Das bleibt nicht unwidersprochen.

Rat für Deutsche Rechtschreibung: Gendern nicht Kernbestand der deutschen Orthografie

"Der Rat für deutsche Rechtschreibung betont, dass Sonderzeichen im Wortinneren wie Asterisk ("Gender-Stern"), Unterstrich ("Gender-Gap"), Doppelpunkt oder andere, die die Kennzeichnung aller Geschlechtsidentitäten vermitteln sollen, nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie gehören", so das Ministerium. Nachdem alle deutschsprachigen Länder den Neuregelungen zugestimmt hätten, sei dieses Regelwerk verbindliche Grundlage für den Unterricht an Schulen.

Und damit, wie Kultusminister Christian Piwarz (CDU) MDR SACHSEN sagte, bedeutet diese Festlegung in einem amtlichen Regelwerk, dass Gendern "eben nicht nur als Fehler anzumerken ist, sondern auch in der Benotung bei den Schreibleistungen zu berücksichtigen ist".

Pro und Contra vom Sächsischen Lehrerverband

Wie Deutschlehrer René Michel vom Sächsischen Lehrerverband (SLV) MDR SACHSEN sagte, freue man sich einerseits über die Klarstellung. "Weil wir wissen, was wir nutzen dürfen und was nicht." Gleichzeitig bedeute es einen Eingriff "in unsere pädagogische Freiheit", so der SLV-Landesvize. Michel zufolge wurde frisch ausgebildeten Lehrkräften eine geschlechtergerechte und geschlechtersensible Sprache an der Uni als Voraussetzung beigebracht. Dass sie das in der Schule nicht anwenden dürften, mache ihnen die Arbeit schwer.

Auf der einen Seite wissen wir jetzt, was wir nutzen dürfen und was nicht. Auf der anderen Seite ist es ein Eingriff in unsere pädagogische Freiheit. René Michel | Stellvertretender Vorsitzender Sächsischer Lehrerverband und Deutschlehrer

Landesschülerrat kritisiert neue Regel

Deutliche Kritik hat der Landesschülerrat Sachsen geübt. "Für uns ist das ein Unding. Menschen, die gendern wollen, sollen das machen dürfen und nicht dafür bestraft werden", sagte die Landesvorsitzende Amy Kirchhoff MDR SACHSEN. Jeder solle als Kompromiss frei entscheiden können, wie er mit dem Thema umgehen möchte. Eine negative Bewertung des Genderns wirke sich auch auf die Gesamtbewertung eines Schuljahres aus. Kirchhoff zufolge steht das in keinem Verhältnis.

Chemnitzer Grüne gegen Genderverbot an Schulen

Die Chemnitzer Grünen positionieren sich klar gegen das Vorgehen des Kultusministeriums. "Die weitere Verschärfung des Genderverbots an sächsischen Schulen ist ideologische Verbotspolitik auf den Rücken von jungen Menschen", sagt Vorsitzende Coretta Storz. "Die Verwendung geschlechtergerechter Sprache ist ein Sprachwandelphänomen, dass sich noch im Prozess der Normbildung befindet – nur deswegen ist es nicht Teil der amtlichen Regelwerke." Das Genderverbot sei falsch und rückschrittlich.

Genderverbot für offizielle Schreiben bereits seit drei Jahren in Kraft

Bereits vor drei Jahren hatte das Kultusministerium in einem Schreiben an die Schulen verfügt, dass für offizielle Schreiben, Briefe an Eltern und Unterrichtsmaterialien das amtliche Regelwerk gelte und Sonderzeichen für eine geschlechtsneutrale Sprache tabu seien. Im vergangenen Jahr wurden diese Vorgaben auf Vereine, Verbände und Stiftungen, die für das Ministerium tätig werden, ausgeweitet. Daraufhin hatten sich zahlreiche Gruppierungen gegen diesen Erlass positioniert.

Ausländerrat: Erlass hat politische Dimension

Der Ausländerrat Dresden hat sich im Februar dieses Jahres klar gegen den Erlass des Kultusministeriums geäußert. Es gehe bei dem Erlass um weit mehr als die "richtige" Schriftsprache. Er habe ganz klar auch eine politische Dimension. "Gendergerechtigkeit ist eines der Themen, denen Rechtspopulist*innen und weitere politische Kräfte den Kampf angesagt haben", so der Ausländerrat in einer Pressemitteilung. "Hier erreichte Fortschritte sollen nach ihrem Willen revidiert, die positiven Entwicklungen der letzten Jahre zurückgedreht werden." Der Erlass spiele diesen Kräften in die Hände und stärke anti-emanzipatorische Diskurse in der Gesellschaft.

Kinderschutzbund: Erlass geht an Lebenswelten von Kindern vorbei

Aus Sicht des Landesverbands Sachsen des Kinderschutzbundes geht der Erlass an den Lebenswelten und -wirklichkeiten von Kindern und Jugendlichen in Sachsen vorbei. "Wir wissen, dass eine geschlechtergerechte Sprache für viele junge Menschen sowie Fragen nach vielfältigen Geschlechtsidentitäten wichtig sind", schreibt der Verband in einer Stellungnahme im vergangenen Jahr. Sprache wandele sich insbesondere durch Zeit- und Gesellschaftssituationen. "Wir halten geschlechtergerechte Sprache für einen Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts in einer diversen und gleichberechtigten Gesellschaft", so der Kinderschutzbund weiter.

Sachsens Studenten befürchten Abwanderung von Personal

Die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) befürchtete als Folge des Genderverbots an Schulen des Freistaates im vergangenen Jahr eine Abwanderung von Personal. KSS-Sprecher Ludwig Firkert sagte MDR SACHSEN, er sei "verärgert, dass das Kultusministerium rigide versucht, Sachen vorzuschreiben oder zu verbieten". Er glaubt, dass dadurch "Sachsen als Standort für Lehrernachwuchs unattraktiver wird".

KSS-Referentin Fay Uhlmann sieht durch das Genderverbot nicht-binäre Schülerinnen und Schüler diskriminiert. Nicht-Binär ist eine Bezeichnung für Menschen, die sich weder als Mann noch als Frau identifizieren. Auch Lehramtsstudent Firkert stößt sich daran, dass das "dritte Geschlecht in der jetzigen Sprachregelung nicht genannt wird, das Thema ist einfach gesellschaftlich relevant, auch über Schulen und Unis hinaus".

Deutscher Lehrerverband für Toleranz gegenüber Schülern

Im Februar vergangenen Jahres hatte sich der Deutsche Lehrerverband allgemein zum Thema gendern an Schulen geäußert. Gendern durch Lehrerinnen und Lehrer lehnt der Verband ab. Lehrkräfte sollten sich im Unterricht "an das amtliche Regelwerk halten und nicht vorgesehene Schreibungen unterlassen", sagte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, der Deutschen Presse-Agentur. Bei Schülern sollten sie allerdings "tolerant und zurückhaltend" sein, wenn diese in Aufsätzen und Klausuren "nichtamtliche Genderschreibweisen" verwendeten, fügte er hinzu.

Welche Formen des Genderns gibt es?

- Beidnennung: Beide Geschlechter werden genannt. Zum Beispiel Lehrer oder Lehrerinnen. - Neutralisierung: Die männliche Form wird durch geschleuchtsneutrale Formen, z.B. Lehrkraft, oder Substantivierung, z. B. Lehrende, ersetzt. - Gender-Zeichen: Für die mehrgeschlechtliche Schreibweise wird zwischen männlicher Form und weiblicher Endung ein Sternchen, Unterstrich oder Doppelpunkt ergänzt. Zum Beispiel Lehrer*innen.

MDR (ali/ste/wim/)