Polizisten räumen eine Sitzblockade am Rande einer Demonstration gegen den Bundesparteitag der AfD.

Sachsen Nach Großeinsatz der Polizei in Riesa: Empörung und Rufe nach Aufklärung

Stand: 14.01.2025 16:36 Uhr

Der Polizeieinsatz in Riesa wegen des AfD-Bundesparteitags und Gegendemonstrationen steht aus verschiedenen Richtungen in der Kritik. Die Polizei Dresden recherchiert noch zum Protestwochenende. Sowohl die Linke als auch die AfD verlangen Aufklärung über Vorfälle in Riesa auf Landtagsebene. Derweil provoziert ein AfD-Landtagsabgeordneter aus dem Saarland mit einer Nachricht. Das ist der aktuelle Stand.

Von MDR SACHSEN

Nach dem umstrittenen Polizeieinsatz zum AfD-Bundesparteitag am vergangenen Wochenende mit rund 4.000 Beamten in Riesa ermittelt nicht nur die Staatsanwaltschaft Dresden, sondern es kursieren auch diverse Berichte in sozialen Medien.

Polizei ermittelt nach Anzeige von Brandenburger AfD-Fraktionschef

Weitergeleitet werden offenbar Berichte, wonach AfD-Politiker bei der Anfahrt am Sonnabend angeblich von linken Gegendemonstranten angegriffen und verletzt worden seien. Dazu wiederholte die Polizei Dresden am Dienstagvormittag zunächst den Sachstand, der auch am Sonntag bereits genannt wurde. Es gebe keine Erkenntnisse dazu.

Am Nachmittag erklärte ein Polizeisprecher, es laufe ein Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines 68-Jährigen bei der Polizeidirektion Dresden. Nach dpa-Informationen handelt es sich dabei um den brandenburgischen AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt. "Demnach ist der Mann auf dem Weg zum AfD-Parteitag von einer unbekannten Personengruppe attackiert worden", sagte der Polizeisprecher. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens seien die genauen Umstände zu klären. 

Nach Berndts Angaben wurde er am Samstag bei der Anreise im Auto sitzend von "Antifa-Leuten" umzingelt. Diese hätten sein Auto mit Stickern beklebt und die Luft aus den Reifen gelassen. Daraufhin habe er kurz den Wagen verlassen. Als er erneut in sein Auto steigen wollte, habe ihn jemand "die Autotür an den Kopf" geknallt.

Neue Polizei-Bilanz des Wochenendes

Laut neuer Polizeizusammenfassung gab es am Dienstagnachmittag Meldungen von 30 verletzten Polizeibeamten. Neun davon hätten sich ohne Fremdbeteiligung verletzt, sagte ein Sprecher MDR SACHSEN. Und weiter: "Zehn Polizeifahrzeuge sind während der Einsatztage in Riesa beschädigt worden." Polizisten der sächsischen Landespolizei, Bundespolizei und aus zwölf weiteren Bundesländern waren demnach am Wochenende in Riesa im Einsatz.

Insgesamt leitete die Polizei nach eigenen Angaben 70 Ermittlungsverfahren ein, darunter 13 wegen Körperverletzungsdelikten, acht wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte und sechs Verfahren wegen Landfriedensbruchs. Zwei Personen seien in Riesa vorläufig festgenommen worden.

Proteste Riesa

Rund 4.000 Polizeibeamte aus Sachsen und elf weiteren Bundesländern waren am Samstag in Riesa im Einsatz. Einige waren auch mit Polizeihhundestaffel dabei.

Ermittlungen gegen Diensthundeführer

Ein weiteres Ermittlungsverfahren wurde gegen einen Diensthundeführer eingeleitet, wie die Staatsanwaltschaft Dresden am Dienstag mitteilte. Dem sächsischen Polizeibeamten wird vorgeworfen, einen Demonstranten unter Einsatz seines Diensthunds über die Leitplanke von einer Straße gedrängt zu haben. Ob es dadurch Verletzungen oder Sachschäden gab, sei Gegenstand der Ermittlungen.

Gegen den Bereitschaftspolizisten gibt es auch interne Ermittlungen der Polizei wegen einer möglichen Dienstpflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Polizeihund.

Ermittlungen zu verletztem Landtagsabgeordneten

Zudem werde intern wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegen einen Beamten ermittelt, der den Landtagsabgeordneten der Linken, Nam Duy Nguyen und dessen Begleiter mit einem Schlag niedergestreckt haben soll. Die Innenministerin von Niedersachsen, Daniela Behrens (SPD) ließ daraufhin mitteilen: "Ich bedauere es außerordentlich, dass ein Landtagsabgeordneter der Linken in Sachsen offenbar während des Einsatzes niedersächsischer Polizeikräfte verletzt wurde."

Die Vorsitzende der sächsischen Linksfraktion, Susanne Schaper, verlangte von Innenminister Armin Schuster (CDU) schnellste Aufklärung. Nam Duy Nguyen habe sich stets friedlich verhalten. Er sei als parlamentarischer Beobachter für die Linke in Riesa gewesen.

Was heißt denn parlamentarischer Beobachter? (zum Ausklappen)

  • Fraktionen vieler Parteien schicken zu Versammlungen und Demos eigene Abgeordnete, die sich ein eigenes Bild machen und später darüber in ihren Fraktionen oder bei Diskussionen darüber berichten.
  • Die Landtagsverwaltung in Dresden erklärt dazu, dass das geltende Recht keine Institution eines "parlamentarischen Beobachters" bei Demos vorsieht. "Abgeordneten kommt im Vergleich zum 'Normalbürger' versammlungsrechtlich keine Sonderstellung zu. Für sie gelten die gleichen Rechten und Pflichten wie für jedermann. Insbesondere sind sie gehalten, die vollziehbaren Anordnungen der Versammlungsbehörde bzw. der Polizei zu befolgen", erklärt Ministerialrat Ivo Klatte. Eine "Vermittlungsfunktion kraft Amtes zwischen Polizei/Versammlungsbehörde und Anmeldern/Teilnehmern einer Versammlung" komme Abgeordneten daher rechtlich nicht zu.
  • Nur mit Blick "auf Freiheitsbeschränkungen ergeben sich aus der Immunität bestimmte Besonderheiten", so Klatte.
  • Abgeordnete des Bundestags und der Landtage in Deutschland genießen für die Dauer ihres Mandats Immunität. Die Basis dafür ist Artikel 46 des Grundgesetzes.
  • Die Immunität schützt politische Mandatsträger vor Strafverfolgung und stellt Hürden auf, wenn eine Staatsanwaltschaft einen Mandatsträger verdächtigt oder gegen ihn ermittelt. Die Immunität bezieht sich nur auf die Verfolgung wegen einer Straftat. Sie gilt nicht bei zivilrechtlichen Streits. Mehr dazu finden Sie hier.

Verein und Verdi nennen eigene Opferzahlen

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln wirft den Polizei- und Ordnungsbehörden gezielte Gewalt während der Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag in Riesa vor und sagte: Etwa 20 bis 30 Menschen seien im Nachgang ärztlich behandelt worden.

Auch die Gewerkschaft Verdi kritisierte am Montag den Umgang mit Journalisten in Riesa. Sie sprach von Einschränkungen der Pressefreiheit und körperlichen Übergriffen. Innerhalb einer Polizeikette habe es Übergriffe auf Medienvertreter gegeben: "Sie wurden Opfer von Tritten, Schlägen und dem Einsatz von Pfefferspray vonseiten der Polizei", sagte Gewerkschaftssekretär Lucas Munzke.

Sachsens AfD will Aufklärung im Landtag

Die sächsische AfD verlangt eine Sondersitzung des Innenausschusses im Sächsischen Landtag. "Wir werden CDU-Innenminister Armin Schuster einen ausführlichen Fragenkatalog zum Einsatzgeschehen zustellen", kündigte AfD-Innenpolitiker Sebastian Wippel an. Auch er sprach von Angriffen auf Spitzenpolitiker seiner Partei und nannte die Namen Alice Weidel und Hans Christoph-Berndt. Zudem bedürfe die Auseinandersetzung zwischen der Polizei und dem sächsischen Linken-Politiker Nam Duy Nguyen einer Klärung. Die AfD will auch wissen, wie viele Rettungsfahrzeuge im Stau steckengeblieben seien.

Dass Rettungswagen von Straßenprotesten behindert worden seien und Riesa einen Tag lang lahm gelegt gewesen sei, kritisierte auch der Oberbürgermeister der Stadt, Marco Müller (CDU). "Menschen kamen nicht zu ihrem Arbeitsplatz, Rettungsfahrzeuge mussten längere Wege und Verzögerungen in Kauf nehmen", weil sich nach Müllers Worten einige der mehr als 10.000-Demo-Teilnehmer nicht an die festgelegten Versammlungsorte gehalten hätten.

Der Protestzug gegen den AfD-Parteitag geht von der Rostocker Straße auf ein Feld.

Darüber ärgerte sich der OB von Riesa auch, dass sich Protestteilnehmer in Riesa nicht an abgesprochene Versammlungsorte hielten. Hier lief ein ganzer Demozug von der Rostocker Straße in Riesa aus über ein Feld, um an anderer Stelle eine Zufahrt zu blockieren.

SPD will AfD-Abgeordneten aus Saarland anzeigen

Mit seiner Reaktion auf den Vorfall um Nguyen ist unterdessen der Landtagsabgeordnete der AfD im Saarland, Christoph Schaufert, aufgefallen. Er verteidigte in einer Whatsapp-Nachricht die Polizeigewalt und schrieb in abfälliger Sprache, der Linke-Landtagsabgeordnete Nguyen habe "auf alle Fälle zu wenig" Schläge abbekommen. Der Saarländische Rundfunk zitiert Schaufert mit den Worten: Diese Mitteilung sei nicht für die Öffentlichkeit gewesen und habe der "Frustbewältigung" gedient, weil der Bundesparteitag wegen der Gegenproteste mit mehr als zweistündiger Verspätung begonnen hatte.

Der SPD-Fraktionschef Ulrich Commerçon kündigte via Instagram-Post an: "Ich werde das zur Anzeige bringen." Denn Schaufert sage damit, "dass er den betroffenen Politiker gern noch schwerer verletzt oder tot gesehen hätte".

MDR (kk/asc)/dpa/epd