Ein Mädchen am Weihnachtsbaum.

Sachsen Seit 200 Jahren "O Tannenbaum": Ein Weihnachtshit aus Leipzig

Stand: 22.12.2024 09:00 Uhr

Pro Jahr werden rund 30 Millionen Nadelbäume gefällt und in Deutschlands Wohnzimmern aufgestellt. Gekapptes Leben, dass Weihnachten "fromm und lichterheilig wird", dichtete Rilke über die Tradition, die 400 Jahre zuvor Martin Luther zum Symbol für das christliche Fest der Protestanten erklärt hatte. Seitdem wird am und unterm Baum Weihnachten gefeiert. Und seit 1824 bestaunt und besingt die Welt besonders inniglich den Tannenbaum. Das hat mit einem Leipziger Lehrer und Kantor zu tun.

Von MDR SACHSEN

Vor genau 200 Jahren hat der Leipziger Kantor, Lehrer, Komponist und Theologe Ernst Anschütz das Lied "O Tannenbaum" in seiner jetzigen Form veröffentlicht. Anschütz brachte den Klassiker zusammen mit anderen Liedern 1824 in seinem "Musikalischen Schulgesangbuch" heraus. Die Texte für das Buch fand er im überlieferten Liedgut oder in Zeitungen und Zeitschriften, für die er arbeitete. Und: Er dichtete sie auch selbst, schreibt der Musikwissenschaftler Tobias Widmaier vom Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Universität Freiburg. Unter den 1824 erschienenen Kinderliedern waren laut Freiburger Institut außer "O Tannenbaum" auch "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" und "Alle meine Entchen".

Hoffnung statt traurige Liebe

Anschütz, der von 1780 bis 1861 lebte, nutzte für das "Tannenbaum-Lied" ein trauriges Liebeslied, in dem ein Tannenbaum der treue, stets grüne Begleiter einer untreuen Geliebten ist. Das hatte der Berliner Pädagoge August Zarnack (1777-1827) geschrieben. Der Leipziger Kantor erinnerte sich beim Komponieren an seine Thüringer Heimat (er wurde im Suhler Ortsteil Goldlauter-Heidersbach geboren) und formte das Liebeslied um zu einem hoffnungsvollen Weihnachtslied. Die Melodie der Volksweise und die erste Strophe von Zarnack behielt er bei, strich aber die restlichen Strophen und dichtete zwei neue dazu. Seitdem steht der Baum im Mittelpunkt. Die Noten setzte Anschütz für zwei Singstimmen.

Der Liedtext zum Üben für den Heiligabend (zum Ausklappen)

  • O Tannenbaum, o Tannenbaum! Wie treu (auch: grün) sind deine Blätter; du grünst nicht nur zur Sommerzeit, nein, auch im Winter, wenn es schneit. O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie treu sind deine Blätter.
  • O Tannenbaum, o Tannenbaum, du kannst mir sehr gefallen; wie oft hat nicht zur Weihnachtszeit ein Baum von dir mich hoch erfreut. O Tannenbaum, o Tannenbaum, du kannst mir sehr gefallen.
  • O Tannenbaum, o Tannenbaum, dein Kleid will mir was lehren: Die Hoffnung und Beständigkeit gibt Trost und Kraft zu jeder Zeit! O Tannenbaum, o Tannenbaum, dein Kleid will mir was lehren.

Deutungsoffenheit des Baumes als Erfolgsfaktor

Das Weihnachtslied entwickelte sich zur Volksweise und wurde später auch für viele Parodien genutzt. "Vermutlich handelt es sich um das erste Lied, das einen Zusammenhang zwischen Tannenbaum und Weihnachtsfest herstellt", schreibt der Freiburger Musikwissenschaftler Tobias Widmaier. Zwar habe der Leipziger Theologe und Lehrer Anschütz das Lied als ein religiöses Werk entworfen, es sei aber deutungsoffen.

Mitglieder des MDR-Kinderchores beim Konzert in Halberstadt

Der MDR-Kinderchor singt "O Tannenbaum" auch in den Advents- und Weihnachtskonzerten. Der Chorleiter Alexander Schmitt griff das Lied wegen des 200. Jubiläums und des Bezugs zu Leipzig auf. Die Melodie gehe total ins Ohr und bleibe im Kopf hängen. Sie sei so schmissig, dass sie auch junge Leute begeistere und im kulturellen Gedächtnis hängenbleibe.

In der christlichen Kultur ist der Tannenbaum Symbol fürs ewige Leben und für die Hoffnung auf Wiedergeburt. Die immergrünen Nadeln stünden für Beständigkeit und Leben auch in den kalten Monaten des Jahres. Der Tannenbaum werde andernorts auch als Schutzsymbol gegen böse Geister und schlechte Energien gedeutet, er steht für Glück und Wohlstand im neuen Jahr oder er wird zur Wintersonnenwende gefeiert, um die Rückkehr des Lichts zu begrüßen.

Der Geschäftsführende Direktor des Freiburger Musikforschungsinistituts, Michael Fischer, betont: Die Melodie sei leicht, das Lied insgesamt volkstümlich. Der Text hat die "Qualität einer bestimmten Unbestimmtheit". Besungen wird der Tannenbaum, nicht der Christbaum. Das sei ein Grund für den großen Erfolg weltweit - bis heute.

Funfacts zum Lied
- Zur Melodie von "O Tannenbaum" wurden jahrzehntelang die Hymnen der US-amerikanischen Bundesstaaten Maryland und Florida gesungen. Inoffiziell ist das in Michigan und Iowa noch heute so. - Der Fans des englischen Fußballvereins FC Chelsea besingen ihren Club mit "We’ll keep the blue flag flying high" zur Tannnbaum-Melodie. - Auf Island gibt es ein Schullied zu diesen Noten.

MDR (kk)/epd (K. Rögner)