Sachsen Shanty-Chor Görlitz: Kein Meer in Sicht, aber Seemannslieder im Ohr
Shanties waren einst die Arbeitslieder der Seemänner. Heute werden sie immer noch gerne gesungen, und das auch fernab vom Meer. So wie in Görlitz. Hier singen seit fast 20 Jahren Männer einmal in der Woche von Fernweh und nach Hause kommen oder von der harten Arbeit an Bord. Sie haben nur ein Problem: Ihnen fehlt momentan ein richtiger Dirigent.
Wenn 30 Männer Seemannslieder schmettern, dann wird es laut. So wie jeden Donnerstagabend in der Gaststätte "Zur alten Freundschaft" in Görlitz. Hier im Vereinszimmer des Shanty-Chores proben sie für ihren nächsten Auftritt. Am Dirigentenpult steht Eberhard Hahn. Der 74-Jährige ist tatsächlich einmal fast zwei Jahre zur See gefahren, bei der Handelsmarine der DDR.
Hahn ist gelernter Kfz-Schlosser. "Damals wollte ich meine Freiheit, habe mich beworben und bin tatsächlich angenommen worden", erinnert er sich. So kam er auf das Schiff Zeulenroda und hat dort als Maschinenassistent gearbeitet. Auf den großen Weltmeeren sei er nicht unterwegs gewesen, dafür aber auf der Nord- und Ostsee bis nach England. "Das war schon schön." Aber aus gesundheitlichen Gründen musste er wieder an Land.
Vom Sänger zum Dirigenten
Das Meer hat er trotzdem nicht vergessen und singt seit 2007 im Shanty-Chor mit. Damals hatte er ihn bei einem Auftritt erlebt und wollte danach unbedingt mit dabei sein. Inzwischen ist er sogar Vereinschef. Dass er jetzt am Dirigentenpult steht, sollte eigentlich nur eine Übergangslösung sein, nachdem der bisherige musikalische Leiter gegangen ist, erzählt Eberhard Hahn. Denn eigentlich sei er ja nur Hobbysänger und kein Dirigent. Aber das Provisorium dauere inzwischen schon mehrere Jahre, da sich kein neuer Leiter finde.
Ich halte eigentlich nur noch kommissarisch den Dirigentenstab hoch. Eberhard Hahn | Vereinschef des Shanty-Chores Görlitz
Schwierige Suche
"Wir haben wirklich überall angefragt", sagt auch Uta Möller. Sie ist im Chorvorstand und begleitet die Männer mit ihrem Akkordeon. "Aber entweder ist es nicht die richtige Musikrichtung oder diejenigen, die bereits Chöre leiten, haben keine Zeit für weitere." Zeit bräuchte allerdings der neue Dirigent, denn der Chor ist viel unterwegs. 30 bis 40 Auftritte habe er im Jahr und jede Woche eine Probe, sagt Uta Möller. Dafür sei das Repertoire groß, mehr als 70 Lieder könnten die Männer singen: "Alles auswendig. Da staune ich immer wieder, wie die Männer das hinkriegen."
Sehnsucht nach Meer
Dabei sind die meisten von ihnen schon im Rentenalter oder weit darüber hinaus. So wie Karl Jugert, der den Chor vor fast 20 Jahren mitgegründet hat. Inzwischen ist der ehemalige Ingenieur 85 Jahre alt. "Ich komme von der Küste und habe die Musik schon immer gemocht", erzählt er. Wenn er nicht zu den Proben gehe, dann fehle ihm etwas. Denn es ist nicht nur das Singen, dass die Männer bei der Stange hält. Ihm gefalle auch die Gemeinsamkeit im Chor, erzählt Mitsänger Ulrich Würfel. Außerdem habe er mal Seemann werden wollen. Das habe zwar nicht geklappt, dafür singe er eben Shanties.
So wie Ulrich Würfel sind momentan die wenigsten Chorsänger echte Seemänner. Die meisten haben aber eine Verbindung zum Wasser, schließlich ist der Berzdorfer See nicht weit. Dort gehen einige Segeln und tritt der Chor öfter auf.
Singen hält jung
Das hohe Durchschnittsalter der Chormitglieder sei zumindest für die Stimmen kein Problem, findet Vereinschef Eberhard Hahn. Nur mit dem langen Stehen hätte mancher ein Problem. Aber sie würden versuchen, sich fit zu halten und die Stimmen zu trainieren. "Dann spenden wir Freude und bekommen Freude wieder zurück. Das ist das Schönste was es gibt." Fehlt jetzt nur noch ein neuer Dirigent, der mit ihnen musikalisch über die Weltmeere segelt. Bis dahin wird Eberhard Hahn weiter aushilfsweise am Dirigentenpult stehen.
Der Shanty-Chor tritt das nächste Mal beim Altstadt- und Jacubyfest in Görlitz und Zgorzelec auf. Am 25. August 2024 sind sie um 17.30 Uhr auf der Bühne am Griechischen Boulevard in Zgorzelec zu erleben.
