Ehemaliges Frauengefängnis Hoheneck Stollberg

Sachsen Stollberg, die Gedenkstätte Hoheneck und der Konflikt um Peter Hahne

Stand: 24.08.2024 20:15 Uhr

Am Sonntag soll der ehemalige ZDF-Moderator Peter Hahne in der erst im Juli eröffneten Gedenkstätte Hoheneck auftreten. Mindestens 1.000 Menschen werden auf dem Areal des ehemaligen DDR-Frauengefängnisses erwartet. Ehemalige politisch Inhaftierte kritisieren die Veranstaltung an diesem Ort, sie fühlen sich verhöhnt. Die Veranstaltung mit dem umstrittenen Hahne wurde als Freiluftgottesdienst von einer AfD-Politikerin angemeldet.

Von Sina Meißgeier, MDR SACHSEN

Veranstaltung mit Peter Hahne von AfD-Kandidatin angemeldet

Mitte Juli war im Beisein von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Gedenkstätte Hoheneck in Stollberg eröffnet worden. Die Öffnung für den Publikumsverkehr in das ehemalige DDR-Frauengefängnis sollte eigentlich im August erfolgen, wurde dann aber ohne Angaben von Gründen auf "Mitte/Ende September" verlegt.

Dann wurde bekannt, dass sich die Türen zu einem Teil der Gedenkstätte - dem Gefängnisinnenhof - am 25. August doch öffnen werden. Allerdings nicht für Gedenkstättenbesucher, sondern für Teilnehmer einer als Freiluftgottesdienst angemeldeten Veranstaltung unter dem Titel "Wahrheit-Freiheit-Frieden" - abgehalten vom früheren und inzwischen sehr umstrittenen Fernsehmoderator Peter Hahne.

Wie Recherchen der "Sächsischen Zeitung" ergaben und inzwischen auch behördlich bestätigt ist, wurde die Veranstaltung von der Stollberger AfD-Landtagskandidatin Katja Dietz für einen evangelikalen Verein angemeldet. In der Ankündigung auf der "AG Welt"-Webseite heißt es: "Bitte vergessen Sie nicht, einen Sitzhocker mitzubringen! Der Eintritt ist frei und für das leibliche Wohl ist gesorgt."

Hahne selbst fühle "großen Respekt vor der Stelle", an der er sprechen dürfe. Das sagte er in einem Video zur Veranstaltungsankündigung. Es müsse noch viel aufgeklärt werden und dazu wolle auch er beitragen, hieß es weiter.

Peter Hahne, Moderator

Peter Hahne provoziert gern - am liebsten mit Themen wie Gendern, Klimawandel oder der Berliner Politik. Den Verfassungsschutz vergleicht er mit der Stasi.

Hahne provoziert mit Thesen zum Thema Gendern, Klimawandel und politischen Akteuren

Hahne war viele Jahre lang als Nachrichtenmoderator beim ZDF tätig und hat sich einen Namen als kritischer Kommentator gesellschaftlicher und politischer Themen gemacht. Kritiker werfen ihm inzwischen Rechtspopulismus vor. In seinen aktuellen Büchern thematisiert der 71-Jährige unter anderem die seiner Meinung nach übertriebene politische Korrektheit - insbesondere zum Thema Gendern, den "Bürokraten-Terror" oder die Corona-Politik. Als Gast auf dem MDR-Riverboat verglich er im Frühjahr dieses Jahres den Verfassungsschutz mit der Stasi.

Was ist die "AG Welt"? (zum Ausklappen)

Die "Arbeitsgemeinschaft Weltanschauungsfragen" ist ein eingetragener Verein, der nach eigenen Angaben 1975 in Schleswig-Holstein gegründet wurde. Laut Harald Lamprecht, Sektenbeauftragter der evangelischen Landeskirche Sachsen, praktiziert der evangelikale Verein einen "radikalisierten christlichen Fundamentalismus". Wie er der "Freien Presse" sagte, sei die AG Welt mittlerweile vor allem ein Projekt von Thomas Schneider aus Breitenbrunn. Er habe für deren Radikalisierung gesorgt. Auf der Webseite finden sich unter anderem anti-islamische Beiträge sowie Kritik am sogenannten "Klimawahn" und am "ideologischen Missbrauch an Kindern".

Landesbeauftragte sieht Würde der Opfer beeinträchtigt

Gegen den Auftritt gibt es neben der Gedenkstättenleitung auch Kritik von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sowie von verschiedenen Opfervereinen. Stiftungsgeschäftsführer Markus Pieper findet es "furchtbar", dass die Gedenkstätte der Frauenhaftanstalt Hoheneck Ort einer "offensichtlich zumindest in Teilen politischen Veranstaltung werden soll". Das ehemalige Gefängnis sei ein Unrechtsort. Veranstaltungen sollten dort dem Zweck der Erinnerung und Mahnung dienen.

Auch die Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Nancy Aris, kritisiert die Veranstaltung. Sie sei in ihrer Konzeption nicht mit der Würde des Ortes vereinbar. Im Gespräch mit MDR SACHSEN sagte Aris: "Mir geht es weniger um Peter Hahne oder dass dies eine AfD-Kandidatin angemeldet hat. Meinetwegen kann Peter Hahne überall sprechen, aber der Gefängnishof gehört eben mit zur Gedenkstätte. Dort haben Menschen sehr viel Leid erfahren. Insofern ist das kein passender Ort." Eine Volksfeststimmung gehöre nicht nach Hoheneck, so Aris weiter. Sie sieht die Würde der Opfer dadurch beeinträchtigt.

Wenn man sich praktisch vorstellt, wie die Veranstaltung aussehen soll, kommt man sehr schnell auf die Idee, dass das mit der Würde des Ortes nicht vereinbar ist. Dr. Nancy Aris | Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Das sagt eine ehemalige Inhaftierte

Konstanze Helber war als sogenannte Politische zwischen 1977 und 1979 inhaftiert, weil sie zu ihrem damaligen Freund nach Westdeutschland flüchten wollte. Seit 45 Jahren wohnt sie in Baden-Württemberg. Sie sagte im Gespräch mit MDR SACHSEN: "Mein Anliegen ist, dass die Gedenkstätte in würdiger Form Veranstaltungen durchführt, die der Gedenkstätte eigen sind."

"Die Schicksale der Frauen von Hoheneck werden verhöhnt"

Es sei wichtig, die Erinnerung wach zu halten, den Ort authentisch zu halten und für junge Menschen ein politischer Bildungsort zu werden. "Der Innenhof ist ein Ort des Gedenkens. Da können keine Massenveranstaltungen stattfinden. In diesem Hof mussten Tausende Frauen jahrelang exerzieren", erklärte Helber.

Sie fühle sich verhöhnt durch den Auftritt Hahnes. "Der Bundespräsident hat unter anderem gesagt, und diesen Satz scheint er ja nun wirklich nicht gehört zu haben (gemeint ist Peter Hahne(Anm. der Red.), diejenigen, die sagen, heute sei es wie in der DDR, weil man seine Meinung nicht mehr sagen dürfe, die verhöhnen die Schicksale der Frauen von Hoheneck und genau das passiert hier."

Helber weiß aber auch, dass andere ehemalige Inhaftierte anders darüber denken.

Mein Anliegen ist, dass die Gedenkstätte in würdiger Form Veranstaltungen durchführt, die der Gedenkstätte eigen sind. Konstanze Helber | Ehemalige politische Inhaftierte

Darf eine solche Veranstaltung dort stattfinden?

Die Landesbeauftragte Aris sagte, das Versammlungsrecht schütze herausragende historische Orte in besonderer Weise. Hoheneck erfülle diese Kriterien. Das gesamte Areal sei ein Gedenkort und erinnere an politische Willkür. Auch der Gefängnishof sei ein "Ort des Schreckens" gewesen. Dort seien Frauen gedrillt worden. Deshalb sei die Anmeldung als Gottesdienst für sie ein "ganz bewusster Akt, um das sächsische Versammlungsgesetz zu umgehen", wie sie MDR SACHSEN weiter sagte.

Zweifel an Ort und Sicherheit - offener Brief

Nicht nur eine Gruppe von Zeitzeuginnen, sondern auch die ehemalige Landtagsabgeordnete Ute Windisch hat einen offenen Brief an den Stollberger Oberbürgermeister und den Stadtrat geschrieben. Er stammt vom 20. August. Darin fordert die Burkhardtsdorferin den Oberbürgermeister auf, die Veranstaltung zu verlegen und fragt sich, wie die erwarteten Besucher auf den Innenhof passen sollen und wer die Kosten für die Gewährleistung der Sicherheit trägt.

Das sagt der Stollberger Oberbürgermeister

In einem Schreiben an MDR SACHSEN vom Donnerstag erläuterte Oberbürgermeister Marcel Schmidt (Freie Wähler) Details zu den Veranstaltungsplanungen und erteilte einer Umverlegung "aufgrund der Kürze der Zeit" eine Absage. Für den Innenhof seien höchstens 1.000 Personen zugelassen. "Alle anderen sollen nach Aussage des Veranstalters über Lautsprecher teilnehmen können. Der Parkplatz wird dafür zur Verfügung stehen, ebenso die dahinter liegende Wiese. Wir gehen davon aus, dass ausreichend Platz zur Verfügung steht", so Schmidt. Er gehe außerdem nicht davon aus, dass Peter Hahne durch seinen Auftritt das Gedenken beschmutzen werde.

Ich gehe davon aus, dass Peter Hahne aufgrund seiner Vita niemand sein wird, der an diesem Ort in irgendeiner Art und Weise das Gedenken beschmutzen wird. Marcel Schmidt | Oberbürgermeister der Stadt Stollberg/Erzgebirge
Feierliche Eröffnung der Gedenkstätte Hoheneck mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Marcel Schmidt - hier bei der Eröffnung der Gedenkstätte - ist seit über zwei Jahrzehnten Oberbürgermeister der Erzgebirgsstadt Stollberg. (Archivbild)

Weiterhin schrieb Schmidt, die Gedenkstätte Hoheneck sei für ihn persönlich ein Anliegen. Eine Großtante sei in Hoheneck inhaftiert gewesen, bevor sie in den 1980er Jahren nach Hamburg ausreisen durfte. Deshalb sei "an solche Systeme zu erinnern" und ihre Funktion und Entstehung aufzuzeigen. "Ich glaube nicht, dass Diktaturen über Nacht entstehen. Ich glaube, dass der Weg dahin ein schleichender Prozess ist", so der Stollberger Oberbürgermeister.

Schmidt: Hoheneck ist auch ein Diskussionsort

Bereits Mitte August wies Schmidt die teils massive Kritik an der geplanten Veranstaltung zurück. Hoheneck sei "natürlich vorrangig Erinnerungsort", hatte er dem Evangelischen Pressedienst (epd) erklärt. Daneben wolle die Stadt "aber auch einen Diskussionsort etablieren, der sich aktiv für die Demokratie einsetzt und freie Rede und den Austausch freier Meinungen in den Vordergrund rückt".

Markant ragt die sogenannte Burc Hoheneck zwischen den Dächern der Stadt Stollberg empor.

Markant ragt die sogenannte Burc Hoheneck zwischen den Dächern der Stadt Stollberg empor. (Archivbild)

Warum sind das Hoheneck-Areal und die Gedenkstätte so umstritten?

Die Stadt Stollberg ist Trägerin der Gedenkstätte und gleichzeitig alleinige Gesellschafterin der dazugehörigen gemeinnützigen GmbH. Die Gedenkstätten-Stiftung wiederum fördert nach eigenen Angaben den Betrieb der Gedenkstätte, ist aber nicht deren Eigentümerin. Neben der Gedenkstätte befinden sich auf dem Areal auch die Kindererlebniswelt "Phänomenia", ein Bistro und ein Jugendtheater. Weiteres sei laut der Stadtverwaltung in den kommenden Jahren in Planung. Oberbürgermeister Schmidt erklärte der epd in dem Zusammenhang ebenfalls, der historische Ort umfasse "glücklicherweise viele Funktionen".

Eigentlich sollte die Gedenkstätte, die über eine Dauerausstellung und die historischen Orte Zellenbau, Bunker und Gefängnishof verfügt, im August für die Öffentlichkeit zugänglich werden. Mitte August veröffentlichte die Stadtverwaltung auf ihrer Webseite den Hinweise, dass die Gedenkstätte voraussichtlich ab Mitte/Ende September für den Publikumsverkehr öffnen solle.

Gefängnis Hoheneck - eine lange Geschichte

Das einstige Burgareal diente bereits ab 1864 als Gefängnis. Zu NS-Zeiten wurde es als Gefängnis und sogenanntes Schutzhaftlager für Männer genutzt. Auch Zwangskastrationen sind laut aktueller Forschungen durchgeführt worden. Von 1950 an richtete die DDR-Regierung in Hoheneck ihr größtes Frauengefängnis ein. Bis 1989 waren etwa 24.000 Frauen inhaftiert, rund 8.000 von ihnen aus politischen Gründen. Zeitweise waren dort auch Männer untergebracht. Nach der Wiedervereinigung wurde es bis 2001 weiter als Justizvollzugsanstalt genutzt. Seit 2019 wurde an einer Neukonzeption für Dauerausstellung und Gedenkstätte gearbeitet.

MDR/dpa/epd