Sachsen Weil Jugend die Reife fehlt: Drogenberater für Cannabisfreigabe ab 25 Jahren
Die Boomtown Leipzig ist auch Konsum-Town: Zwei neue Studien zeigen, dass die Drogenprobleme steigen: Nach Alkohol ist Marihuana das größte Suchtproblem in der Messestadt. Auch viel mehr junge Menschen kiffen in Leipzig als im Bundesschnitt. Dabei können die Folgen dramatisch sein, warnt ein Drogenberater. Die Teillegalisierung habe bei jungen Menschen einen falschen Eindruck erweckt. So sieht das auch die Suchtbeauftragte der Stadt.
- 30 Prozent der Leipziger Schüler haben bereits gekifft.
- Drogenberater plädiert für eine Altersgrenze von 25 statt 18.
- Stadt Leipzig setzt bei der Suchtberatung künftig auf Online-Elternabende.
"Cannabis ist gerade eine Mode-Droge. Wir sind momentan auf dem Höhepunkt der Welle. Der Konsum bei jungen Menschen ist relativ hoch", sagt der Leipziger Drogenberater Matthias Rost.
30 Prozent der Leipziger Schüler haben bereits gekifft
Zwei neue Studien aus dem Dezember bestätigen Rosts Eindrücke: "Jugend in Leipzig 2023" kommt zu dem Ergebnis, dass die am häufigsten konsumierte Substanz unter Leipziger Schülern Cannabis/Haschisch/Marihuana ist. 30 Prozent haben es schon einmal probiert. Der Konsum nahm deutlich zu. 2015 waren es 24 Prozent, 2010 nur 21 Prozent, also damals jeder Fünfte, heute fast jeder Dritte.
Das zeigt auch der gerade veröffentlichte Leipziger "Suchtbericht 2024". Nach Alkohol ist Cannabis das häufigste Thema in den Suchtbehandlungsstellen. Der Anteil betrug 18,7 Prozent. In den beiden Jahren zuvor waren es 17,1 und 16 Prozent.
Der Cannabis-Konsum in Leipzig stieg in den vergangenen drei Jahren. Das sind die Zahlen aus den jüngsten drei Suchtreports.
Jeder fünfte Leipziger Schüler unter 18 nahm schon Marihuana
Jeder fünfte Schüler unter 18 Jahren (20 Prozent) und jeder zweite volljährige Schüler gab an, irgendwann schon einmal Marihuana konsumiert zu haben. Bei den Minderjährigen in Leipzig sind das mehr als doppelt so viele wie im Bundesschnitt. Der liegt bei nur 8,3 Prozent. Zu ihrem regelmäßigen Konsum sagen vier Prozent der Minderjährigen im Leipzig, dass sie einmal in der Woche Haschisch nutzen. Bei den volljährigen Schülerinnen und Schülern sind es zehn Prozent.
Der Suchttherapeut Matthias Rost arbeitet in der Jugenddrogenberatungsstelle K(l)ick und kennt die Gefahren von Cannabis. Konsumenten berichten ihm von Problemen mit der Droge und dass sie die als junge Menschen falsch eingeschätzt hätten.
Diese Zahlen bereiten Matthias Rost, der in der Jugenddrogenberatung K(l)ick im Nikolaikirchhof Leipzig arbeitet, große Sorgen: "Cannabis ist eine Substanz, die sich ganz stark aufs emotionale Erleben, die emotionale Entwicklung und die Hirnentwicklung auswirkt. Und das Gehirn ist erst mit 25 Jahren fertig entwickelt." Er setzt sich für eine Altersgrenze von 25 Jahren beim Kiffen ein.
In der Jugenddrogen-Beratung K(L)ICK ging es in 59 Prozent der Fälle um Cannabis.
Für Einstieg ins Kiffen viele nicht reif genug
Mit Cannabis könne man sich sehr gut von Emotionen "runterbeamen, aber es ist für jungen Menschen dann oft die einzige Lösung, und man hat keine anderen Lösungswege für persönliche Probleme. Von daher: Cannabis für Konsumenten ja, aber erst, wenn man die entsprechende Reife hat. Im Pubertätsprozess hat es nichts verloren", sagt der Suchtherapeut.
Der Einstieg beginne oft mit "Interesse, Spaß, das machen ja alle. Das kann man ja mal machen". Bereits seit der politischen Ankündigung der Teillegalisierung von Cannabis seien Ängste und Bedenken bei jungen Leuten gesunken, weil sie das Gefühl hätten, es sei "legal, also nicht gefährlich". Rost weiß, wovon er spricht: 59 Prozent aller Beratungen mache er zum Cannabis-Konusm. Medienkonsum komme als nächster Punkt nur auf zehn Prozent.
Stadt reagiert auf erhöhten Konsum
Bei der Teillegalisierung und der Einführung von Social-Clubs hat Leipzigs Suchtbeauftragte Sylke Liebscher den Eindruck, "dass das alles nicht so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird. Ich bin darüber gar nicht unfroh". Allerdings habe die Jugendstudie einen Anstieg des Konsums, insbesondere bei Jugendlichen, gezeigt. Die Stadt habe danach "Informationsflyer zu den Auswirkungen von Cannabis-Konsum" erstellt: "Das wird sehr gut angenommen", sagte sie MDR SACHSEN.
Ohnehin sei der "Informationsbedarf für Lehrkräfte und Eltern sehr gestiegen". Deshalb setzt die Stadt nicht mehr auf Elternabende in Präsenz, sondern auf Online-Elternabende: "Online ist es wesentlich anonymer und wir erreichen viel mehr Leute." Bei den Online-Kursen seien schon mehr als 100 Teilnehmer gezählt worden. Die wolle man ausbauen. Auch mit anderen Städten in Sachsen, Gespräche liefen mit Chemnitz und Dresden."
Erhöhtes Risiko für Depressionen und Selbstmordgedanken
Die Teillegalisierung von Cannabis hat nach Liebschers Einschätzung bei Schülern den Eindruck verfestigt: "Das ist sowieso legal". Diesem Eindruck will die Stadt entgegen wirken: "Es ist medizinisch erwiesen, dass die Entwicklung des Gehirns mit 18 noch nicht abgeschlossen ist. Und gerade die Areale, die beim Konsum von Cannabis betroffen sind, begünstigen die Gefahr einer Psychose."
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung spricht von einem erhöhten Risiko auf Depressionen und Suizidgedanken im Erwachsenenalter.
Sucht auf leisen Sohlen
Das sieht der Suchttherapeut Matthias Rost auch so: "Ehemalige Konsumenten sagen nach der Therapie, 'das war die Substanz, die mich im allerstärksten manipuliert hat, der ich es am allerwenigsten zugetraut hatte, dass sie so aggressiv ist, weil Cannabis immer als Freund daherkommt, der sagt 'komm, ich helf' dir, ich bin für dich da'. Viele regelmäßige Konsumenten erkennen eben nicht, dass sich so langsam das Leben verändert."
Viele regelmäßige Konsumenten erkennen eben nicht, dass sich so langsam das Leben verändert. Matthias Rost | Suchtberater in Leipzig
Leipzig mit Online-Wegweiser zum Thema Sucht
Die Stadtverwaltung legt nach eigener Ansicht seit Jahren einen Flyer auf, der mittlerweile um einen Online-Wegweiser zum Thema Sucht ergänzt wurde. In der neuen Auflage werden 41 Stellen in der Stadt genannt, an die man sich wenden kann: "Es gibt bei den Infos eine immense Nachfragte", berichtet die Suchtbeauftragte Liebscher.
Cannabis für Jugendliche unter 18 weiterhin verboten
Seit dem 1. April 2024 darf in Deutschland legal gekifft werden. Drei Pflanzen sind für den privaten Anbau erlaubt. 25 Gramm dürfen mitgeführt werden. Für Jugendliche unter 18 Jahren bleiben Erwerb, Besitz und Anbau von Cannabis weiterhin verboten. Seit dem 1. Juli ist in Sachsen ein Bußgeldkatalog in Kraft: Für den Cannabiskonsum in Verbotszonen sind Strafen von 100 bis 500 Euro vorgesehen. Dazu gehören unter anderem Schulen, Spielplätze, Kindergärten und tagsüber auch Fußgängerzonen.
MDR (cke)