Annabell Seifert ist Beraterin für Betroffene sexualisierter Gewalt beim DRK

Sachsen-Anhalt 30 Jahre Beratungsstelle "Miss-Mut" in Stendal

Stand: 20.11.2024 18:27 Uhr

In Sachsen-Anhalt ist die Zahl der sexualisierten Gewalttaten in den letzten vier Jahren um sieben Prozent gestiegen. Viele Taten kommen gar nicht erst zur Anzeige. In Stendal begeht die Beratungsstelle "Miss Mut" ihr 30-jähriges Bestehen. Aus diesem Anlass kamen bei einer Fachtagung Berater, Fachkräfte und Experten zusammen. Sie tauschten sich darüber, was bei den Beratungsangeboten im ländlichen Raum wichtig ist.

Von Aud Merkel, MDR SACHSEN-ANHALT

Im Stendaler Landratsamt sind fast 100 Menschen zum Fachtag "Sexualisierte Gewalt – Herausforderungen im ländlichen Raum" gekommen. Mitarbeitende von sozialen oder medizinischen Einrichtungen, Bildungsträgern, Polizei und kommunalen Einrichtungen wollen sich hier austauschen. Sie folgten einer Einladung des DRK östliche Altmark, dem Träger der Beratungsstelle "Miss-Mut".

Im September 1993 hatten ehrenamtliche Frauen einen Verein gegründet. Schon im April darauf konnten Vereinsvorsitzende Heike Busenthür und ihre Mitstreiterinnen eine Beratungsstelle für Betroffene von sexualisierter Gewalt einrichten. Später kam eine Interventionsstelle für häusliche Gewalt hinzu. Seitdem haben zwei bis drei Fachkräfte jedes Jahr Kinder und Erwachsene mit rund 750 Beratungen erreicht.

Bis zu 900 Beratungen pro Jahr

Seit das DRK vor zwei Jahren die Beratungsstelle vom "Miss-Mut-Verein" übernommen hat, ist die Zahl der Beratungen auf inzwischen 900 gestiegen. Das läge an einer breiten Öffentlichkeitsarbeit auch mit Präventionsangeboten in Schulen, sagt Sven Theilemann, Vorsitzender des DRK-Kreisverbandes östliche Altmark: "Normalerweise redet man ja darüber gar nicht. Aber durch diese verstärkte Präsenz steigt natürlich auch der Mut letztendlich der Betroffenen auch mal darüber reden zu dürfen, zu müssen auch."

Sven Theilemann Vorsitzender DRK östliche Altmark beim Fachtag "Sexualisierte Gewalt" in Stendal

Sven Theilemann lobt die gute Öffentlichkeitsarbeit der Beratungsstelle "Miss Mut" beim Fachtag "Sexualisierte Gewalt".

Annabell Seifert ist eine der drei DRK-Beraterinnen. Sie bietet auch neue Angebotsformen an: "Ich glaube gerade im ländlichen Bereich ist es total wichtig zu sagen, das geht auf anonymen Wegen. Man kann bei uns über die Website vom DRK auf unser Angebot kommen und kann da auch zur Online-Beratung weitergeleitet werden." Um bei den Beratungen vor Ort mehr Anonymität zu wahren, wird die Beratungsstelle demnächst in ein stark frequentiertes Gebäude mit vielen Räumen umziehen.

Opfer leiden auch unter Scham

Warum Anonymisierung so wichtig ist, weiß Alexander Korittko. Der Diplom-Sozialarbeiter und Familientherapeut kennt die Traumatisierungen aus seiner langjährigen Praxiserfahrung: "Es ist beschämend, wenn man anderen davon erzählen muss, was man sich antun lässt, zumal ja auch von Tätern häufig so etwas wie eine Erpressung erfolgt: Wehe du sagst davon irgendwo etwas." Traumatisierungen müssten sehr lange begleitet werden. Auch wenn sich die betroffene Person schon Hilfe geholt hat, dauern schmerzhafte Gefühle noch nachwirkend an.

Die Vernetzung der Berater muss in allen Lebensbereichen erfolgen, sagt Claudia Igney vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen. Sie nennt Vereine wie die Landfrauen oder die Feuerwehr, aber auch die Polizei und andere Fachstellen. Claudia Igney sagt, es sei wichtig, "dass zum Beispiel in einem Krankenhaus nicht nur eine Person sich auskennt, sondern Strukturen da sind, wie kann ich eine vergewaltigte Frau unterstützen, Spurensicherung machen und so weiter."

Flächendeckende Beratung wird gebraucht

Gerade auf dem Land verlangt die Arbeit auf Grund verstreuter Wohnorte und langer Wege den wenigen Beraterinnen vieles ab. Claudia Igney glaubt, nur mit Ehrenamt sei das nicht zu stemmen, es fehle Geld. Deutschland hat sich eigentlich mit dem Beitritt zum Istanbul-Abkommen dazu verpflichtet, ein flächendeckendes Beratungsnetzwerk für Opfer sexualisierter Gewalt vorzuhalten. Doch da sei man noch lange nicht. Die Fachleute in Stendal sagen, neben den Beraterinnen sind alle gefragt. Auch Nachbarn und Kollegen sollten wachsam sein und die Hilfsangebote nutzen.

MDR (Aud Merkel, Hannes Leonard)