Sachsen-Anhalt Dessau-Roßlau stimmt zu Buga 2035 ab: Muss der Stadtrat seine Entscheidung zurückziehen?
Nachdem eine Bürgerinitiative 3.000 Unterschriften gegen die Ausrichtung der Bundesgartenschau 2035 gesammelt hat, findet am Sonntag ein Bürgerentscheid in Dessau-Roßlau statt. Einwohner können abstimmen, ob der Stadtrat seinen Beschluss zur Buga 2035 zurücknehmen muss. Dabei ist ein Nein auf dem Stimmzettel ein Ja für die Ausrichtung der Gartenschau.
- Die Menschen in Dessau-Roßlau entscheiden am Sonntag, ob der Stadtratsbeschluss zur Bundesgartenschau (Buga) im Jahr 2035 zurückgezogen werden muss.
- Für die Buga müsste die Stadt einen zweistelligen Millionenbetrag investieren. Schon jetzt hat Dessau-Roßlau Ressourcen in die Planung gesteckt.
- Der Ortsbürgermeister von Dessau-Mosigkau sieht mehrere Gründe, die gegen die Gartenschau sprechen.
Im Stadtgebiet von Dessau-Roßlau sind seit Wochen ungewöhnliche Plakate zu sehen, die auf die Abstimmung zur Buga 2035 hinweisen. Dazu gibt es Infostände, Flyer liegen aus. Selbst für Oberbürgermeister Robert Reck (parteilos) sei dieser Bürgerentscheid besonders, wenn nicht gar etwas merkwürdig. "Das erscheint ungewohnt, wenn man für etwas ist, dann aber mit Nein abstimmen muss. Doch ein Bürgerentscheid ist ein demokratisches Instrument. Ich möchte dafür motivieren, die Abstimmung wahrzunehmen", sagte er MDR SACHSEN-ANHALT.
Robert Reck, Oberbügermeister von Dessau-Roßlau, weist auf die "Fangfrage" im Bürgerentscheid zur Buga 2035 hin.
Nein heißt Ja: Bürgerentscheid kann Stadtratsbeschluss aufheben
Die gut 64.000 wahlberechtigten Einwohner der drittgrößten Stadt des Landes haben am Sonntag nicht direkt zu befinden, ob sie die Bundesgartenschau vor ihrer Haustür haben wollen oder nicht. Sie haben vielmehr über einen Stadtratsbeschluss zu votieren – und das führt zu der Verwirrung im Vorfeld.
Ein kurzer Blick zurück: Der Stadtrat von Dessau-Roßlau hatte sich mehrheitlich für die Buga ausgesprochen. Doch eine Bürgerinitiative sammelte dagegen mehr als 3.000 Protestunterschriften und setzte damit den Bürgerentscheid am Sonntag durch. Deshalb geht es nur um die Frage, ob der Buga-Stadtratsbeschluss wieder aufgehoben werden soll. In dem Fall wäre ein Ja sozusagen ein Nein zur Bundesgartenschau, sagt Rathauschef Reck.
Wenn der Bürgerentscheid gegen die Bundesgartenschau ausgeht, ist die Bundesgartenschau für unsere Stadt kein Thema mehr. Robert Reck, Oberbürgermeister Dessau-Roßlau |
Er hofft deshalb auf möglichst viele Nein-Stimmen, die sich damit für das umstrittene Großprojekt aussprechen. "Wenn der Bürgerentscheid gegen die Bundesgartenschau ausgeht, ist die Bundesgartenschau für unsere Stadt kein Thema mehr. Das ist eine grundlegende Entscheidung. Denn ein erfolgreicher Bürgerentscheid bindet die Stadt die nächsten zwei Jahre. Und was soll danach besser laufen?"
Vorbereitungen für Buga 2035 bereits angelaufen
Reck verweist auf die immense Arbeit, die in den Buga-Vorbereitungen steckt: Reisen, Planungen, Sitzungen. Auch finanziell sei man schon in Vorleistung gegangen. Er stellt einen etwas schrägen Vergleich an: "Man kann nicht mit seiner Braut vor den Altar treten und dann sagen, du bist jetzt zu dick. Komm mal in einem halben Jahr wieder, wenn du zehn Kilo abgenommen hast. Dann ist die Braut höchstwahrscheinlich auch weg."
Wenn das Buga-Projekt weg wäre, hätte das für Dessau-Roßlau erhebliche Auswirkungen, glaubt Reck. Man würde eine große Chance verpassen. "Die Bundesgartenschau gibt uns die Gelegenheit, ein großes Investitionsprogramm in einem Zehn-Jahres-Zeitraum umzusetzen und die Bekanntheit unserer schönen Stadt zu erhöhen." Das kostet natürlich viel Geld, räumt Reck ein. Der Investitionsbedarf liege nach seinen Worten – je Projekt-Umsetzung – zwischen 84 und 120 Millionen Euro. Diese Betrag fließe in die Stadtentwicklung.
Außerdem gebe es einen weiteren Etat, den sogenannten Durchführungshaushalt. Dieser umfasst etwa 60 Millionen Euro. Für die Hälfte des Betrages müsste die Stadt Dessau-Roßlau selbst aufkommen. Diese Summe könne man über die Jahre ansparen, sagt Reck. Er glaubt, dass sich die Hälfte der Kosten durch Sponsoring und Eintrittsgelder refinanzieren wird. Deshalb hofft er beim Bürgerentscheid auf Rückendeckung aus der Bevölkerung.
In Magdeburg fand im Jahr 1999 die bisher einzige ausschließlich in Sachsen-Anhalt veranstaltete Buga statt. Die Stadt profitiert noch heute.
Bürgerinitiative in Dessau-Roßlau sammelte Unterschriften
Doch damit ist es nicht weit her, behauptet der Kommunalpolitiker und langjährige Ortsbürgermeister von Dessau-Mosigkau, Jakob Uwe Weber, der einer Bürgerinitiative vorsteht. Ohne Probleme habe man die 3.000 Unterschriften für das Bürgerbegehren sammeln können. Das zeige die Unzufriedenheit in der Stadt. Dabei sei er, erzählt Weber, prinzipiell gar nicht gegen eine Bundesgartenschau in Dessau-Roßlau. Er sieht aber im Konzept der Stadt erhebliche Mängel. Dies erscheine ihm zu beliebig.
Jakob Uwe Weber, der langjährige Ortsbürgermeister von Dessau-Mosigkau, ist kritisch gegenüber der Buga 2035 in Dessau-Roßlau.
Weber nennt vier Gründe, die ihm Bauchschmerzen bereiten. Erstens gebe es eine Machbarkeitsstudie mit 29 Einzelprojekten. "Wir wissen: Die meisten werden gar nicht verwirklicht", so Weber. Als zweites sehe er ein erhebliches Finanzproblem. "Die Steuereinnahmen sind nicht zum Besten bestellt, in den letzten Jahren standen wir unter Haushaltssperre", sagt Weber weiter.
Wie sollen wir das mit der Buga schaffen? Jakob Uwe Weber, früherer Ortsbürgermeister von Dessau-Mosigkau |
Das Dritte sei, dass Planungen in Dessau-Roßlau aufgrund von Personalmangel immer wieder steckenbleiben würden. "Wie sollen wir das mit der Buga schaffen?" Als vierten Grund gibt Weber zu bedenken: "Wir brauchen moderne Schulen und Kindergärten. Blumenrabatten und Parks haben wir schon genug." Andere Buga-Gegner warnten bereits vor Luftschlössern und provinziellem Größenwahn.
Sachsen-Anhalt bindet Finanzierung für Zerbster Brücke an Buga
Für Weber spielt auch das Land Sachsen-Anhalt eine eigentümliche Rolle. Fragwürdig findet er, dass die Stadt eine Art Buga-Bonus für den Neubau der Zerbster Brücke erhält. Der Bonus umfasst eine stolze Summe in Höhe von 9,6 Millionen Euro. Der Haken daran: Wird die Bundesgartenschau noch abgesagt, fließt auch das Geld nicht, sondern muss zurückgezahlt werden. Das bestätigte das Verkehrsministerium. Die Drohung, Fördermittel zu streichen, sei eine unredliche Einflussnahme, findet Weber. Außerdem werde man unter Druck gesetzt und für eine mögliche negative Entwicklung verantwortlich gemacht.
Weber beklagt außerdem, dass Dessau-Roßlau ein Motto fehlt. "Viele Buga-Ausrichter hatten ein städtebauliches Problem. Dessau hat ein gesamt-städtebauliches Problem. Das ist der große Unterschied." Dennoch will der Kommunalpolitiker sich nicht komplett gegen eine Bundesgartenschau aussprechen. Sollten die Einwohner den Stadtratsbeschluss aufheben, müsse das noch lange keine Absage sein. "Wir haben doch noch Zeit bis 2035. Man muss sich nicht zehn Jahre vorbereiten, das ist nicht vorgeschrieben."
Ob es dazu kommt, ist völlig offen. Um den Stadtratsbeschluss aufzuheben brauchen die Buga-Gegner eine einfache Mehrheit und die Stimmen von 20 Prozent aller Wahlberechtigten.
MDR (André Damm, Cynthia Seidel)