Laurenz Notdurft auf einem Gruppenfoto

Sachsen-Anhalt Ehemaliges Mitglied der "Heimattreuen Deutschen Jugend" wird Ortsbürgermeister der AfD in Roßlau

Stand: 20.07.2024 15:08 Uhr

Der neue Ortsbürgermeister von Roßlau, AfD-Politiker Laurens Nothdurft, ist auch in den eigenen Reihen umstritten. Der Grund: Nothdurft war einst Mitglied der "Heimattreuen Deutschen Jugend“" (HDJ), die seit 2009 verboten ist. Kritiker werfen dem AfD-Kreisvorstand Versagen vor. Neben dem Streit um Nothdurft geht es auch um ein offenbar noch aktives Mitglied der NPD, das die AfD für die Kommunalwahl aufgestellt hat.

Von Lars Frohmüller, MDR SACHSEN-ANHALT

Roßlau ist ein eher ruhiger Vorort der drittgrößten Stadt in Sachsen-Anhalt. Mit dem Auto fährt man oft nur auf dem Weg in das Oberzentrum von Sachsen-Anhalt daran vorbei. Seit einer Woche schauen allerdings bundesweit Medien auf den Ortsteil: Laurens Nothdurft wurde zum neuen Ortsbürgermeister gewählt. Er ist Mitglied der AfD, Jurist, arbeitet für die AfD-Landtagsfraktion und ist Vater von sieben Kindern. Das letzte Kind erhielt 2022 sogar die Patenschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Dazu wurde mit Dessaus aktuellem Oberbürgermeister Robert Reck (parteilos) ein Bild auf der Facebookseite der Stadt veröffentlicht. Mittlerweile ist es dort nicht mehr zu finden.

Ich wünsche mir natürlich eine ganz andere Pressemeldung über unsere Stadt, als dass wir dann wieder im Zusammenhang mit Rechtsextremismus in den Medien erscheinen. Klemens Koschig (parteilos) | Ehemaliger Oberbürgermeister von Dessau-Roßlau

Gegenkandidat von Nothdurft war Klemens Koschig, der parteilose ehemalige Oberbürgermeister von Dessau-Roßlau. Koschig hat nun Angst um das Image seiner Stadt: "Ich wünsche mir natürlich eine ganz andere Pressemeldung über unsere Stadt, als dass wir dann wieder im Zusammenhang mit Rechtsextremismus in den Medien erscheinen." Warum ist Nothdurfts Hintergrund so problematisch, dass sogar das Foto mit dem Oberbürgermeister wieder von der Facebookseite verschwinden ist?

Roßlau: Ortsbürgermeister mit Vergangenheit in der rechten Szene

Für Lukas Jocher von der Mobilen Opferberatung in Dessau ist die Vergangenheit von Laurens Nothdurft gut dokumentiert: "Bereits in den 90er Jahren taucht er als Führungskader und später als Führungsperson der Heimattreuen Deutschen Jugend auf. Es gibt Fotos, die ihn Anfang der 2000er zusammen mit seinem Vater Joachim Nothdurft, der jetzt auch für die AfD in den Stadtrat von Dessau-Roßlau eingezogen ist, bei einer NPD-Demo in Berlin zeigen. Er war in den vergangenen Jahren auch als Landtagsmitarbeiter in verschiedenen Fraktionen der AfD tätig, unter anderem in Bayern, Baden-Württemberg und jetzt auch in Sachsen-Anhalt."

Seit 2009 ist die HDJ verboten. Bei der AfD gibt es eine Unvereinbarkeitsklausel: Ehemalige Mitglieder dürfen keine Mitglieder der AfD sein.

Was war die HDJ?

Die Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) war eine rechtsextreme Organisation in Deutschland, die von 1990 bis zu ihrem Verbot 2009 aktiv war. Sie hatte das Ziel, eine nationalistische Identität und völkisches Bewusstsein unter Jugendlichen zu fördern. Ihre Aktivitäten umfassten Zeltlager, Schulungen und die Verbreitung von Propagandamaterial. 2009 wurde die HDJ vom Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Ziele verboten. Trotz des Verbots sind ehemalige Mitglieder weiterhin in rechtsextremen Kreisen aktiv.

Ein Zeltlager der "Heimattreuen Deutschen Jugend" in der Nähe der Gemeinde Fromhausen in Nordrhein-Westfalen

Ein Zeltlager der "Heimattreuen Deutschen Jugend". (Archiv)

Ehemaliges AfD-Mitglied belastet den Kreisvorstand

Lutz Büttner ist bereits vor der Kommunalwahl aus der AfD ausgetreten. Er war bis dahin für die Partei im Stadtrat und Mitglied im Kreisvorstand. Im MDR SACHSEN-ANHALT-Interview sagt er, sein Beweggrund sei gewesen: "Dumm trifft rechts." Im Kreisvorstand hatte man sich demnach dafür entschieden, neben Nothdurft auch ein offenbar noch aktives NPD-Mitglied in die AfD aufzunehmen und für die Kommunalwahl aufzustellen. Büttner hatte deshalb den Kreisvorstand darüber informiert. Trotzdem wurde auch René Diedering aufgenommen. Zuletzt wählte ihn die Fraktion sogar zu ihrem Vorsitzenden.

Nach Bekanntwerden seiner möglichen Mitgliedschaft lässt Diedering die Funktion ruhen. Der Bundesvorstand der AfD teilte MDR SACHSEN-ANHALT dazu mit: "Dem Bundesvorstand ist mit E-Mail bestehend aus einem fotografierten NPD-Mitgliedsausweis und einer WhatsApp-Nachricht, durch das AfD-Mitglied (…), mitgeteilt worden, dass Herr René Diedering vor seiner Mitgliedschaft in der AfD Mitglied in der NPD gewesen ist. (…) Die Mitgliedschaft des Herrn René Diedering in der AfD ist daher nach § 2 Abs. 6 Bundessatzung zu widerrufen." Eine Anfrage zum Umgang mit Laurens Nothdurft steht aus.

Kreisverband der AfD lässt Fragen zu Nothdurft und Diedering unbeantwortet

MDR SACHSEN-ANHALT hat beim AfD-Kreisverband angefragt, warum man die Warnungen des damaligen Mitglieds Büttner ignoriert und sowohl Diedering als auch Nothdurft für die Kommunalwahl aufgestellt hat. Die Fragen blieben bislang jedoch unbeantwortet.

Für Lukas Jocher von der Mobilen Opferberatung ist das verwunderlich, weil der Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD beispielsweise in Brandenburg konsequenter umgesetzt wurde. "2019 hatte Andreas Kalbitz seine Mitgliedschaft in der HDJ das Mandat gekostet", erklärt Jocher, "Und jetzt schafft es Laurens Nothdurft,zu sagen, dass seine Vergangenheit hinlänglich bekannt ist, und damit ist die Debatte vorbei." 

Nothdurft als Mitarbeiter der AfD-Fraktion im Landtag beschäftigt

In der Vergangenheit hatte MDR SACHSEN-ANHALT bereits Anfragen zu Laurens Nothdurft an die AfD-Landtagsfraktion gestellt. Dort arbeitet er als Fraktionsmitarbeiter. Damals hieß es vom Fraktionschef Oliver Kirchner: "Unsere Mitarbeiter sind hervorragend qualifiziert und haben einen von den Sicherheitsbehörden geprüften und bestätigten einwandfreien Leumund."

Doch schon damals warf diese Aussage weitere Fragen auf, denn das Innenministerium schrieb MDR SACHSEN-ANHALT auf Nachfrage: "Das Durchführen der Sicherheitsüberprüfungen von Mitarbeitern der Landtagsfraktionen obliegt dem Landtag in eigener Zuständigkeit." Vom Landtag hieß es: "Dazu liegen der Landtagsverwaltung keine Erkenntnisse vor."

 

MDR (Lars Frohmüller, cfr)