Ein Bält ein Blech mit frisch gebackenen Brötchen in der Hand.

Sachsen-Anhalt Rätselraten in der Bäckerei: Wo wird noch selbst gebacken?

Stand: 29.06.2024 16:15 Uhr

Bei den wenigsten Bäckereien kommen Brot, Brötchen und Co. noch direkt aus der Backstube hintendran. Die meisten backen die Teiglinge nur auf. Zwischen echtem Handwerk und Industrie lässt sich immer schwieriger unterscheiden. Ein Blick hinter die Kulissen einer Bäckerei in Halle, die alles selbst zubereitet.

Von Hanna Kazmirowski, MDR SACHSEN-ANHALT

Ab halb vier Uhr morgens weht ein verlockender Duft über die Kreuzung in Halle, wo Stefan Kirn seine Backstube hat: Die Brote des Tages sind fertig. Gleich danach schiebt Bäckermeister Kirn die Brötchen in den Ofen, es sind zehn verschiedene Sorten. Später liegen sie alle in der Auslage: Einhundert frische Brote und 600 Brötchen insgesamt. Die Frau des Bäckermeisters fährt die Hälfte der heißen Ware in die zweite Filiale um die Ecke.

Auch große Betriebe können handwerklich arbeiten

Wo Brot und Brötchen bei Bäckerei Kirn herkommen, können Kundinnen und Kunden leicht erkennen, denn vom Verkaufsraum lässt sich direkt hinter in die Backstube spähen. Dort arbeitet Stefan Kirn mit seinen zwei Gesellen. Doch wie genau die Backwaren zustande kommen, lässt sich am Endprodukt allein nicht erkennen. Nicht nur, weil der Begriff "Bäckerei" in Deutschland nicht geschützt ist und daher unklar ist, ob Betriebe selbst backen oder Ware zukaufen. Sondern auch, weil die laienhafte Vermutung, dass große Bäckereiketten generell industriell produzieren, falsch sein kann.

Professor Friedrich Longin von der Universität Hohenheim ist Getreideforscher und Brotexperte und stellt klar: "Selbst für mich als Profi ist an einem Brot und Brötchen sehr schwer zu erkennen, wie das gebacken wurde. Ich möchte ganz vehement dagegen argumentieren, dass man eine Großbäckerei und Kettenbäcker von Handwerksbäckern trennt, weil so eine einfache Trennung leider nicht geht."

Ein Bäcker steht mit einem Messer an einem Blech mit rohen Brötchen-Teiglingen.

Vor dem Backen schlitzt Bäcker Kirn die Brötchen auf.

Tipps: So findet man einen Handwerksbäcker

  • Auf dieser Webseite des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks kann man mithilfe seiner Postleitzahl Bäcker finden, die Mitglied in der Bäckerinnung sind und vom Deutschen Brotinstitut geprüft und zertifiziert wurden.
  • Bäckereien, die besonders handwerklich und traditionell arbeiten und regionale Rohstoffe verwenden, werden vom Bäckerhandwerk Sachsen-Anhalt mit einem Gütesiegel ausgezeichnet. Bäckerei Kirn in Halle gehört auch dazu.
  • Ausgezeichnete Bäckereien zeigen ihre Urkunden in der Regel in ihrem Laden. 
  • Handwerksbäckereien können besonders persönlich beraten und wissen über die Herkunft ihrer Rohstoffe und die Herstellungstechnik Bescheid. In manchen Bäckereien gibt es möglicherweise auch mal die Chance, eine "offene Backstube" zu besuchen.

Großbackstuben beliefern Filialen

Nur, weil eine Bäckermarke viele Filialen über die Republik verteilt hat, arbeitet sie nicht unbedingt industriell. Wie der Zentralverband des Bäckerhandwerks erklärt, kann auch ein Betrieb mit über 100 Mitarbeitenden eine Handwerksbäckerei sein. Nach Recherche von MDR SACHSEN-ANHALT ist das zum Beispiel bei Steinecke, Wendl oder Schäfer's – der Eigenmarke von EDEKA – der Fall, die ihre Produktionsstätte in Osterweddingen bei Magdeburg hat.

Zwar beliefern sie von dort aus fünf Bundesländer, doch auch sie würden keine Backmischungen verwenden, sondern alle Teige für Brot und Brötchen aus einzelnen Zutaten mit "hauseigener Rezeptur" herstellen. "Unser Mehl beziehen wir ausschließlich von deutschen Mühlen aus der Region des jeweiligen Produktionsbetriebes", erklärt eine Unternehmenssprecherin von Schäfer's. Allerdings seien Backmischungen für Kuchen und süße Teilchen "nicht ausgeschlossen".

Alles wird selbst hergestellt

Das ist bei Bäckerei Kirn anders, dort wird alles selbst zubereitet: Jede Nacht zu Schichtbeginn kocht Stefan Kirn erstmal fünf Kilo Vanillepudding für Plunder, Kuchen und Cremes. "In meinen Pudding kommen auch Eier, anders als bei gewöhnlichen Rezepten", verrät er. Auch den Blätterteig stellt er selbst her, allerdings nur alle zwei Wochen, weil der sich gut einfrieren lässt.

Das Mehl liefert ihm die Saalemühle in Alsleben, die meisten anderen Rohstoffe bestellt er bei der Liefergenossenschaft BÄKO, die eigentlich für Backmischungen bekannt sind. Doch von dort bekommen Bäckereibetriebe alle Zutaten in passender Menge auch einzeln. Wenn Stefan Kirn eine Rohstofflieferung nicht mehr regional genug ist, schaut er sich nach einer Alternative um; zum Beispiel bei Honig oder Mohn.

Ein Bält ein Blech mit frisch gebackenen Brötchen in der Hand.

Bäcker Kirn holt die fertigen Brötchen aus dem Ofen.

Gute Teige brauchen Zeit

Während Stefan Kirns Kollegen die Brote formen und backen, kümmert er sich um Kuchen und Torten. Danach sind die Brötchen dran. Für die werden schon am Morgen zuvor die Zutaten abgewogen, in einem großen Kessel geknetet und in kleine Bällchen portioniert. Bis zum Backen lagern sie dann in einem temperierten Garautomaten, wo der Teig gehen kann.

Zeit ist der wichtigste Faktor, wenn Brötchen bekömmlicher und aromatischer werden sollen. "So brauche ich gar keine zusätzlichen Backtriebmittel. Das Mehl hat ja schon von Natur aus diese Enzyme in sich", erklärt der Bäckermeister und fügt schmunzelnd hinzu: "Eine Stunde länger schlafen können wir dadurch auch."

Backtriebmittel sind nicht zu erkennen

In der Großproduktion wird fehlende Zeit mit zusätzlichen Backtriebmitteln ausgeglichen. Die lassen den Teig schneller gären und leichter verarbeiten. Bei welcher Ware genau das der Fall ist, kann der Kunde nicht erkennen, denn Enzyme sind in der Zutatenliste nicht deklarierungspflichtig. Gesundheitlich gesehen brauche man keine Bedenken haben, sagt der Getreideforscher Professor Friedrich Longin von der Universität Hohenheim: "Diese Enzyme sind normal und werden streng untersucht. Es ist nicht wissenschaftlich bewiesen, dass sie krank machen."

Trotzdem ist er der Meinung, dass auch lose Backwaren so umfangreich deklariert werden sollte wie tierische Produkte – damit transparent ist, ob sie Zusätze enthalten und woher die Rohstoffe kommen. Prof. Longin persönlich findet technische Hilfsmittel wie Enzyme zwar nicht schlimm. Aber für ein Brot aus einer Backmischung würde er natürlich trotzdem nicht so viel zahlen wollen wie für ein Brot, dass aus Grundzutaten selbst zusammengemischt wurde, sagt er.

Zwei Männer bearbeiten Teig in einer Backstube.

Die Gesellen Christian Eckelmann-Hamann und Michael Berndt bereiten die Brötchenteige vor.

Industrie setzt auf möglichst großes Volumen der Brötchen

Kritisch sieht der Experte auch, dass in der Massenproduktion vor allem ein möglichst großes Volumen der Brötchen erzielt wird. "Weil die Verbraucherinnen und Verbraucher das scheinbar so möchten", erklärt er. Statt darauf zu achten, wie nahrhaft ein Brötchen wirklich ist, gehe es mehr um das gute Kaugefühl. 

Der Grund, warum die Industrie überhaupt Zusätze verwendet, sind laut Professor Longin die hohen Ansprüche der Verbraucher und Verbraucherinnen. Während es früher normal war, gleich früh zum Bäcker zu gehen, wenn man etwas Bestimmtes haben wollte, erwarten die Leute demnach heute, dass alles jederzeit verfügbar ist – bei gleichzeitig weniger Personal und Kostenbereitschaft. Das könne die Industrie nur mit Hilfsmitteln gewährleisten. "Echtes Handwerk" bedeutet also auch, dass es nicht immer alles gleichermaßen und perfekt geben kann.

Handwerk ohne künstliche Inhaltsstoffe

Wenn Backmischungen doch nicht so problematisch sind, wie sie scheinen, wieso macht sich Bäcker Kirn die Mühe, alles noch selbst herzustellen? "Einfach weil ich es will. Ich finde es toll, Einfluss auf meine Backwaren zu haben", sagt er. "Wenn mir irgendwas nicht gefällt, dann kann ich es einfach ändern, ohne zu überlegen, welche anderen Hersteller ich jetzt nehmen muss."

So stellte er zum Beispiel kürzlich alle Rezepte mit Margarine auf Rapsöl um. Und wenn er eine innovative Idee hat, dann probiert er sie einfach aus. So gibt es jetzt zum Beispiel einmal die Woche ein Tomaten-Toastbrot. Und in seinem Roggenbrötchen verarbeitet er Schweineschmalz, für die richtige Konsistenz und den herzhaften Geschmack, sagt Bäcker Kirn. Damit ist diese Brötchensorte zwar nicht mehr vegetarisch, aber wenigstens ohne künstliche Stoffe – das ist ihm wichtiger.

Ein Mann wiegt Zutaten für Brötchen mit einer Waage ab und schaut in eine Anleitung.

Geselle Christian Eckelmann-Hamann wiegt die Zutaten der Brote nach Rezept ab.

So "nah dran" wie bisher könnte Stefan Kirn nicht mehr arbeiten, wenn er seinen Betrieb vergrößern würde. Aber genau deshalb ist er auch zufrieden mit seinen zwei Filialen und zwei Gesellen. "Im Moment kommen wir gut zurecht und die Qualität passt. Das ist mir auch sehr wichtig, denn es soll den Leuten ja schmecken."

MDR (Hanna Kazmirowski, Kalina Bunk)