Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH an der Elbe, aufgenommen aus einem Hubschrauber.

Sachsen-Anhalt Wo in Sachsen-Anhalt Projekte mit grünem Wasserstoff entstehen

Stand: 20.12.2024 16:33 Uhr

Um die Klimaziele in Deutschland zu erreichen, wollen Bundes- und Landesregierung unter anderem die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern verringern. Ein Schlüssel dafür soll grüner Wasserstoff sein. Sachsen-Anhalt will dabei eine der führenden Regionen in Deutschland werden; Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum sollen gesichert werden. Großprojekte in Leuna und Wittenberg sind dafür bereits im Bau oder der Planung.

Von Sebastian Gall, MDR SACHSEN-ANHALT

Deutschland hat das Ziel ausgegeben, bis 2045 klimaneutral zu sein. Dafür müssen die Industrie, der Verkehr und die Energieerzeugung transformiert werden. Als einer der Schüssel dafür gilt in der Politik grüner Wasserstoff. Laut Energieminister Armin Willingmann (SPD) könnte Sachsen-Anhalt dabei zu einer der führenden Wasserstoff-Regionen in Deutschland werden.

Was ist grüner Wasserstoff?

Grün ist Wasserstoff dann, wenn bei seiner Herstellung erneuerbare Energien genutzt werden. Dabei wird Strom dazu genutzt, um bei der sogenannten Elektrolyse Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff aufzuspalten.

Ein Überblick, welche Wasserstoff-Projekte in Sachsen-Anhalt im Bau oder der Planung sind:

"Greenroot": Großprojekt im Chemiepark Piesteritz in Wittenberg

Als eines der größten Wasserstofffprojekte in Deutschland bezeichnet das Leipziger Energieunternehmen VNG den Bau eines Elektrolyseurs zur Herstellung von Wasserstoff im Chemiepark Piesteritz. Laut Unternehmensangaben soll damit Erdgas für die dort angesiedelte Industrie ersetzt werden, etwa bei den Stickstoffwerken Piesteritz.

Milliardenschwere Anlage für grünen Wasserstoff soll in Wittenberg entstehen

Die Anlage soll frühestens 2029 in Betrieb gehen. Sie entsteht in Zusammenarbeit mit dem niederländischen Wasserstoffunternehmen HyCC.

Was ist ein Elektrolyseur?

Ein Elektrolyseur ist ein technisches Gerät, in dem ein Stoff mithilfe von Strom in seine Bestandteile gespalten wird. Für die Wasserstoff-Produktion wird Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Geschieht das mit "grünem" Strom, ist auch der Wasserstoff "grün".

Wasserstoff-Speicher in Bad Lauchstädt

Mit 61 Millionen Euro fördert der Bund den Umbau eines bereits bestehenden Erdgas-Speichers zu einem Wasserstoff-Speicher in Bad Lauchstädt. Damit beauftragt ist wiederum das Leipziger Unternehmen VNG, das das Geld bekommt.

Weltgrößte Power-to-X-Anlage im Chemiepark Leuna

Am Chemiestandort Leuna entsteht derzeit ebenfalls ein Elektrolyseur. Wenn er in Betrieb geht, soll er mit einer Leistung von 24 Megawatt die größte Power-to-X-Anlage zur Herstellung von grünem Wasserstoff der Welt sein. Die Anlage steht bereits, aber sie läuft nicht. Zurückzuführen ist das auf Probleme beim britischen Unternehmen ITM-Power, mit dem die Firma Linde die Anlage zusammen baut.

Was ist eine Power-to-X-Anlage?

Power-to-X werden Verfahren genannt, die grünen Strom in chemische Energieträger zur Stromspeicherung, in strombasierte Kraftstoffe oder Rohstoffe für die Chemieindustrie umwandeln.

Wasserstoff-Leitungsnetz "Green Octopus"

Zur Verteilung des produzierten Wasserstoffs soll ein ostdeutsches Leitungsnetz entstehen. Damit beauftragt ist der Leipziger Leitungsnetzbetreiber Ontras. Er erhält dafür 61 Millionen Euro Fördergeld. 43 Millionen kommen vom Bund, 18 Millionen von Sachsen-Anhalts Energieministerium. Insgesamt soll das Projekt 81 Millionen Euro kosten. Damit will Ontras rund 300 Kilometer Wasserstoffleitungen verlegen, 200 Kilometer davon allein in Sachsen-Anhalt.

Burgenlandkreis: Gründung einer Gesellschaft für Wasserstoff-Infrastruktur

Der Kreistag im Burgenlandkreis hat im April beschlossen, eine Gesellschaft zu gründen, die den Strukturwandel der Region vom Kohlerevier zur Wasserstoff-Region gestalten soll. Ihr Sitz wird in Zeitz sein.

"Energieregion Straßfurt", "Wasserstofffabrik der Zukunft" und "Trains"

Ein neuer Windpark soll beim Projekt "Energieregion Straßfurt" grünen Strom liefern, der zur Herstellung von Wasserstoff genutzt werden soll. Ihm soll Gas beigemischt werden und zum Heizen von Wohnungen genutzt werden. Busse, Lkw und Autos könnten das Wasserstoff-Gas tanken.

Die "Wasserstofffabrik der Zukunft" ist ein gemeinsames Projekt des Magdeburger Fraunhofer IFF, MicroPro GmbH und der Streicher Anlagenbau GmbH & Co. KG. Sie proben die regenerative Herstellung von Wasserstoff aus Biomasse.

Mit dem Projekt "Trains" wollen die Verantwortlichen in der Region Anhalt Triebzüge von Dieselmotoren auf den Antrieb mit Wasserstoff bzw. Methan umstellen.

Übersicht über weitere Projekte

Teil des Energieatlas' Sachsen-Anhalt ist eine Karte, auf der Projekte, Forschung und Unternehmen im Zusammenhang mit Wasserstoff zu finden sind. Das Monitoring der Wasserstoffstrategie des Landes Sachsen-Anhalt umfasst ebenfalls einige weitere Projekte.

Laut eines Gutachtens des Beratungsunternehmens r2b energy consulting, das vom Energieministerium beauftragt wurde, könnten durch den Aufbau einer klimaneutralen Wasserstoff-Wirtschaft bis 2045 27.000 Arbeitsplätze in Sachsen-Anhalt entstehen. Gleichzeitig prognostizieren die Verfasser des Gutachtens einen jährlichen Wertschöpfungs-Zuwachs von 1,5 Milliarden Euro.

Was Experten zur Wasserstoff-Strategie in Sachsen-Anhalt sagen

Diese Einschätzung teilt Marcel Scheffler, Experte in der Abteilung Energiesysteme und Infrastrukturen beim Fraunhofer-Institut in Magdeburg. Er hält die Prognosen für nachvollziehbar und attestiert Sachsen-Anhalt "herausragende Voraussetzungen, um ein bedeutender Standort für die Wasserstoffwirtschaft zu werden". Er spricht vom hohen Anteil erneuerbarer Energien im Land, der langen Chemietradition im Mitteldeutschen Dreieck und der bereits bestehenden Gasinfrastruktur. Es müssen aber "stabile Rahmenbedingungen, klare Förderrichtlinien und eine geeignete Infrastruktur geschaffen" werden, so Scheffler.

Gleichzeitig sagt er, dass der "großflächige Markthochlauf" auf sich warten lasse. Als Gründe nennt er unsichere Investitionsrahmen, ausstehende Genehmigungen, komplexe Förder- und Beihilfeverfahren sowie technologischer Entwicklungsbedarf. Beschleunigen lasse sich der Prozess in den Augen des Wasserstoff-Experten auf lange Sicht über verlässliche politische Leitplanken, vereinfachte Genehmigungen, transparente Förderungen und den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien.

Wasserstoff kann Diesel ersetzen

Die Menschen in Sachsen-Anhalt dürften derzeit noch wenig Berührungspunkte mit Wasserstoff in ihrem Alltag haben, sagt Michael Böcher, Politikwissenschaftler im Bereich Nachhaltige Entwicklung an der Uni Magdeburg. Das könnte sich in Zukunft ändern – etwa beim Heizen oder bei Transportmitteln, die schlecht elektrifiziert werden können, wie Lkw, Flugzeuge, Schiffe oder auch der Zugverkehr. Konkret gibt Böcher das Beispiel von Wasserstoffzügen in der Region Bremen, die die Dieselflotte ersetzen. Dort gibt es allerdings teilweise technische Probleme.

Akzeptanzprobleme sieht Böcher beim Wasserstoff vor allem beim gleichzeitig nötigen Ausbau der erneuerbaren Energien. Mit Verweis auf eine Studie sagt der Experte, dass Wasserstoff-Projekte dann akzeptiert werden, wenn deren Sicherheit glaubhaft belegt und transparent kommuniziert werde. Ebenso könnten "Erfolgsstories" helfen. Wenn etwa klargemacht werde, welche Rolle diese Projekte bei der Sicherung von Arbeitsplätzen spielen.

Das Portrait-Foto zeigt einen Mann mit Brille und kurzen Haaren in einem dunklen Jackett.

Laut Michael Böcher, Experte für nachhaltige Entwicklung an der Uni Magdeburg, könnte das Thema Wasserstoff bei sich ändernden politischen Mehrheiten in die Defensive geraten.

Seiner Meinung nach müssen möglichen Vorteile, die die Wasserstoffwirtschaft für Sachsen-Anhalt hat, in den Mittelpunkt gerückt werden. Gleichzeitig hält es Böcher für sinnvoll, die Bürgerinnen und Bürger ständig umfassend zu informieren und ihre Teilhabe zu sichern. Für Verunsicherung bei den Bürgerinnen und Bürgern könnten etwa Finanzierungsprobleme wie beim Wasserstoff-Projekt in Leuna sorgen.

Erneuerbare Energien müssen gleichzeitig wachsen

Probleme für die Wasserstoffwirtschaft könnten laut Böcher auch fehlende finanzielle Mittel sein, die von der Politik bereitgestellt werden. Regierungsmehrheiten würden generell eine große Rolle beim Thema Wasserstoff spielen. Die aktuelle Koalition in Sachsen-Anhalt sei "wasserstofffördernd". Bei einem wachsenden Einfluss von Parteien, die den menschengemachten Klimawandel bezweifeln, könnte das Thema Wasserstoff wieder in den Hintergrund geraten. Generell würden die Versprechen einer grünen Wasserstoffwirtschaft laut Böcher nur eingehalten, wenn dafür tatsächlich ausschließlich Strom aus erneuerbaren Energien genutzt wird.

MDR (Sebastian Gall)