exactly: "Diskriminiert: Jung und benachteiligt"

Sachsen-Anhalt Zu jung, zu unerfahren, zu unerwachsen – Junges Engagement und alte Stereotypen

Stand: 15.07.2024 18:22 Uhr

Laut einer Studie der Altersdiskriminierungsstelle des Bundes fühlen sich mehr jüngere Menschen aufgrund ihres Alters herablassend behandelt als ältere Menschen. Wir haben mit drei von ihnen gesprochen.

Von Michaela Reith und Pauline Vestring, MDR exactly

Immer mehr Jugendliche und junge Erwachsene fühlen sich nicht ernstgenommen. Das merken auch die Mitglieder eines Halleschen Vereins, der sich speziell an Menschen zwischen 14 und 22 Jahren richtet. Die Mission des Verein steckt schon in seinem Namen: "MitMischen e.V.". Die Jugendlichen Sina Glaeser und Leonie Sips möchten als Teil des Vereins junge Menschen wieder mehr in den Vordergrund stellen. Sie sollen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Das bedeutet für die "Mitmischer" aber auch, selbst auszuprobieren und umzusetzen – wie etwa den Umbau ihres Treffs "Kardinal V", einem renovierungsbedürftigen Altbau in der Innenstadt.

2021 sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in dieses Gebäude eingezogen. Seitdem dreht sich viel um die Renovierung und Gestaltung der Räume. Auf rechtlich nicht bindende Anfragen antworteten die Baufirmen den Jugendlichen oft nicht. Erst als sie ihre Eltern aktivierten, hätten die Firmen reagiert, erzählen die Jugendlichen. "Das ist dieser Kreis: Jugendlichen wird das nicht zugetraut, dann trauen sie sich das selber nicht zu. Dann entsteht so etwas wie das hier gar nicht", sagt Sina.

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Sina Glaeser und Leonie Sips von "MitMischen e.V." in Halle.

Hass und Hähme im Netz

Hannes Kreschel will auf politischer Ebene mitmischen. Mehr Jugendclubs und mehr Begegnungsorte für jüngere Einwohnerinnen und Einwohner in Halle ist etwa eine der Forderungen des 21-Jährigen SPD-Kandidaten. Der Jurastudent stand bei der Kommunalwahl 2024 zum ersten Mal als Kommunalpolitiker zur Wahl und nutzte dafür auch verstärkt Social Media. Da schlug ihm auch Hohn entgegen: "Da heißt es zum Beispiel, dass ich noch nie richtig gearbeitet habe, dass ich mit meinem Aussehen noch grün hinter den Ohren bin oder auch: 'Du bist jung und hast kein Recht, deine politische Meinung zu äußern."

Nicht an seinen politischen Aussagen, sondern an seinem Alter arbeiteten sich viele User und Userinnen ab. "Windel tragen, aber große Fresse haben. Geh nach Hause" – solche Kommentare sind für ihn keine Seltenheit. Kalt lässt ihn das nicht:  "Wieso darf ich als junger Mensch nicht meine Meinung äußern? Darf ich dieses Land nicht mitbestimmen, nur weil ich nicht 35 Jahre gearbeitet habe? Ab welchem Maß machst du das dann? Wenn du zwanzig Jahre gearbeitet hast, dann darfst du mitbestimmen, wenn du zehn Jahre gearbeitet hast, dann darfst du nicht mitbestimmen?"

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Hannes Kreschel will sich in der Jugendpolitik in Halle engagieren.

Altersdiskriminierung im Alltag

Laut einer Studie der Altersdiskriminierungsstelle des Bundes fühlen sich mehr jüngere Menschen aufgrund ihres eigenen Alters herablassend behandelt als ältere Menschen. Sie berichten vor allem von Problemen im Arbeitsalltag sowie in sozialen Situationen, die mit politischer und finanzieller Macht assoziiert sind. Etwa jeder Dritte der 16- bis 24-Jährigen fühlt sich häufig aufgrund des Alters ignoriert oder nicht ernst genommen.

Doch was kann einer möglichen Altersdiskriminierung entgegengesetzt werden? Die Sozialpsychologin Janine Dieckmann sagt, dass dafür erst einmal ein gesellschaftliches Bewusstsein entstehen müsse, dass Jugenddiskriminierung überhaupt ein Problem ist. "Und dann Mechanismen einbauen, wo jugendliche Perspektiven automatisch wichtig sind, sie partizipieren können." In Gremien etwa oder Selbstvertretungen. Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Ferda Ataman, geht noch einen Schritt weiter und fordert unter anderem, das Alter mit in Artikel 3 des Grundgesetzes aufzunehmen.

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Sozialpsychologin Dieckmann meint: Es muss ein Bewusstsein entstehen, dass Jugenddiskriminierung ein Problem ist.

Eine unterschätzte Generation

Isabelle Vivianne arbeitet als Tischlerin. Über ihre Arbeit erzählt die heute 27-Jährige auch im Netz. Ihre ersten Youtube-Videos nahm sie unter dem Namen "die.tischlerin" im Magdeburger Kreativzentrum "Studio5" auf. Sie kennt das Gefühl, aufgrund ihres Alters unterschätzt zu werden. Jahrelang hat sie als angestellte Tischlerin gearbeitet, jetzt ist sie dabei, sich in Hamburg selbstständig zu machen.

Im digitalen und analogen Leben setzt sie sich dafür ein, Vorurteile über ihre Generation in der Arbeitswelt abzubauen und hofft dabei auf Gesprächsbereitschaft: "Ich bin unzufrieden mit dem Dialog, der aktuell entsteht, dass es mehr darum geht, populistische und polarisierende Meinungen medial zu vertreten, anstatt einfach in den generationenübergreifenden Dialog zu gehen", sagt sie.

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"die.tischlerin" Isabelle Vivianne kommt aus Magdeburg und lebt heute in Hamburg.

Mehr zu politischer Beteiligung von jungen Menschen

MitMischen e.V.: https://mitmischen.org/sample-page/
Jugendpolitisches Programm Sachsen-Anhalt: https://jugendpolitik.sachsen-anhalt.de/
Landeszentrum Jugend + Kommune: https://www.kinderstaerken-ev.de/jugend-kommune/

Auf Dialog und Auseinandersetzung mit Themen, die Jugendliche und junge Erwachsene betreffen, darauf setzt auch Hannes Kreschel. Er hat bei der Kommunalwahl rund 1.100 Stimmen bekommen – zu wenige für den Sitz im Stadtrat. Sein Ziel von mehr Jugendbeteiligung will er trotzdem weiter verfolgen und weiterhin mitmischen. "Meine Arbeit geht weiter, mein Engagement geht weiter – von daher bin ich zufrieden", sagt er.

exactly-Reportage "Diskriminiert: Jung und benachteiligt"

Wie äußert sich Altersdiskriminierung von jungen Menschen? Haben wir in Deutschland einen Generationenkonflikt? Diesen Fragen geht Autorin Pauline Vestring in der exactly-Reportage "Diskriminiert: Jung und benachteiligt" nach, zu sehen ab dem 15.07.2024 auf unserem Youtube-Kanal.

MDR (Michaela Reith, Pauline Vestring, Mario Köhne)