Porträt von Liane Lopez Vado in einem Supermarkt.

Schleswig-Holstein Bedingungsloses Grundeinkommen: Ein Jahr lang Geld ohne Gegenleistung

Stand: 22.07.2024 17:19 Uhr

Wie könnte das bedingungslose Grundeinkommen die Gesellschaft verändern? Das möchte ein Berliner Verein herausfinden. Dafür verlost er regelmäßig Grundeinkommen auf Zeit. Eine Kielerin hat das große Los gezogen.

Von Karen Jahn

Liane Lopez Vado schlendert durch die bunten Reihen der Obst- und Gemüseabteilung im Supermarkt. Sie packt Süßkartoffeln, Champignons und leuchtend rote Paprika ein. Aufs Geld schauen muss sie momentan nicht. Seit Februar bekommt sie jeden Monat Tausend Euro - zusätzlich zu ihrem Gehalt als Erzieherin. Einfach so, etwas für das Geld tun, muss sie nicht.

"Ich habe lange wenig Geld gehabt. Deshalb weiß ich es auch zu schätzen und es fühlt sich richtig gut an", sagt sie. "Sachen, die ich mir vorher nicht gegönnt habe, die gönne ich mir dann jetzt", sagt Liane Lopez Vado. Für den Geldregen verantwortlich ist der Berliner Verein "Mein Grundeinkommen". Der verlost bundesweit bedingungslose Grundeinkommen, jeweils für zwölf Monate. Der Verein finanziert die Verlosungen mit Spenden und möchte herausfinden, was das Geld mit Menschen macht.

Finanziert über höhere Steuern

Das Prinzip eines bedingungslosen Grundeinkommens für alle und nicht nur für die glücklichen Gewinner einer Lotterie ist simpel: Jeder bekommt es vom Staat, egal ob arm oder reich. Finanziert wird das Ganze aus einer höheren Einkommen- und Vermögenssteuer. Die Idee wird gleichermaßen gelobt, wie kritisiert. Befürworter möchten - über die Steuererhöhungen - unter anderem die Schere zwischen Wohlhabenden und Geringverdienenden verkleinern. Laut Umfrage des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2022 wären etwas mehr als die Hälfte der Befragten für eine Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.

Die Befürchtung: Anreiz zur Arbeit sinkt

Kritiker eines bedingungslosen Grundeinkommens befürchten zum Beispiel, dass der Anreiz, einer Lohnarbeit nachzugehen, durch das ausgezahlte Geld sinkt. In der Politik in Schleswig-Holstein wurde das bedingungslose Grundeinkommen ebenfalls diskutiert. CDU, SPD und FDP sind dagegen, Bündnis 90/Die Grünen dafür. Letztere lassen aber nach eigenen Angaben ihre Landesarbeitsgemeinschaft zum bedingungslosen Grundeinkommen zurzeit pausieren.

Kieler Wissenschaftler: Attraktiver für Geringverdiener

Till Requate ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er hat sich an der Kieler Uni mit den unterschiedlichen Modellen eines bedingungslosen Grundeinkommens beschäftigt. "Ein Hauptvorteil ist, dass es für Geringverdiener attraktiver ist, wieder in den Arbeitsmarkt einzutreten. Momentan ist es ja so, wer aus dem Bürgergeld rausfällt und einen gering bezahlten Job annehmen will, der hat kaum mehr", erklärt er.

Porträt von Prof. Till Requate in einem Büro.

Professor Till Requate glaubt nicht, dass die bisher diskutierten Modelle für ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzierbar sind.

Idee gut, Finanzierung fast unmöglich?

Der Wissenschaftler findet die Idee eines Grundeinkommens grundsätzlich gut. Er fürchtet allerdings, dass durch die extreme Erhöhung der Steuern, in einigen Modellen wären das mehr als 90 Prozent, kaum noch jemand arbeiten würde, weil vom verdienten Euro dann kaum noch etwas übrig bliebe - und zwar in nahezu allen Einkommensschichten. "Wenn man das mitberücksichtigt, dann kommt man auf ein Defizit von 200 Milliarden. Das ist der halbe Bundeshaushalt, etwas weniger. Also kann man sagen, es ist nicht finanzierbar", sagt er.

Gewinnerin würde auch mit dauerhaftem Grundeinkommen weiterarbeiten

Liane Lopez Vado arbeitet in einem Kieler Wohnhaus für Menschen mit psychischen Erkrankungen. 35 Stunden in der Woche unterstützt sie dort die Bewohnerinnen und Bewohner im Alltag. Lange Jahre konnte sie als Alleinerziehende nur in Teilzeit arbeiten. Sie hätte sich damals finanzielle Sicherheit gewünscht. "Als ich mich vom Vater der Kinder getrennt habe, waren die Kinder zwei und vier, und ich habe damals Sozialhilfe bekommen. Auf jeden Fall hätte mir ein Grundeinkommen geholfen", ist sich die 56-Jährige sicher.

Sie ist sich außerdem sicher, dass sie auch weiter arbeiten würde, wenn sie das Grundeinkommen auf Dauer bekäme. "Ich würde vielleicht Stunden reduzieren, aber niemals meinen Job aufgeben." Von ihrem Gehalt als Erzieherin könne sie zwar gut leben, erzählt sie. Große Sprünge seien aber bisher nicht drin gewesen. Als ihr altes Auto kaputt ging, hat sie sich mit dem gewonnenen Geld ihr Traumauto gekauft. Einen kleinen grauen Flitzer. Ohne das gewonnene Geld, hätte sie sich einen Neuwagen nicht leisten können, sagt sie.

Liane Lopez Vado in einem Gespräch.

Die Erzieherin würde ihren Job auch nicht aufgeben, wenn sie das bedingungslose Grundeinkommen dauerhaft bekäme.

Ergebnisse zu Langzeitstudie zum Grundeinkommen nächste Jahr erwartet

Neben den regelmäßigen Verlosungen hat der Berliner Verein gerade eine Langzeitstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen in Kooperation mit dem DIW durchgeführt. Drei Jahre lang hatte dafür eine Gruppe Teilnehmende monatlich 1.200 Euro bekommen, eine Vergleichsgruppe kein Geld. Erste Ergebnisse sollen Anfang des kommenden Jahres verkündet werden.

Liane Lopez Vado bekommt noch ein halbes Jahr lang das Grundeinkommen. Danach muss sie wieder mit ihrem Budget auskommen.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 22.07.2024 | 19:30 Uhr