Eine rote Ampel von nahem.

Schleswig-Holstein Das Ende der Ampel: So reagiert die Wirtschaft in SH

Stand: 07.11.2024 20:47 Uhr

Seit Mittwochabend ist es Gewissheit: Die Ampelkoalition in Berlin ist Geschichte. Wie reagiert die Wirtschaft in Schleswig-Holstein auf das politische Beben?

Von Christoph Deuschle

Es ist offiziell: Die Ampelkoalition ist Geschichte - oder zumindest auf eine zweifarbige Ampel für Fußgänger geschrumpft. Über Wochen knirschte es im politischen Berlin. Spätestens seit dem Positionspapier vom - mittlerweile - ehemaligen Finanzminister Christian Lindner (FDP) war das Ende der Koalition für viele politische Beobachterinnen und Beobachter eine Frage der Zeit. Dass es am Ende so schnell gehen würde, damit hat aber wohl kaum jemand gerechnet.

Unternehmerverband: "Wir brauchen so schnell wie möglich Neuwahlen"

Den Wunsch nach mehr Spielraum bei neuen Schulden können Teile der Wirtschaft nachvollziehen. Ken Blöcker, Geschäftsführer des Unternehmensverbands Unterelbe-Westküste, meint, "die FDP muss endlich erkennen, dass wir in Zeiten leben, in denen die Aufweichung der Schuldenbremse verhandelbar sein muss". Ohne Flexibilität und den Willen, auch unpopuläre Entscheidungen zu fällen, würden keine neuen Impulse gesetzt.

Thomas Fröhlich, Hauptgeschäftsführer des Unternehmerverbands Nord, fordert die Rücknahme einiger aus seiner Sicht unpopulärer Entscheidungen. "Wir brauchen einiges nicht, was in der Planung der aktuellen Regierung ist. Dazu zählt das Lieferkettengesetz. Dazu zählt das bundeseinheitliche Tariftreue- und Vergabe-Recht." Es gebe vieles in den jetzt auf Eis gelegten Gesetzesvorhaben der Ampel, auf das die Unternehmen verzichten könnten.

Schleswig-Holstein habe viel wirtschaftliches und unternehmerisches Potenzial - beispielsweise im Maschinenbau, in den Werften und auch im Chemcoast Park in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen). Für Fröhlich sei für den Mittelstand im Land "entscheidend, dass wir jetzt die Strompreise schnell mit Hilfe der Politik senken."

Präsident Bauernverband: "Kein Siegesgefühl"

Noch im Frühjahr waren viele Landwirtinnen und Landwirte auf den Barrikaden. Nachdem die Subventionen für Agrardiesel sowie die Befreiung von der Steuer auf der Kippe standen, war der ausgemachte Gegner klar. "Weg mit der Ampel" stand auf vielen Plakaten, die während der Protestzüge an Schleppern befestigt nach Kiel, Hamburg und Berlin fuhren. Nun ist die Koalition geplatzt, Neuwahlen in Sicht. Freude also bei der Bauernschaft?

"Also ich habe heute kein Siegesgefühl. Uns ging es ja vor allem darum, eine zuverlässige Politik für den ländlichen Raum und die Landwirtschaft zu bekommen", sagt Peter Lucht vom Bauernverband in Schleswig-Holstein. Das häufige Hin und Her sei, was viele Landwirtinnen und Landwirte schon jahrelang erzürnt habe. Tierschutz, Düngeverordnung - alles im Eiltempo. Die Ampelkoalition um SPD, Grüne und FDP habe sich zu Beginn der Legislatur viel Gutes vorgenommen.

Eine Darstellung, die eine Ampel am Galgen zeigt.

Sinnbild für die Stimmung auf vielen Protestkundgebungen der Landwirtinnen und Landwirte im Frühjahr: Die Ampelkoalition sollte sich auflösen. Nun ist dieser Wunsch in Erfüllung gegangen.

Dass das in schwierigen Zeiten besonders schwer umzusetzen war, erkennt auch Lucht an. "Einen Krieg in der Ukraine zu haben, eine Corona-Pandemie, die als Krisen ja auch viel abverlangt haben. Die sind ja nicht einen Tag dazu gekommen, mal in Ruhe ihre Ziele umzusetzen." Jahrelang habe man in Berlin nur reagieren können. Aber gerade dann, in solch einer geopolitischen Lage, müsse man auch priorisieren, was zuerst kommt. Darauf hoffe er bei der nächsten Bundesregierung.

Industrie- und Handelskammer: "Wir brauchen Investitionssicherheit"

Das größte Problem für Wirtschaft und natürlich auch Bürgerinnen und Bürger seien die Unwägbarkeiten der vergangenen Jahre gewesen, sagt Alexander Anders, Geschäftsführer der IHK Nord. "Nehmen wir nur mal das Beispiel E-Auto-Förderung. Da war gefühlt von heute auf morgen der staatliche Zuschuss weg und die Verkaufszahlen gingen deutlich nach unten." Angemerkt sei hier, dass in diesem konkreten Fall vor allem das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Einsatz von Notkrediten umgesetzt werden musste.

Eine andere und wortwörtliche Baustelle sei die marode Infrastruktur, welche mittlerweile spürbar die Wirtschaft lähmt. "Wir waren in Deutschland mal stolz auf den Zustand unserer Straßen und der Bahn. Die Zeiten sind lange vorbei." Und mit Blick auf über Jahre erzwungene Einsparungen in der Instandsetzung aufgrund der Schuldenbremse: "Eine heruntergekommene Brücke sind am Ende auch Schulden."

Ebenso klar wie die Notwendigkeit von Investitionen sei aber auch, dass an einer grünen Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität kein Weg vorbei führe. "Es führt kein Weg zurück, das sollte auch einer neuen Bundesregierung klar sein", so Anders. Gerade für den Norden, mit viel Windenergie, sei die Dekarbonisierung, also der Abbau von CO2-Ausstoß, eine große Chance.

Ein Bagger ist bei Vorarbeiten auf der Baustelle für das geplante Northvolt-Gelände zu sehen.

Ohne klare Strategie wird es schwer mit einer zukunftssicheren Wirtschaft. Große Investitionen - so wie hier beim Bau der Northvolt-Fabrik in Heide - werden so unwahrscheinlicher.

Institut für Weltwirtschaft: Worst-Case-Szenario

Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft sagte NDR Schleswig-Holstein, einen schlimmeren Zeitpunkt für den Bruch der Bundesregierung hätte für deutsche Unternehmen angesichts der handelspolitischen Drohungen des künftigen Präsidenten Donald Trump, der Querelen mit China und der heimischen Investitionsschwäche nicht geben können.

Besonders bedrohlich sei die Situation für Investitionen. Wegen der beiden nicht verabschiedeten Haushalte - sowohl Nachtragshaushalt für 2024 als auch Haushalt für 2025 - würden Förderprogramme für die Wirtschaft entweder gestoppt oder sogar eingestellt. Gleichzeitig verstärke sich damit die Verunsicherung darüber, wie es weiter geht. 

Neuwahlen - so schnell es geht

Bei einer Sache sind sich die Wirtschaftsexpertinnen und -experten in Schleswig-Holstein einig: Die vorgezogenen Neuwahlen sollten ihrer Ansicht nach so schnell wie möglich passieren. Um zeitnah politische Stabilität und eine handlungsfähige Bundesregierung vorzuweisen, die ihrerseits stabile Rahmenbedingungen für die Wirtschaft schafft. Wann das aber tatsächlich der Fall ist, ließe sich einen Tag nach Ende der Ampelkoalition nur raten.

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 07.11.2024 | 19:30 Uhr