Grafik der Außenansicht eines Fabrikgebäudes für grünen Wasserstoff in Neumünster.

Schleswig-Holstein Grüner Wasserstoff: Vor diesen Herausforderungen steht SH

Stand: 27.06.2024 05:00 Uhr

Die Landesregierung hat ehrgeizige Ziele beim grünen Wasserstoff: Das Land will bei dem Thema eine bundesweite Vorreiterrolle einnehmen, aber die Beteiligten stehen vor teils großen Herausforderungen.

Von Carsten Rauterberg

Grüner Wasserstoff - also mit erneuerbarer Energie hergestellter Wasserstoff - gilt als einer der Energieträger der Zukunft. Beim Umbau des Energiesystems in Schleswig-Holstein kommt dem grünen Wasserstoff laut Landesregierung eine entscheidende Rolle zu. Denn Schleswig-Holstein will 2040 erstes klimaneutrales Industrieland in Deutschland werden. Großes Potential beim grünen Wasserstoff sei vorhanden, unter anderem dank der Häfen, Speicher und Pipelines, so eine Sprecherin des Umweltministeriums. Doch umgesetzt sind bislang erst wenige Elektrolyse-Anlagen zur Produktion von grünem Wasserstoff, große Anlagen fehlen bislang ganz.

In Neumünster soll 50 Megawatt-Elektrolyse-Anlage entstehen

In einer Wasserstofffabrik in Neumünster sollen von 2026 an jedes Jahr bis zu 5.000 Tonnen grüner Wasserstoff produziert werden. Geplant ist eine installierte Elektrolysekapazität von 50 Megawatt. Investor ist das Schweizer Energieunternehmen Infener. Laut einem Sprecher der Stadt Neumünster soll noch in diesem Jahr Baubeginn sein. Ein entsprechendes Grundstück mit einer Größe von 29.000 Quadratmetern ist reserviert, der Rat der Stadt Neumünster hatte den Plänen im März zugestimmt. Die Kosten der Anlage schätzen Stadt und Unternehmen auf voraussichtlich 133 Millionen Euro.

50 MW - vergleichbar mit zehn Windrädern

Eine Wasserstofffabrik mit einer Leistung von 50 Megawatt entspricht einer Leistung von zehn Windrädern, das bedeutet: Es kann die Leistung von zehn Windrädern gespeichert werden. Bei einer Wasserstofffabrik in dieser Größenordnung könnten 3.000 Tonnen grüner Wasserstoff mit einem Energiegehalt von 100 Gigawattstunden hergestellt werden, sagt Prof. Oliver Opel von der Fachhochschule Westküste (FHW) in Heide. Wenn man den grünen Wasserstoff verbrennt, könnte man damit 5.000 Einfamilienhäuser im Jahr beheizen. Und mit der Abwärme könnten nochmal weitere 2.500 Häuser beheizt werden, so Opel. Wenn wieder Strom aus dem grünen Wasserstoff gemacht wird, und Wärmepumpen genutzt werden, könnte man 7.500 Einfamilienhäuser beheizen, sowie weitere 7.500 Häuser mit der Abwärme.

Kein Großprojekt bislang umgesetzt

Pläne für einen großen Elektrolyseur gab es auch in Heide (Kreis Dithmarschen). Die Raffinerie Heide und andere Unternehmen haben aber im November vergangenen Jahres ihr Projekt einer 30-MW-Anlage auf Eis gelegt. Ob es an dem Standort eine Umsetzung mit anderen Partnern gibt, ist derzeit offen. Eine endgültige Entscheidung soll laut einem Raffinerie-Sprecher möglicherweise noch in diesem Jahr, spätestens im ersten Halbjahr kommenden Jahres fallen.

Bislang gibt es in Schleswig-Holstein kein Großprojekt zur Produktion von grünem Wasserstoff, aber zahlreiche kleinere Anlagen. 21 weitere kleinere Projekte befinden sich in der Umsetzung, so eine Sprecherin der Landeskoordinierungsstelle Wasserstoff bei der Wirtschafts-und Technologiestiftung Schleswig-Holstein (WTSH).

Unternehmen aus Nordfriesland baut bereits

Die Firma GP Joule aus der Gemeinde Reußenköge (Kreis Nordfriesland) hat bereits mehrere Elektrolyse-Anlagen in Deutschland installiert, mit einer Gesamtleistung von 3,125 MW - eine 2 MW-Anlage in Bremerhaven und mehrere kleinere mit einer Leistung von 1,125 MW in Schleswig-Holstein. Weitere Projekte befinden sich in der Planung, so Andre Steinau, Wasserstoff-Experte bei GP Joule.

Um weitere Projekte zeitnah umzusetzen, brauche man verlässliche Förderprogramme von Land und Bund. "Vor allem die Speicherung, die Anwendung und die Erzeugung von grünem Wasserstoff müssen gefördert werden, um das Potential in Schleswig-Holstein zu heben." Darüber hinaus müsse der Start der Wasserstoff-Projekte schneller möglich sein und die Projekte nicht durch das Warten auf Bescheide ausgebremst werden, sagt Steinau. Eine weitere Forderung von GP Joule: die Erneuerbaren Energien müssten ausgebaut werden, denn nur aus grünem Strom könne wirklich grüner Wasserstoff erzeugt werden. Steinau ergänzt: "Dazu muss das vom Land geplante Wasserstoff-Leitungsnetz in Schleswig-Holstein zügig umgesetzt und die Westküste daran angeschlossen werden." Nur so könne dann der mit Windstrom produzierte Wasserstoff zu Nutzern in ganz Deutschland gebracht werden.

Hohe Strompreise bremsen Ausbau

Prof. Oliver Opel leitet das Institut für die Transformation des Energiesystems, ITE, an der Fachhochschule Westküste in Heide. Er sagt, dass Bau und Betrieb der Elektrolyse-Anlagen noch zu teuer sind. Ein entscheidender Aspekt sei dabei der hohe Strompreis. Opel erklärt: "Im europäischen Ausland sieht es beim Strompreis deutlich besser aus. Eine Option könnte eine Aufteilung nach geografisch unterschiedlichen Strompreis-Zonen sein, wie es sie in anderen Ländern schon gibt." Und Opel verweist dabei auf ein weiteres Problem: "Die Anschaffungspreise für die Elektrolyse-Anlagen sind weiter gestiegen, denn man ist längst noch nicht in der Massenproduktion."

Start-Ups hoffen auf mutige Investoren

Namhafte Produzenten seien mit ihren Großanlagen noch in der Endphase der Planung, so Opel weiter. Er geht davon aus, dass erst mit dem Hochlaufen der Produktion die Preise für die großen Elektrolyseure fallen werden. Der Wissenschaftler der FH Westküste fasst zusammen: "Derzeit treffen ambitionierte Start-Ups in Schleswig-Holstein auf etwas abwartende Investoren. Bundesweit planen große Unternehmen aber bereits Anlagen mit großen Produktionskapazitäten."

Goldschmidt: Wirtschaft ist jetzt gefragt

Der für das Thema Wasserstoff zuständige Energiewendeminister Tobias Goldschmidt (Grüne) sagt, die Landesregierung habe bereits vor Jahren die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen. "Wir haben bereits 2020 eine Wasserstoffstrategie formuliert, um Orientierung zu geben. Und das Ministerium hat in diesem Jahr eine Initiative gestartet, mit den Firmen Gasunie, SH Netz und der IHK, um den Aufbau des Anschlussnetzes zu beschleunigen." Dazu gebe es Fördermöglichkeiten von EU und Bund und in Berlin sei ein Wasserstoffbeschleunigungsgesetz in der Beratung. Es seien bereits Steuergelder in beträchtlicher Höhe geflossen, jetzt sei die Wirtschaft am Zug, so der Energiewendeminister. "Die Wirtschaft muss jetzt investieren. Denn es ist wichtig, dass die Elektrolyseure in größerem Maßstab gebaut und die noch vergleichsweise hohen Kosten so reduziert werden." Alle Akteure müssten jetzt mit Hochdruck daran arbeiten, damit der Wasserstoffhochlauf gelingen könne, so Goldschmidt.

Tobias Goldschmidt (Grüne)

Energiewendeminister Goldschmidt (Grüne) sagt, dass die Wirtschaft am Zug sei.

Ambitionierte Ziele bei Land und Bund

Schleswig-Holstein möchte bis 2030 eine Elektrolyseleistung von 1,5 Gigawatt (1.500 Megawatt) erreichen, so steht es in der Fortschreibung der Wasserstoff-Strategie der Landesregierung. Die Bundesregierung hat sich ebenfalls ein Ziel gesetzt. Bis 2030 möchte der Bund eine Elektrolyseleistung von 10 Gigawatt (10.000 Megawatt) erreichen, um den Bedarf von 95 bis 130 Terawattstunden Strom pro Jahr zu decken. Und das ist laut dem Energie-Experten der Fachhochschule Westküste, Oliver Opel, eine echte Herausforderung, eben wegen der aktuell schlechten Rahmenbedingungen.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Schleswig-Holstein Magazin | 18.06.2024 | 19:30 Uhr