Ausgrabungsleiter Eric Müller zeigt einen Ofen.

Schleswig-Holstein Archäologen finden jahrtausendealte Siedlung bei Heide

Stand: 27.06.2024 17:22 Uhr

Die archäologische Untersuchung auf dem Northvolt-Gelände bei Heide nähert sich dem Ende - für die Forscher eine "Ausgrabung der Superlative". Denn: Viele Funde sind gut erhalten. Es sind Spuren einer Siedlung mit Gräbern und Grabbeigaben.

Von Pauline Reinhardt

15 Monate lang haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Archäologischen Landesamtes Schleswig-Holstein auf der Fläche in Lohe-Rickelshof (Kreis Dithmarschen) gearbeitet. Jetzt bleibt ihnen noch ein Monat, um die Grabungen abzuschließen. Der Hintergrund: Hier entsteht die Batteriefabrik der Firma Northvolt. Schon bevor die Investitionsentscheidung getroffen wurde, leitete das Landesamt die Untersuchung des Geländes ein.

Archäologisches Landesamt: "Ausgrabung der Superlative"

Ein bei einer Ausgrabung freigelegtes Grab mit Perlen als Beigaben

Diese Bernsteinkette lag mit weiteren Beigaben in einem Grab.

Von einer "Ausgrabung der Superlative" spricht Ingo Lütjens, stellvertretender Amtsleiter des Archäologischen Landesamtes. Damit bezieht er sich gleich auf mehrere Punkte: Die untersuchte Fläche ist mit 9,1 Hektar größer als alle jemals untersuchten Flächen des Landesamtes. Die Anzahl der Funde beträgt 16.330 - und die Funde sind besonders gut erhalten, weil sie fast einen Meter unter der Erde lagen. Unter anderem wurden Gräber gefunden. Eins davon war besonders reich mit Grabbeigaben ausgestattet, wie Gefäßen, mindestens zwei Gewandnadeln (sogenannte Fibeln) und einer Bernsteinkette. Die größte Überraschung dabei: Aus der Anordnung der Fibeln lässt sich schließen, dass die Person ursprünglich aus dem Elbe-Weser-Gebiet kam - eine Frau, was sich wiederum von ihrem Schmuck ableiten lässt.

Außergewöhnlicher Fund mit 205 Häusern aus verschiedenen Epochen

"Normalerweise findet man bei Ausgrabungen fünf bis zehn Häuser. In diesem Fall handelt es sich um gut 205 Häuser", so Birte Anspach, Pressesprecherin des Archäologischen Landesamtes. Die stammen allerdings aus unterschiedlichen Epochen - standen also nicht gleichzeitig dort. Die Ausgrabung in Lohe-Rickelshof fand auf dem Geestrücken sowie dem Übergang zur westlich gelegenen Marsch statt. Eine beliebte Siedlungslage über mehrere Jahrhunderte: Hier konnten Menschen die Nähe zum Wasser nutzen und waren gleichzeitig durch die erhöhte Lage vor Sturmfluten geschützt. Der Zeitraum der Funde erstreckt sich von der Jungsteinzeit (ca. 3.900 v. Chr.) bis zu der Völkerwanderungszeit (ca. 375 bis 700 n. Chr.).

Zwei Archäologen legen einen Brunnen frei bei Ausgrabungen in Lohe-Rickelshof.

Zwei Archäologen legen einen ehemaligen Brunnen frei - diese wurden gemeinschaftlich genutzt.

Funde von Grubenhäusern an der Westküste steigen von eins auf 66

Ingo Lütjens schätzt die Bedeutung der Grabungen als außerordentlich ein - doch das ganze Ausmaß werde man erst in den nächsten Jahren und Jahrzehnten durch die wissenschaftliche Auswertung begreifen können. Was jetzt schon feststeht: Mit der Ausgrabung in Lohe-Rickelshof ist die Anzahl von Grubenhäusern an der Westküste Schleswig-Holsteins von eins auf 66 gestiegen. In diesen in den Boden eingelassenen Häusern aus der Völkerwanderungszeit wurden auch Webgewichte und Rohbernstein gefunden. Sie weisen darauf hin, dass Menschen dort gemeinsam Textilien und Schmuck hergestellt haben - außerhalb der Häuser, in denen sie gelebt haben.

Leben in der Gemeinschaft - ohne Eliten

Allgemein lässt sich anhand der Funde viel über das damalige Leben in der Dorfgemeinschaft erfahren. Die Bewohnerinnen und Bewohner lebten in großen Gehöften, die bis zu 30 Meter lang waren - allerdings in Großfamilien, mehrere Generationen unter einem Dach. Ausgrabungsleiter Eric Müller betont, dass es sich um eine Gesellschaft ohne Eliten gehandelt hat: "Hier haben die normalen Menschen gelebt". In den Dörfern habe es nur eine lose Struktur gegeben, ohne gemeinsame Straßen und Plätze. Aber die Menschen im heutigen Lohe-Rickelshof seien trotzdem keine isolierten Hinterwäldler gewesen: Neben den Grabbeigaben aus dem Elbe-Weser-Gebiet gibt es auch Hinweise auf Kontakte zum Römischen Reich. Denn die Archäologinnen und Archäologen haben auch Öfen nach römischem Vorbild freigelegt, die unter anderem zum Brennen von Kalk genutzt worden sind.

Untersuchungen sind Bedingung für Northvolt-Ansiedlung

Ausgrabungsleiter Eric Müller zeigt einen Ofen.

Ausgrabungsleiter Eric Müller zeigt die Überreste eines Ofens nach römischem Vorbild.

Bereits 2022 gab es archäologische Voruntersuchungen auf dem Gelände – sie waren Bedingung dafür, dass Northvolt dort bauen darf. Das Unternehmen befürwortet die Untersuchungen. Zu den Ergebnissen sagte Martin Höfelmann, Sprecher von Northvolt: "Dank der wertvollen Arbeit des Archäologischen Landesamtes gibt es jetzt einen umfassenden Einblick in die reiche Geschichte dieses Ortes. Es ist faszinierend zu sehen, dass unser Baugrund einst Teil eines dicht besiedelten Küstenstreifens war und Menschen hier bereits vor Jahrhunderten wirtschafteten. Mit Northvolt schlagen wir ein weiteres Kapitel der Geschichte auf."

Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Schleswig-Holstein Magazin | 27.06.2024 | 19:30 Uhr