Schleswig-Holstein Schulbarometer 2024: Das sind die Sorgen der Schüler in SH
Schülerinnen und Schüler kämpfen vermehrt mit psychischen Problemen und Leistungsdruck. Das ist das Ergebnis des Schulbarometer 2024. Der Grund sind vor allem Zukunftssorgen - Reaktionen aus Schleswig-Holstein.
Krisen, Klima und Kriege - das macht den Schülern in Deutschland zu schaffen. Das geht aus dem Deutschen Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung hervor. Die Stiftung erhebt seit 2019 regelmäßig in einer repräsentativen Umfrage die aktuelle Situation der Schulen in Deutschland. Seit 2024 werden neben Lehrkräften auch Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern befragt.
Ein Schwerpunkt der diesjährigen Ausgabe der Studie lag auf dem Zusammenhang zwischen Unterricht und psychischer Gesundheit. Demnach bewertet ein Viertel der Schüler die eigene Lebensqualität als niedrig. Ein Fünftel sieht sich psychisch belastet - in Familien mit wenig Geld sagt das sogar jedes dritte Kind.
Job, Geld, Politik: Schüler sorgen sich um die Zukunft
Die angegebenen Gründe für die psychischen Belastungen sind sehr unterschiedlich. Für ein Viertel der Befragten des Schulbarometers scheint Druck eine große Rolle zu spielen. Jeder Fünfte fühlt sich in der Schule nicht wohl. Dabei spielt laut der Bosch-Stiftung eine große Rolle, wie intensiv die Lehrerinnen und Lehrer die Kinder und Jugendlichen unterstützen und wie sie die Klassen führen.
Ideale in den Sozialen Medien setzten sie unter Druck, sagt Maxim Hamann, Schülerin in Ratekau.
An der Cesar Klein Gemeinschaftsschule in Ratekau (Kreis Ostholstein) zeigt sich ein gemischtes Bild. Einige Schülerinnen und Schüler gehen gern zur Schule, arbeiten danach noch, um sich aufs Berufsleben vorzubereiten und ein bisschen was anzusparen. Andere wiederum machen sich Sorgen und fühlen sich auch belastet.
Auf Social Media sehen wir als Schüler die ganzen schönen Posts im Internet und wollen versuchen, das zu erreichen. Das funktioniert aber einfach nicht. Das setzt einen schon unter Druck, dass man mit seinem Ideal da mithalten möchte - das aber natürlich nicht hinbekommt."
— Maxim Hamann, Schüler an der Cesar Klein Gemeinschaftsschule
Laut der befragten Schüler an der Ostholsteiner Schule bauen Lehrer auch mehr Druck auf und erwarten mehr, weil die Schüler digitaler arbeiten können. Außerdem spielen auch Ansprüche an die eigenen Leistungen der Schüler eine Rolle.
Mir bereitet Sorgen, dass alles noch teurer wird, als es schon ist und dass man als die junge Generation nicht weiß, wo man anfangen soll. Es fängt ja schon an, dass man nicht mehr weiß, welchen Job man wählt. Weil auch gesagt wird, der Job ergibt keinen Sinn, das wird alles irgendwann digital."
— Juana Hamdo, Schülerin der Cesar Klein Gemeinschaftsschule
Es gibt auch Sorgen wegen der technischen Entwicklung. Einige Schüler machen sich zudem Gedanken, ob ihr zukünftiger Job in zehn Jahren überhaupt noch existiert oder bereits von einer Künstlichen Intelligenz übernommen wurde. Auch Sorgen vor einem Atomkrieg oder den Konsequenzen aktueller Wahlergebnisse wie in den USA beschäftigen die Schüler.
Weniger starre Regeln sorgen für Orientierungslosigkeit
Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Christian Tilgner, beobachtet in seiner Praxis in Kronshagen (Kreis Rendsburg-Eckernförde) häufig, dass die Stimmung von Schülerinnen und Schülern beeinträchtigt ist - er spricht von Depressionen, Antriebsarmut oder fehlender Energie. Tilgner beobachtet auch, dass sich Patientinnen und Patienten über ein problematisches Klima an der Schule mit Mitschülern beschweren - auch Mobbing ist häufig Thema. Kinder fühlen sich an ihrer Schule teilweise wenig geschützt. Weniger starre und allgemein weniger Regeln führen laut Tilgner auch dazu, dass Schüler weniger Orientierung bekommen und dadurch der Erfolg und die Zufriedenheit von der eigenen Motivation abhängt.
Notensystem großer Druck-Faktor
In Schulen müsste mehr Awareness für das Thema psychische Belastungen geschaffen werden, findet Landesschülersprecherin Amelie Biebau mit Blick auf das Schulbarometer. Sie sieht im Notensystem einen Faktor, der nach wie vor für hohen Druck bei Schülerinnen und Schülern sorgt.
Wir finden, dass die Entwicklung bewertet werden sollte. Das bedeutet, dass der Weg zu dieser Leistung hin ein höheres Gewicht hat als das Endprodukt. Das würde den Kindern eine Entlastung geben, weil sie dann aktiv zeigen können, dass sie sich für das Thema interessieren, dass sie sich eingebracht haben, dass sie ihre Hausaufgaben gemacht haben."
— Amelie Biebau, Landesschülersprecherin
Die Entwicklung zu bewerten, sei mental einfacher für die Kinder, weil sie mehr Macht darüber haben, wie ihre Noten entstehen: "Wenn man Druck rausnimmt, dann fällt es den Kindern viel leichter, Interessen zu entwickeln und fleißig zu sein. Das ist ja wichtig - auch für zukünftige Arbeitnehmer", so Amelie Biebau.
Genau wie die Bundes-Psychotherapeutenkammer fordert auch die Landesschülervertreterin einen einfachen und schnellen Weg für psychisch belastete Kinder. Einfach gute Hilfe zu finden sei das größte Problem. Es gebe zwar an jeder Schule Sozialpädagogen, doch bei psychischen Problemen dürfen die nicht beraten, sondern müssen sich erstmal um Schulpsychologen kümmern - die müsse es an jeder Schule geben, so die Forderung von Amelie Biebau.
Eltern in SH sehen Schulbarometer-Ergebnisse mit großer Sorge
Der Landeselternbeirat Gymnasien in Schleswig-Holstein beobachtet die Ergebnisse des Schulbarometers mit großer Sorge. Die Elternvertreter stellen schon länger fest, dass der Leistungsdruck in Schulen gestiegen ist. Dem sollte man frühzeitig vorbeugen, betont die stellvertretende Vorsitzende Claudia Pick.
Wir müssen alle lernen auf unsere Gesundheit zu achten - auf uns zu achten. Auch Grenzen zu ziehen, das ist gerade für unsere Kinder und Jugendlichen so wichtig. Gerade wenn die Belastung in der Schule so hoch ist, dass sie rechtzeitig merken und lernen, ich darf auch meine Grenzen ziehen."
— Claudia Pick, stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirat Gymnasien
Auch in der Schule müsse ein gutes Klima ohne Mobbing und Benachteiligung geschaffen werden, so Pick. Schülerinnen und Schüler sollten das Gefühl haben, dass sie bei Problemen wissen, wo sie hingehen können, um Hilfe zu bekommen.
Hilfs- und Beratungsangebote müssen gewahrt werden
Dass das Land auf ihrer Sicht genügend Stellen in schulpsychologischen Beratungsstellen und für Schulsozialarbeiter geschaffen hat, sieht Claudia Pick positiv. Das große Problem sei jedoch, das Stellen nicht immer besetzt werden können, beobachtet auch Marion Khabiri vom Landeselternbeirat der Gemeinschaftsschulen.
Schüler müssen lernen, Grenzen zu ziehen, betont Claudia Pick vom Landeselternbeirat Gymnasien.
Lehrkräfte müssen laut Khabiri mehr auf die Signale der Schülerinnen und Schüler achten: "Der Personalschlüssel bei den Lehrkräften soll gekürzt werden, was die Situation massiv verschlechtern wird." Wichtig ist zudem, dass mehr Therapieplätze mit weniger Wartzeiten geschaffen werden, so der Landeselternbeirat der Gemeinschaftsschulen. Keineswegs dürfe jetzt all das, was man an Beratungs- und Hilfsangeboten für die Schülerinnen und Schüler geschaffen hat, aufgrund von Sparmaßnahmen zurückgebaut werden.
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Welle Nord | Nachrichten für Schleswig-Holstein | 20.11.2024 | 17:00 Uhr