Eine Hand hält ein Messer zum Angriff bereit

Thüringen Debatte über Messerangriffe: So ist die Lage in Thüringen

Stand: 26.06.2024 20:55 Uhr

Die Zahl an Messerangriffen ist auch in Thüringen in den vergangenen Jahren gestiegen. Wie die Polizei damit umgeht und warum das Landeskriminalamt trotzdem nicht von einem Trend spricht.

Von Marlene Drexler, MDR THÜRINGEN

Ein junger Polizist, getötet durch eine gezielte Messerattacke. Der Vorfall in Mannheim bei einer islamkritischen Kundgebung Ende Mai hat viele schockiert. Und auch eine Debatte über Messerangriffe losgetreten, speziell zur Frage: Steigt die Zahl? Auf Thüringen geblickt, heißt die kurze Antwort: Ja.

Messer als Tatwaffe

Grundsätzlich gelten laut Thüringer Landeskriminalamt alle Gegenstände als Messer, die eine Klinge haben und die dazu geeignet sind, Stich- oder Schnittverletzungen herbeizuführen. Das heißt, auch Teppichmesser und selbst gebaute Waffen, die etwa über eine Rasierklinge verfügen, werden miterfasst.

Klar ist laut Landeskriminalamt auch, nicht jeder, der ein Messer trägt, hat einen Angriff im Hinterkopf. Es gebe auch "legitime Zwecke" wie Angeln, Jagd und Brauchtum. In wieder anderen Fälle gehe es einzig um Angeberei.

Welche Zahlen gibt es für Thüringen?

Im vorigen Jahr erfasste das Thüringer Landeskriminalamt 418 Fälle, in denen mit einem Messer gedroht oder tatsächlich zugestochen wurde. Das entspricht im Vergleich zu 2022 einer Zunahme um fast 57 Prozent. Von 2021 auf 2022 gab es sogar ein Plus von 115 Prozent.

Der Statistik nach ist ein Großteil der Opfer männlich. Tödlich verletzt durch Messerangriffe wurden in Thüringen in den vergangenen vier Jahren drei Menschen. Am häufigsten spielten sich Messerangriffe den Angaben zufolge in Mehrfamilienhäusern oder Wohnblocks ab, gefolgt von sonstigen öffentlichen Orten. Auf Platz drei gibt das Landeskriminalamt als Tatort Asylbewerberunterkünfte an.

Ausländische Menschen sind in der Tätergruppe jeweils deutlich überrepräsentiert. 2023 lag ihr Anteil an der Gesamtzahl von Straftaten bei um die 40 Prozent, während der Ausländeranteil in der Bevölkerung im gleichen Jahr in Thüringen mit 8,3 Prozent beziffert wurde.

Zur Ursache wird an dieser Stelle von Analysten auch auf Sozialstrukturen verwiesen. So ist beispielsweise ein durchschnittlicher Asylbewerber männlich und deutlich jünger als der deutsche Durchschnitt. Damit gehört er zu einer Bevölkerungsgruppe, die generell und weltweit häufiger Straftaten verübt.

Zunahme, aber bisher kein Trend

Trotz dieser Zahlen spricht das Thüringer Landeskriminalamt bei der Zunahme der Messerangriffe nicht von einem grundsätzlichen Trend. Hintergrund ist, dass erst seit 2020 statistische Daten dazu erhoben werden.

Der Erfahrung der Behörde nach braucht es jedoch mindestens einen Datenbestand aus fünf Jahren, um von einer grundsätzlichen Tendenz sprechen zu können. Vorher könne es sich auch um Ausreißer-Jahre handeln, die unterschiedliche Gründe haben können. Eine generelle Aussage lasse sich demnach erst Ende 2025 treffen.

Wie blickt die Polizei auf die Entwicklungen?

Ein Vorfall wie in Mannheim, wo ein Polizist gezielt mit einem Messer angegriffen wurde, der in der akuten Situation zumal keine Rückendeckung hatte, sei als Ausnahme zu bewerten. Trotzdem beschäftige ein solches Ereignis neben den generellen Entwicklungen, Polizistinnen und Polizisten, insbesondere den Nachwuchs.

Wir gehen damit offensiv um, sprechen das Thema im Unterricht an. Geben Gelegenheit zum Gespräch. Andreas Müller |

Das berichtet Andreas Müller, Erster Polizeihauptkommissar und Leiter der Fachgruppe Training und Sport an der Thüringer Polizeischule in Meiningen: "Wir gehen damit offensiv um, sprechen das Thema im Unterricht an. Geben Gelegenheit zum Gespräch."

Sich auf dieser Basis vermehrt auf Messerangriffe vorzubereiten, wäre jedoch eher ein Schnellschuss, sagt er: "Ziel ist es, das Gefahrenbewusstsein der Polizeianwärter und -anwärterinnen allgemein zu schärfen - mit Blick auf jedweden Angriff." Denn was Statistiken auch belegen ist: Die Gewaltbereitschaft gegenüber Polizeibeamten hat generell zugenommen.

Bereitet sich die Polizei vermehrt auf Messerangriffe vor?

Ein Einsatztraining an der Polizeischule zeigt, wie sich der Nachwuchs konkret auf den Ernstfall vorbereitet. Dabei werden verschiedene Szenarien simuliert, bei der die Grundkonstellation immer die gleiche ist: Zwei Beamte kontrollieren spontan eine Person, die dann überraschend eine Waffe - von Schlagstock, über Messer bis Revolver - zückt.

Ein Polizist in Uniform steht in einer Turnhalle.

Ausbilder Andreas Müller ist Erster Polizeihauptkommissar und Leiter der Fachgruppe Training und Sport.

Je nach Waffentyp ist eine andere Reaktion der angehenden Polizistinnen und Polizisten erforderlich. Während bei Schlagstock oder Zaunlatte die erste Devise lautet, die Distanz zwischen sich und dem Angreifer zu vergrößern, bedeutet Messer oder Schusswaffe die höchste Eskalationsstufe.

Ausbilder: "Ziel ist es, den Gefahrenradar insgesamt zu schärfen"

Grundsätzlich schreibt das Gesetz laut Ausbilder Andreas Müller vor, "dass wir immer mit unserem Gegenüber kommunizieren und immer vorwarnen müssen, bevor wir körperlichen Zwang einsetzen dürfen". Das beginnt beim Fixieren und Handschellen anlegen und endet im Einsatz der Schusswaffe.

Eine Ausnahme sei der Fall, in dem das Gegenüber eine schwere Waffe - also Messer oder Pistole - schon gezückt hat, beziehungsweise die Hand in die Richtung der Waffe geht: "Dann dürfen wir im Sinne eines Sofortvollzugs handeln und die eigene Waffe unmittelbar einsetzen. Denn dann geht es ja um den Schutz unseres eigenen Lebens."

Wie sich Polizisten vor tätlichen Angriffen schützen können

Für Ausbilder Müller ist es wichtig, dem Nachwuchs neben konkreten Handlungsabfolgen generell einen geschärften Gefahrenradar anzutrainieren. Unabhängig davon, ob am Ende ein Messer, Revolver oder Kugelschreiber eine Rolle spielt - denn auch der kann im Zweifel tödlich sein.

Grundsätzlich wünsche sich niemand, die Schusswaffe einsetzen zu müssen. "Und glücklicherweise richtet sich in der Realität der häufigste Einsatz gegen angefahrene Wildtiere", sagt Müller.

MDR (med/jn)