Thüringen Deutschlands jüngster Bürgermeister: Keine Revolution in Gößnitz geplant
Patrick Albrecht ist mit 24 seit einem halben Jahr Deutschlands jüngster hauptamtlicher Bürgermeister. Im ostthüringischen Gößnitz kann er seitdem erleben, was in der Kommunalpolitik geht und was nicht. Porträt eines jungen Berufspolitikers zwischen frischen Ideen und behördlicher Behäbigkeit.
- Jüngster Bürgermeister gewann Stichwahl mit 60,4 Prozent.
- Eines der ersten Projekte Albrechts: Online-Bürgerservice ausbauen.
- Viele Fernsehanfragen: Was Albrecht mit der Aufwandsentschädigung finanzieren will.
Wenn sich Patrick Albrecht in seinem Bürgermeisterbüro etwas entspannen will, dann macht er das Radio an. Es läuft das Beste aus den 80ern und 90ern. Vielleicht passt das ganz gut zu einem hauptamtlichen Bürgermeister, der zwar Deutschlands jüngster ist, von dem aber keine Revolution in der Amtsstube zu befürchten ist.
"Gößnitz grundlegend zu verändern, wird nicht möglich sein und das möchte ich auch gar nicht. Ich finde die Stadt so schön, wie sie ist", sagt Albrecht.
Ein gutes halbes Jahr sitzt er jetzt schon im Chefsessel im Gößnitzer Rathaus. Vor seinem Büro liegt der etwas überdimensionierte Freiheitsplatz. Seelenruhig, wie man so schön sagt. Gegenüber im Ratskeller gibt es Mittagstisch. In der Gaststube wird geraucht, die Bild-Zeitung gelesen.
Manchmal esse er auch dort Mittag, sagt Albrecht. Oft bringe er aber Essen mit: "Ein ganz neues Jugendwort ist ja Mealprepping, also dass man sich eine Brotbüchse mit auf Arbeit bringt, das haben wir schon immer so gemacht."
Bürgermeisteramt als Praxisphase des Studiums
Im Rathaus herrscht ein herzlicher Ton, die Verwaltungsmitarbeiter sind mit dem neuen Chef per Du. Als er im Juni die Stichwahl mit 60,4 Prozent gewonnen hat, war er 23 und mitten im Studium. Student ist er immer noch. Gerade ist er in der Praxisphase seines Studiums zum Diplom-Verwaltungswirt. Und Praxisphase bedeutet für Albrecht: Vollzeit-Bürgermeister.
Das Gößnitzer Rathaus wird vom parteilosen Bürgermeister Patrick Albrecht geführt.
Albrecht bemühte sich um städtische Übernahme des Malzwerks
Ein kleiner Spaziergang durch die Stadt: Gerade hinter sich gebracht hat er die Versteigerung des alten Malzwerks. Sud- und Siloturm der 1889 erbauten Fabrik blicken auf die Stadt herab, wie zwei Zeitzeugen einer wirtschaftlich nicht ganz so trägen Phase. Seit 1992 steht es leer und seitdem beschäftigt es die unterschiedlichen Generationen an Amtsträgern in den vier Gößnitzer Rathausetagen.
Albrechts Vorgänger, Wolfgang Scholz, hatte eine Zwangsversteigerung in die Wege geleitet. Die Einladung zum Versteigerungstermin erreichte Albrecht in den ersten Wochen seiner Amtszeit. Er habe in Land und Bund nach Fördermitteln gesucht, hätte das Malzwerk gern in städtischen Besitz geführt.
Aber: "Aktuell gibt es keine Fördermöglichkeiten, da haben wir uns entschieden, nicht mitzubieten." Ersteigert hat es ein niederländischer Investor. Nur Kontakt zur Stadt habe der leider noch keinen aufgenommen.
Ich fühle mich nicht mächtig. Ich fühle mich eher als Bettler in der größeren Politik. Patrick Albrecht, Bürgermeister von Gößnitz |
Vom Azubi der Stadtverwaltung zum Bürgermeister
Albrecht hat bereits seine Ausbildung in der Gößnitzer Stadtverwaltung absolviert. Als Gewächs der Verwaltung weiß er, was eine städtische Behörde schafft und was nicht. Er weiß, dass man nicht zu viel versprechen kann: "Klar ich leite eine Behörde, die vielleicht mal einen Bescheid erlässt, aber ich fühle mich nicht mächtig. Ich fühle mich eher als Bettler in der größeren Politik."
Albrecht hat bereits seine Ausbildung in der Gößnitzer Stadtverwaltung absolviert.
Versprochen hat er, den Online-Bürgerservice auszubauen. Das hat geklappt. Es gibt jetzt ein kommunales Serviceportal, auf dem, passend zur Jahreszeit, digital animierte Schneeflocken über den Bildschirm rieseln. Neben diesen optischen Reizen ermöglicht das Portal aber auch, eine Vielzahl an Anträgen online einzureichen.
Bei den Bürgern können solche kleinen Fortschritte den Eindruck erwecken, dass sich eh nichts ändert. "Ich versuche so gut es geht aufzuklären, aber man kann eben nicht alles aufklären, zumindest nicht verständlich aufklären", sagt Albrecht.
Bürgermeister-Amt vs. Studentenleben
Stadtratsmitglied André Becker von der Bürgerinitiative 89 ist so jemand, dem das Weiter-So zu wenig ist. Er hat im Sommer die Stichwahl gegen den parteilosen Albrecht verloren und teilt auf seinem YouTube-Kanal gegen das Gößnitzer Rathaus aus. Eine "machterhaltende Elite" sei dort im Amt, von "Dikatur in Reinkultur" ist die Rede. Das kann man für Oppositionspolitik halten oder den Vorwurf geltend machen, hier habe einer seine Niederlage nicht besonders gut verkraftet.
Direkt darauf angesprochen, gibt sich André Becker deutlich milder. Er habe nichts gegen den neuen Bürgermeister. "Ich habe nur die Sorge, dass da jemand seine Jugend für ein Bürgermeisteramt opfert", sagt Becker.
Verschwendet sieht Patrick Albrecht seine Jugend nicht. Er mache eben bloß andere Dinge als die meisten Altersgenossen. Während des Studiums übernachtet er gelegentlich am Studienort Gotha in einer Wohngemeinschaft. Über seine Mitbewohner sagt er: "Die genießen meist ihr Studentenleben, während ich Homeoffice mache oder hierher fahre."
Die genießen meist ihr Studentenleben, während ich Homeoffice mache. Patrick Albrecht, Bürgermeister von Gößnitz |
Angetreten, um keinen AfD-Politiker als Chef zu haben
In der Gothaer WG ist auch die Entscheidung gefallen, Bürgermeister zu werden. Es sei das Gerücht herumgegangen, dass sich Johannes Sondermann für die AfD als Kandidat aufstellen wolle.
Albrecht, der als Verwaltungsmitarbeiter seinen Dienst im Rathaus tat, wollte Sondermann nicht als Chef haben. Also trat er selbst an. Er habe nichts gegen die AfD an sich, eher gegen die bestimmte Person. Letztendlich hat sich gar kein Sondermann für die Wahl aufgestellt, bei Albrechts Bewerbung ist es geblieben.
Albrechts Anliegen: Stolz sein auf kleine Projekte
Die letzte Station der Tour durch die Stadt ist der neue Spielplatz im Stadtzentrum. "Wir müssen lernen, auf kleine Projekte stolz zu sein", sagt Albrecht. Der Spielplatz ist so ein Projekt, auf das er stolz ist. Klar, würde er die Stadt gern so umgestalten, wie er sie als junger Mensch auch gern gehabt hätte, aber das sei gerade einfach nicht drin.
Albrecht weihte den neuen Spielplatz in seiner Amtszeit ein.
Einnahmen durch Medienrummel werden in Stadt investiert
Viele Fernsehteams haben ihn schon besucht, zahlreiche Zeitungen haben ihre Gößnitzer Erzählungen zusammen geschnitzt. Was treibt einen 24-Jährigen in die Kommunalpolitik? "Viele unterschätzen, dass für solche Termine viel Zeit drauf geht", sagt Albrecht. Er nehme deshalb nicht mehr jede Interviewanfrage an.
Das Prosieben-Magazin Galileo hat ihn ganze zwei Tage begleitet, als Entschädigung hat Albrecht 600 Euro verlangt, bekommen - und weitergereicht. Das Geld soll für den Bau einer Tischtennisplatte in der Stadt verwendet werden.
Am Ende des Galileo-Beitrags sitzt Albrecht in Badehose im Gößnitzer Freibad und wird nach seinem Freizeitleben befragt. Die Antwort haben seine Mitarbeiter zu einer Zitattafel veredelt und ihm zum Geburtstag überreicht. Sie steht jetzt im Regal des Bürgermeisterbüros, darauf steht seine Losung geschrieben: "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps."
MDR (ost)