Thüringen Ermittlungen gegen Arbeitslosenverein Talisa: Staatsanwaltschaft klagt Ex-Vorsitzende an
Die mutmaßliche Betrugsaffäre um die Thüringer Arbeitsloseninitiative Talisa hat ein gerichtliches Nachspiel. Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat die Ex-Geschäftsführerin und ehemalige Vereinsvorsitzende angeklagt. Es geht um Fördermittelbetrug in rund einem Dutzend Fälle. Zudem fordert das Land über 1,4 Millionen Euro vom Verein zurück.
Fast 20 Jahre hat sich der Verein Talisa thüringenweit für Arbeitslose und sozial schwache Menschen eingesetzt. Fast 20 Jahre lang sind dafür Millionen an Fördermitteln aus den unterschiedlichsten Töpfen des Freistaates Thüringen an Talisa geflossen.
Doch inzwischen steht der Verein vor den Trümmern seiner Existenz. Talisa ist seit einem Jahr pleite und nun muss sich die ehemalige Geschäftsführerin und Vereinsvorsitzende, Ingrid Schindler, vor Gericht verantworten.
Vorwurf: Betrug bei Fördermitteln
Die Staatsanwaltschaft Erfurt wirft der 65-Jährigen vor, bei der Verwendung von Fördermitteln betrogen zu haben. Ein Sprecher sagte MDR Investigativ, ihr würden 13 Fälle zur Last gelegt. Zudem gehe es um weitere Fälle von Betrug und versuchten Betruges.
Das Amtsgericht Erfurt bestätigte auf Nachfrage, dass die Anklage zugelassen sei und es Prozess-Termine ab Ende April kommenden Jahres gebe. Schindlers Anwalt ließ eine MDR-Anfrage unbeantwortet. Sie selber hatte die Vorwürfe gegen sich immer bestritten.
Die ehemalige Geschäftsführerin und Vereinsvorsitzende Ingrid Schindler muss sich vor Gericht verantworten.
Schaden soll bei knapp 128.000 Euro liegen
Nach Recherchen von MDR Investigativ geht es um zwei Anklagekomplexe. In dem einen wird Schindler vorgeworfen, Gelder für ein Flüchtlingsprojekt des Vereins Talisa beantragt zu haben, das offenbar nur auf dem Papier existierte. Dabei geht die Staatsanwaltschaft von knapp 86.000 Euro Schaden aus.
In dem anderen Fall geht es um zwei Projekt aus dem Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung. Dabei sollen knapp 42.000 Euro Fördermittel nicht für den beantragten Zweck verwendet worden sein. Mutmaßlicher Gesamtschaden: rund 128.000 Euro.
Auslöser war eine MDR-Recherche
Begonnen hatte alles im Frühjahr 2022. MDR Investigativ berichtete damals von mutmaßlichen Ungereimtheiten bei der Verwendung von Fördermitteln in einem Talisa-Flüchtlingsprojekt in Sömmerda. Dabei ging es vor allem darum, dass es Hinweise gab, dass dieses Projekt zur Unterstützung von Geflüchteten offenbar nur zum Schein existiert hatte.
Im Zuge der Recherchen hatte MDR Investigativ mehrfach beim Landesverwaltungsamt nachgefragt, das für die Prüfung der verwendeten Fördermittel im Rahmen eines Landesprogramms für Migration verantwortlich ist.
Erst aufgrund der MDR-Anfragen und den Hinweisen von Zeugen stieß das Landesverwaltungsamt auf den Verdacht, dass Talisa bei der Verwendung der Fördermittel betrogen haben könnte und erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Erfurt.
Entlassung als Geschäftsführerin
In den Fokus der Ermittlungen rückte dabei schnell Ingrid Schindler, die jahrzehntelang als Vereinsvorsitzende und Geschäftsführerin als das öffentliche Gesicht von Talisa galt. Nach MDR Investigativ-Recherchen soll der überwiegende Teil der Fördermittelanträge über ihren Schreibtisch gegangen sein.
Demnach sollen die Ermittler beim Thüringer Landeskriminalamt Hinweise gefunden haben, dass sie für den mutmaßlichen Betrug verantwortlich sein könnte.
Schindler, die unter anderem eng mit dem Thüringer Arbeitslosenparlament und dem Thüringer Landesverband der Partei Die Linke verbunden ist, war im vergangenen Jahr als Talisa-Geschäftsführerin entlassen worden. Zuvor war sie als Vereinsvorsitzende zurückgetreten.
Land fordert über eine Million zurück
Parallel zu den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft begann das Landesverwaltungsamt ab Frühjahr 2022 sämtliche geförderte Projekte bei Talisa auf den Prüfstand zu stellen. Die Bilanz nach zwei Jahren Prüfung ist verheerend.
Das Land habe gegenüber dem Verein aktuell Rückforderungen in Höhe von 1,4 Millionen Euro geltend gemacht, sagte eine Sprecherin der Behörde. Allein bei den thüringenweiten Flüchtlingsprojekten muss Talisa über 600.000 Euro an Fördermitteln zurückzahlen, weil sie offenbar nicht regelkonform verwendet worden waren.
Im Bereich der öffentlich geförderten Beschäftigung wurden massive Fördermittel-Verstöße in 77 von 80 Projekten gefunden, die Rückforderung beläuft sich auf über 800.000 Euro.
Rückzahlung bleibt offen
Doch ob das Land dieses Fördergeld jemals sehen wird, darf bezweifelt werden. Denn der Verein hatte im vergangenen Sommer Insolvenz angemeldet. Hintergrund dafür war unter anderem, dass das Land aufgrund der Vorwürfe gegen den Verein sämtliche Zahlungen an Fördermitteln gestoppt hatte und es offensichtlich so gut wie keine finanziellen Rücklagen in der Vereinskasse gab.
Das Landesverwaltungsamt teilte MDR Investigativ mit, dass der Freistaat in dem Verfahren Gläubiger sei. Ob und wie die Rückforderung beglichen würden, sei aber bisher noch nicht geklärt.
Gelder sind offenbar verschwunden
Nach MDR Investigativ-Recherchen ist bis heute unklar, wo das ganze Geld aus dem mutmaßlichen Fördermittelbetrug abgeblieben ist. Insolvenzverwalter Rolf Rombach sagte MDR Investigativ, das Verfahren laufe noch. Zu weiteren Details wolle er sich nicht äußern.
Er werde aber das strafrechtliche Verfahren gegen die ehemalige Talisa-Geschäftsführerin und Ex-Vereinsvorsitzende Schindler genau beobachten, ließ er wissen.
MDR (lke/ar/jn)