Ein Mann schaut auf einer Party in die Kamera.

Thüringen "Ferienpark fürs Wochenende": Warum das MAD in Eisenach noch heute die Gemüter erregt

Stand: 25.08.2024 05:00 Uhr

Party, Eskalation und Sex: Dafür stand das MAD in Eisenach - eine der ersten Großraumdiskotheken im Osten. Als vor kurzem die ehemalige Location abbrannte, war die Trauer riesengroß. Warum eigentlich?

Von David Straub, MDR THÜRINGEN

So richtig ist das alles nicht mehr vorstellbar: Rentner schieben am laufenden Band Einkaufswagen rein und wieder raus, es gibt Bratwurst, ein Käffchen - am Einkaufszentrum Pep in Eisenach herrscht typische Donnerstagvormittagsstimmung. Der Parkplatz ist voll. Nichts erinnert daran, dass hier jahrelang an mehreren Abenden die Woche tausende Disko-Wütige Party, Eskalation und Liebe suchten.

Fast nichts.

Robert "Bobby" Wagner kommt aus dem Einkaufszentrum. Er hat sich vor dem Interview schon ein bisschen umgesehen: "Es ist ein bisschen, wie nach Hause zu kommen. Hier hat sich wenig verändert." Sein älterer Bruder Stefan kommt - "wie immer" - zu spät. Bobby lacht. Er ist für dieses Interview extra aus Schweinfurt hergefahren, wo er mittlerweile lebt.

Zwei Männer schauen in die Kamera.

Robert "Bobby" Wagner (l.) und sein Bruder Stefan vor dem Pep-Einkaufszentrum, wo sie 1995 das MAD eröffneten.

MAD: Music Action Dance

Vor kurzem brannte das MAD in der Ziegelei ab, der zweite Standort der Großraumdisco, nachdem die Wagners 2005 nach Stress mit dem Vermieter mit ihrem ersten MAD ("Music Action Dance") aus der zweiten Etage des Pep auszogen. Mittlerweile ermittelt die Polizei wegen Brandstiftung. Das Echo nach dem Brand war groß: Trauerstimmung in der Facebook-Gruppe "Wir waren MAD! Wunderbare Erinnerungen" mit fast 5.000 Mitgliedern.

Der Brand ist Anlass für diese Geschichte. Auch für die Wagner-Brüder, um noch einmal über die alten Zeiten zu sprechen. Aber nicht am Ort des Brandes, der alten Ziegelei, sondern hier, wo sie sich Anfang der Neunziger ihr Lebenswerk aufgebaut haben.

"Ich habe immer gesehen, wie Leute Diskotheken aufmachen, ihr ganzes Geld nehmen, sich das einrichten lassen und dann jämmerlich pleitegehen", erinnert sich Stefan Wagner an die Zeit, in der er mit seiner Firma eben jene Einrichtungs- und Planungsarbeit für Diskotheken-Betreiber übernahm.

Entweder gehst du auch pleite, oder du baust den Laden fertig und betreibst ihn selber. Stefan Wagners Bankberater |

Auch die Disco im Pep war eigentlich von einem anderen Betreiber geplant und von Wagner ab 1992 schon recht weit ausgebaut worden. Bis sich sein Bankberater bei ihm meldet und von der vorzeitigen Pleite des Betreibers berichtet. "Er hat gesagt, das ist jetzt doof. Du hast zwei Möglichkeiten. Entweder gehst du auch pleite, oder du baust den Laden fertig und betreibst ihn selber."

Stefan holt seinen jüngeren Bruder Bobby ins Boot - die beiden ziehen es durch. "Und die ersten vier Wochen kam keiner. Also gar keiner."

Zwei Männer schauen in die Kamera.

Die Wagner-Brüder vor der Rolltreppe im Einkaufszentrum Pep, mit der es hoch in den ersten Stock ging: zum MAD.

Stretch-Limo und Unisex-Toiletten

Doch schon kurz danach schlägt das Konzept ein. Ein Konzept, das das MAD abheben sollte von anderen: Kassierer in einer Stretch-Limousine, bekannte DJ-Größen, Unisex-Toiletten oder auch Animateure, die die Stimmung anheizen. Nicht zu vergessen: die Chipkarten, mit denen alle Besucher registriert wurden und bezahlten.

"Wir haben feste Aktionen zu gewissen Zeiten während des Abends gehabt, um die Stimmung zu kanalisieren und Reaktionen auszulösen", erinnert sich Stefan Wagner, "was gut funktioniert hat. Und ja, wir waren relativ aggressiv und vielleicht auch ein bisschen anders beim Marketing. Und das hat uns dann irgendwann zu einem Publikumsmagnet gemacht."

Wir hatten dann eine ziemliche Auseinandersetzung, ob wir uns Gigi D’Agostino leisten können. Stefan Wagner |

Die Wagners wurden so erfolgreich, dass sie immer bekanntere DJs buchen konnten. "Wir hatten dann eine ziemliche Auseinandersetzung, ob wir uns Gigi D’Agostino leisten können. Bobby hat sich durchgesetzt", lacht Stefan Wagner heute. "Es war die größte Party. An diesen Mittwochabend im Sommer wird sich jeder MAD-Fan erinnern", sagt Bobby Wagner.

Besucherinnen und Besucher hätten den ganzen Abend bis auf den Parkplatz Schlange gestanden. Um 2000 sei das gewesen, "Gigi" erst spät nachts gekommen. Aber: "Er hat damals nur zwei Auftritte in ganz Deutschland gehabt und den ersten bei uns. Und das war so was von phänomenal."

Im Bild: Bobby Wagner (l.) und Gigi D'Agostino nach dessen Auftritt im MAD.

Regelmäßig von Frankfurt nach Eisenach

200 Kilometer sind es ungefähr von Frankfurt bis zum Pep nach Eisenach. Diana fuhr die Strecke jahrelang jeden Mittwoch. Abends hin direkt ins MAD, nachts zurück. Und alles nur, um im MAD zu feiern.

Als das MAD steilgeht Mitte der Neunziger, macht die Thüringerin gerade ihre Ausbildung in der Main-Metropole. "Ich war immer mittwochs da, und an den Wochenenden haben wir uns auch alle da getroffen."

Heute lebt sie wieder in Thüringen, in Bad Liebenstein. "Es war immer sehr schön. Es war die erste Diskothek nach westlichem Standard. Davor waren wir halt immer in den umliegenden Dörfern zum Feiern. Nach der Wende wurde es um die Dörfer ruhiger." Als die Großen entstanden - das MAD oder das Atlantis. "Die hatten das alles: Lichtanlage, ein schöner Tresen - das MAD war so neu, es hat geglitzert."

Junge Leute tanzen auf einer Tanzfläche in der Discothek MAD in Eisenach, Thüringens größtem Tanztempel.

Party so oft es ging: Das MAD zog aus allen Landesteilen Gäste an.

Und es ist damals nicht nur Diana, die den weiten Weg auf sich nimmt. "50 Prozent unseres Klientels kam ja auch aus den alten Bundesländern", erinnert sich Stefan Wagner. "Das heißt, wir haben die Leute kreisförmig eingesaugt."

"Du hattest so einen Wow-Effekt"

Zwei, die die Zeit damals auch in vollen Zügen mitgenommen haben, sind Uwe Kelm (im Titelbild des Artikels rechts) und Adi Rückewold. Beide arbeiteten im MAD als DJ - Kelm auch als Animateur. "Nach der Wende war Aufbruchsstimmung", sagt Kelm. "Diskos kannte man eher so als Jugendhäuser. Die Großraumdiskos aber waren quasi Indoor-Festivals. Du hast überall Versorgung - aus Gast-Sicht war das Konzept geil."

"Das MAD im Pep war Kult", sind sich beide einig. "Mit dem Auto, das in die Wand gebaut war", nennt Kelm ein Beispiel. "Das war schon sehr geil und opulent alles. Du hattest so einen Wow-Effekt." Nicht zu vergessen die fünf Musikbereiche - von der Rockdisco im "Blockhaus" zum Fox-Floor. "Dazu die 17 Theken, es war ein Ferienpark fürs Wochenende."

Junge Leute tanzen auf einer Tanzfläche in der Discothek MAD in Eisenach.

Ins Eisenacher MAD passten tausende Partygäste.

So "imperial groß" sei der Laden damals gewesen, dass sich die heutigen Kollegen beim MDR damals nie gesehen oder kennengelernt hätten, erinnert sich Adi Rückewold. Erst für diesen Artikel sprechen sie zum ersten Mal über die Zeit damals.

Aus DJ-Sicht war das MAD schon auch Ausbeutung. Adi Rückewold |

Das Team im MAD sei super gewesen, sagt Rückewold. Was auch manch harte Nacht verzeihbar machte: "Aus DJ-Sicht war das MAD aber schon auch Ausbeutung: 12-Stunden-Schichten mit Meetings vor und nach dem Auflegen. Für 175 Mark." Kelm und Rückewold erinnern sich gern zurück - je voller das MAD, desto besser sei damals die Party gewesen.

Neben MAD auch noch andere Läden

Fast unter geht neben den Erinnerungen an das MAD im Einkaufszentrum Pep, dass die Wagners nebenher noch andere Läden betrieben: Einen am Erfurter Nordstrand (das spätere Spot), zwei in Schweinfurt, eine Beteiligung in Bamberg oder das "Partyhaus" in Eisenach. "Es waren dann schon viele", sagt Stefan Wagner.

Konflikten gingen die Brüder dabei nicht aus dem Weg. Konnten sie vermutlich gar nicht: Um den MAD-Auszug aus dem Pep Anfang 2005 ranken sich verschiedene Erzählungen. Klar ist: Wenn tausende Menschen Beach-Partys im zweiten Stock einer Gewerbezeile feiern, geht das nicht spurlos an darunterliegenden Geschäften vorbei. Und: mit dem aufkommenden Erfolg der Wagners will auch der Vermieter irgendwann ein größeres Stück vom Kuchen. Auf die Details der Auseinandersetzungen gehen die Brüder nicht ein im Interview.

Schnell suchten und fanden sie 2005 aber einen neuen Platz: die Ziegelei. "Aber es war eine Riesenbaustelle unter enormem Stress, weil wir ja wussten, dass der Zähler auf der Uhr rückwärtsläuft." Das MAD in der Ziegelei bleibt bis 2010, dann machen die Wagners für immer dicht.

Sie sind rausgewachsen aus dem Geschäft und wollen sich anderen Dingen widmen. Auch weil sie merken, dass sich die Zeiten geändert haben. Die Clubs sind längst da. Und auch eine andere Partykultur.

Sexismus gab es nicht. Diana |

In der Zeit von Awareness-Teams in immer mehr Clubs stellt sich heute auch die Frage: Waren Sexismus oder sexuelle Übergriffe eigentlich je ein Thema?

Sex war immer ein Thema, klar, sagt Bobby. Fotos im Netz zeugen heute noch von den Motto-Partys wie "Popp Nacht" oder "Pussy Club". Es sei einfach eine unbeschwerte Zeit gewesen. Sexismus eigentlich kein Thema. Stefan Wagner ergänzt: "Wir haben natürlich auch immer sehr viel auf Sicherheit gesetzt. Und hatten überdurchschnittlich viele Mitarbeiter, die geguckt haben und auch sofort eingeschritten sind, wenn irgendwo was passiert ist."

Auch Diana aus Bad Liebenstein sieht das so, zumindest mit Blick auf die Anfangsjahre, in denen sie dabei war: "Sexismus gab es nicht. Das war noch eine Zeit, wo man unbekümmert feiern konnte. Keiner musste Angst um sein Glas haben. Auch keine Angst vor Gewalt. Das war alles kurz nach der Wende - es waren Zeiten, in denen es nicht so hochgekocht war. Es war immer friedlich. Es war einfach der Osten." Für sie war die Disco ein Treffpunkt, den es heute so nicht mehr gebe. Ein Ort, wie auch ihre Tochter ihn nicht mehr im nahen Umfeld habe.

Bobby: "Das Gaspedal gefunden - jeden Tag"

Dass der Brand der zweiten MAD-Location jüngst so viele Menschen bewegt hat, haben Stefan und Bobby Wagner nicht direkt mitbekommen. Sie scheinen von der Trauer in der 5.000 Mitglieder starken Facebook-Gruppe auch ein Stück überrascht.

Sie selbst seien nicht in den Sozialen Medien und hätten mit ihrer 20-jährigen MAD-Geschichte emotional abgeschlossen. Aber, so Stefan: "Wir haben offenbar sehr viele Leute bewegt mit dem MAD. Für viele ist es natürlich auch die Jugend gewesen, an die sie sich gerne erinnern."

Auch Bobby ist dankbar für das Echo und dass ihr Konzept von Beginn der Neunziger an Anklang fand: "Mir kam es so vor, dass die Leute ausgehungert waren. Die wollten einfach. Die haben das Gaspedal gefunden und haben halt voll draufgetreten. Jeden Tag immer draufgetreten. Das war Wahnsinn, diese Energie zu sehen. Wirklich Wahnsinn. Die Leute waren froh, dass es diese Möglichkeit hier gab, wo sie einfach die Leine loslassen konnten."

MDR (dst)