Ein Demonstrant hält ein Schild mit der Aufschrift «Erfurt bleibt bunt».

Thüringen "Natürlich habe ich Angst": Tausende bei Großdemonstration in Erfurt

Stand: 26.08.2024 09:31 Uhr

Eine Woche vor der Landtagswahl sind am Sonntag nach Polizeiangaben etwa 4.500 Menschen gegen Rechtsextremismus und für eine starke Demokratie in Erfurt auf die Straße gegangen. Mit dabei: verschiedene Bündnisse, Parteien und Bewegungen. Was sie eint: Die Sorge davor, was passiert, falls die AfD nach den Landtagswahlen in Thüringen an die Macht kommt. Eine Reportage.

Von Elisabeth Czech, MDR THÜRINGEN

Judith wurde vor Kurzem in Erfurt auf der Straße bespuckt. Sie hatte eine Regenbogenflagge auf ihrem Beutel getragen. Sie habe danach geweint, erzählt sie. Die 29-Jährige macht sich Sorgen wegen der Thüringer Landtagswahl am 1. September. Eine Woche zuvor demonstriert sie zum einen als Lehrerin einer Gemeinschaftsschule in Erfurt, die nicht möchte, dass die AfD die Lehrpläne und Schulen antidemokratisch beeinflusst.

Zum anderen ist sie hier, weil sie queer ist: "Natürlich habe ich Angst. Wenn man sich so anguckt, wie die Prognosen sind, habe ich Angst. Andererseits, wenn man sich hier umguckt, das macht auch wieder Hoffnung, das ist schön. Ich wünsche mir, dass die AfD so schlecht wie möglich abschneidet."

Erfurt, nehmt Euch wichtig, denn das seid ihr. Luisa Neubauer | Klimaaktivistin

Die Demo startet am Sonntag am Erfurter Anger. Die Klimaaktivistin und Grünen-Mitglied Luisa Neubauer ist angereist, um die Menge zu motivieren: "Erfurt, nehmt euch wichtig, denn das seid ihr. Es ist der erste entscheidende Schritt. Leute, nicht aufgeben! Wir sagen: Ja zum Miteinander, zur Demokratie. Zu einem echten gelebten Wir in harten Zeiten."

Gemeinsam zieht die Menge dann unter lauten Rufen für eine starke Demokratie und gegen Rechtsextremismus durch die Erfurter Innenstadt in Richtung Landtag. Auch an die Opfer des Anschlags von Solingen wird während der Kundgebung erinnert. Rechtsextremismus und Islamismus stünden gegen Werte wie Toleranz, Vielfalt und Demokratie.

Teilnehmer Demonstration Innenstadt Erfurt

Zu den Rednern bei der Demonstration am Sonntag gehörte auch Klimaaktivistin Luisa Neubauer.

Angst vor möglicher Ausgrenzung

Sophie und Angie spazieren im Demozug mit, tragen bunt bemalte Schilder mit Aufschriften wie "Make Nazis afraid again". Ihnen mache es Angst, dass viele Menschen ihre Rechte verlieren könnten, dass Ausgrenzung hier im Land herrsche könne - etwa für queere Menschen. "Das muss nicht sein. Wir haben lange dafür gekämpft, dass es nicht so ist. Jetzt gehen wir dahin wieder zurück. Das ist nicht okay."

Teilnehmer Demonstration Innenstadt Erfurt

Viele Demonstranten haben ihrer Stimme mit Schildern Ausdruck verliehen.

Zwischen ernsten Worten und ausgelassener Stimmung

Auf der Demo herrscht ausgelassene und fröhliche Stimmung. Viele tanzen zu den Bands, die auf der Bühne am Landtag auftreten. Doch die gute Stimmung und die strahlende Sonne täuschen nicht darüber hinweg, wie ernst es den Menschen ihre Anliegen sind.

Ein Ehepaar sticht durch ein Plakat heraus: "Katzis gegen Nazis" steht darauf. Darüber sieht man eine Katze, die eine blaue Maus mit dem AfD-Logo im Maul trägt. Warum dieses Plakat? "Weil wir Katzenliebhaber sind und weil wir gegen die AfD sind", sagt Kalle Krum aus Ichtershausen lachend.

Warum er hier ist: "Ich möchte und muss an dieser Veranstaltung teilnehmen, um einen Höcke zu verhindern. Es gibt noch ganz viele Menschen, die glauben nicht, dass Höcke ein Faschist ist. Wer sein Buch liest und wer seine Aussagen ernst nimmt, der muss einfach einsehen, er ist ein Nazi."

Seine Partnerin Petra Meisenzahl ist bei den Linken und gewerkschaftlich engagiert. Sie pflichtet ihm bei: "Mir bereitet Sorge, dass er das umsetzt, was er angekündigt hat."

Teilnehmer Demonstration Innenstadt Erfurt

"Katzis gegen Nazis" - Kalle Krum ist Katzenliebhaber und hält wenig von der AfD.

"Auf der Demo sollen auch die Menschen Raum bekommen, die marginalisiert werden in der Gesellschaft: Queere Menschen, Menschen mit Behinderung, Geflüchtete, sagt Anna-Lena Metz, vom Bündnis "Auf die Plätze". Es hat die Demo gemeinsam mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und dem Erfurter Netzwerk für kulturelles Leben organisiert.

Demonstration gegen Rechtsextremismus Innenstadt Erfurt

Sophia spricht für den Behindertenverband. Sie fühlt sich wie viele andere behinderte Menschen vom Wahlprogramm der AfD bedroht.

Demonstranten fühlen sich vom Wahlprogramm bedroht

Nun spricht Sophia für den Behindertenverband. Sie sitzt im Rollstuhl und betont: "Es ist an der Zeit, den strukturellen Ableismus in der Gesellschaft zu benennen und zu bekämpfen. Struktureller Ableismus zeigt sich, indem die Lebenswelten behinderter Menschen nicht beachtet und nicht in die Planung und die Gesetzgebung mit eingebunden werden."

Adam, der selbst geflüchtet ist, erläutert, wie wichtig es sei, Geflüchtete zu integrieren. Viele Personengruppen auf der Demo haben eines gemeinsam: Sie fühlen sich vom Wahlprogramm der AfD bedroht.

Zum Abschluss setzt Andreas Busch vom Erfurter Netzwerk für kulturelles Leben (Enkl e.V.) ein Statement für die Kulturakteure der Stadt Erfurt. "Kulturförderung ist wichtig, damit Erfurt bunt bleibt. Die AfD ist gegen Subventionen jeglicher Art im Wahlprogramm." Busch hat die Bands organisiert, die auf der Demo spielen und dafür über 40 verschiedene Acts angefragt, sagt er.

Kulturförderung ist wichtig, damit Erfurt bunt bleibt. Die AfD ist gegen Subventionen jeglicher Art im Wahlprogramm. Andreas Busch | Erfurter Netzwerk für kulturelles Leben (Enkl e.V.)

Die Band "Frittenbude" habe innerhalb von zwei Minuten geantwortet und zugesagt. Sie verabschieden die Besucherinnen und Besucher, die am späten Sonntagnachmittag noch da sind, mit lauten Bässen: "Die Dunkelheit darf niemals siegen, da die, die schweigen, immer schwiegen" singen sie.

Demos auch in Sachsen und in Sonneberg

Auch in Sonneberg haben am Sonntagabend nach Angaben der Polizei rund 300 Menschen gegen Rechtsextremismus demonstriert. Die Kundgebung auf dem Piko-Platz verlief friedlich. Tausende sind zu den Demos in Leipzig und Dresden auf die Straße gegangen. Die Organisatoren sprachen jeweils von 11.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen, Augenzeugen schätzten die Zahl etwas geringer ein.

MDR (cze,lou)