Thüringen Kollektives Gedächtnis: Weimarer Audimax heißt jetzt Maurice-Halbwachs-Auditorium
Das Audimax der Weimarer Bauhaus-Universität trägt nun den Namen "Maurice-Halbwachs-Auditorium". Damit will die Uni an den französischen Soziologen und Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnern. Halbwachs führte den Begriff des "Kollektiven Gedächtnisses" in die sozialwissenschaftliche Forschung ein.
Als Maurice Halbwachs im März 1945 im KZ Buchenwald starb, wog er nur noch 47 Kilogramm. Als Todesursache notierte die Lagerverwaltung: "Herz- und Altersschwäche". Der französische Soziologe wurde 68 Jahre alt. Die Bauhaus-Universität Weimar zeigt auf ihrer Website Faksimiles der Häftlingskartei von Maurice Halbwachs. Er war "nur" ein Dreivierteljahr in Buchenwald. Zeichnungen eines Mithäftlings stellen einen ausgemergelten Mann mit Brille dar.
Wahrscheinlich war weder den meisten Gefangenen von Buchenwald noch seinen Schergen klar, wer der Franzose mit der Häftlingsnummer 77161 war. Auch heute ist vielen Menschen der Name Maurice Halbwachs kein Begriff. Und doch hat der Wissenschaftler im Jahr 1925 das Konzept vom "Kollektiven Gedächtnis" eingeführt. Eine Idee, mit deren Bedeutung wahrscheinlich so gut wie jeder intuitiv etwas anfangen kann. Kurz gesagt, bezeichnet es die gemeinsame Gedächtnisleistung einer bestimmten Gruppe von Menschen mittels Ritualen, Symbolen oder Objekten.
Maurice Halbwachs - eine Fotografie aus dem Jahr 1944.
Lehrte und forschte in Frankreich und Deutschland
Halbwachs studierte in Frankreich und Deutschland, lehrte und forschte in beiden Ländern und wurde 1935 als Soziologie-Professor an die Sorbonne in Paris berufen. Er betätigte sich als Herausgeber einer soziologischen Fachzeitschrift und veröffentlichte wichtige Beiträge zur Arbeits- und Wirtschaftssoziologie, zur Soziologie der sozialen Klassen, der Stadt oder des Selbstmordes.
Der Audimax der Bauhaus-Universität Weimar heißt seit Mittwoch "Maurice-Halbwach-Auditorium". Damit will die Uni nach eigenen Angaben "an zentralem Ort einen bedeutenden Wissenschaftler, Akademiker und europäischen Menschenfreund" ehren - "stellvertretend durch ihn aller Opfer der Gewaltherrschaft des deutschen Nationalsozialismus" gedenken. Aber warum steht ausgerechnet der Name Maurice Halbwachs neben der Tür des größten Hörsaals der Weimarer Uni? Gibt es dafür auch einen wissenschaftlichen Grund?
Die Gedenktafel gilt stellvertretend auch allen Opfern des NS-Gewaltherrschaft.
Halbwachs bleibt für Forschung und Lehre aktuell
Als Initiatoren der Audimax-Umbenennung gelten die Weimarer Professoren Henning Schmidgen und Frank Eckardt. Dem Soziologen und Urbanisten Eckardt zufolge passen Halbwachs' Arbeiten noch gut in die aktuelle Forschung und Lehre. Halbwachs hatte sich mit den gesellschaftlichen Veränderungen im Paris des 19. Jahrhunderts auseinandergesetzt. Bei der Ausbildung von Stadtplanern könne diese Beschäftigung helfen, an heutigen Themen wie Gentrifizierung und sozialen Problem zu forschen, beispielsweise Armut in der Stadt.
Zum anderen steht Halbwachs laut Frank Eckardt für die Idee des "Kollektiven Gedächtnisses" und wie es von Gesellschaften konstruiert werde - wichtig für den aktuellen gesellschaftlichen Diskurs um Erinnerungspolitik und Geschichtsrevisionismus. Nach Angaben der Uni beschäftigen sich auch die Medien-Studenten der Bauhaus-Universität Weimar in diesem Wintersemester mit dem Werk von Maurice Halbwachs. So biete etwa Henning Schmidgen ein Medienkultur-Seminar zum "Kollektiven Gedächtnis" an.
1944 stand Maurice Halbwachs auf dem Höhepunkt seines wissenschaftlichen Ruhms. Er übernahm den Lehrstuhl für Sozialpsychologie des Collège de France. Wenig später wurde Maurice Halbwachs von der Gestapo in Paris verhaftet. Er hatte seine beiden Söhne versteckt, die im französischen Widerstand aktiv waren.
MDR (one/cfr)