Thüringen Lernen durch Computer spielen in Jena
Immer mehr Jugendliche finden im eSport eine neue Leidenschaft und gleichzeitig eine Gelegenheit, Teamgeist und kognitive Fähigkeiten zu trainieren. Im Jenaer eSports-Verein leitet Coach Waldemar Spengler die jungen "League of Legends"-Spieler und zeigt, wie Gaming nicht nur Spaß, sondern auch Struktur und Gemeinschaft vermitteln kann.
Jeden Mittwochabend kommen sie zum Training – und zwar ohne zu murren. Meistens sind es fünf oder sechs Jugendliche zwischen 15 und 19 Jahren, die sich hier treffen und das tun, was viele ihrer Altersgenossen in ihrer Freizeit ohnehin am liebsten machen: Spielen. Fünf Gaming-Laptops stehen aufgereiht in einem kleinen Raum des Jenaer eSports e.V. Hier wird, wie in vielen ähnlichen Vereinen in Deutschland, "League of Legends" (LoL) gespielt. Fünf Spieler bilden eine Mannschaft und treten mit Fantasy-Avataren in einer Online-Arena gegen ein anderes Team irgendwo auf der Welt an. Jeder Charakter hat eigene Fähigkeiten, kann unterschiedlich gut austeilen oder einstecken und übernimmt im Team besondere Funktionen. Ziel des schnellen Spiels ist die Zerstörung der gegnerischen Basis. Eine Runde kann bis zu fünfzig Minuten dauern.
Jugendliche spielen das Online-Rollenspiel "League of Legends" im Verein Jenaer eSports e.V.
Teamgeist, Strategie und Konzentration
Wer bei LoL erfolgreich sein will, braucht viel Spielerfahrung, sehr gute Reflexe und vor allem Teamgeist. Heute spielen Johannes, Luca, Jamie, Yannick und Julia. Konzentriert sitzen sie vor ihren Monitoren, prügeln mit der Maus auf ihre Gegner ein oder beschießen sie mit spektakulären Fantasie-Waffen. Vor dem Spiel haben sie mit Blick auf ihre Gegner in der ihnen eigenen Spiel-Sprache über die Rundentaktik beraten. "Wenn man sich nicht abspricht, hat man kaum eine Chance", erklärt der 15-jährige Johannes das Prozedere.
"League of Legends" – Ein Spiel erobert die Welt
"League of Legends" gibt es bereits seit 15 Jahren. Rund 100 Millionen Menschen spielen das sogenannte Multiplayer-Online-Battle-Arena-Computerspiel. Durch die riesige Fan- und Spielerszene ist es eine beliebte eSport-Disziplin, also ein sportlicher Wettkampf mit Computerspielen. LoL ist eine große Nummer in der eSport-Welt, mit neun Dachligen und zahlreichen Regionalligen. Turniere werden von über 100 Millionen Zuschauern verfolgt – die besten Spieler werden verehrt oder gehasst, sie sind Popstars.
Ein Jugendlicher spielt das Online-Rollenspiel "League of Legends" im Verein Jenaer eSports e.V.
Sportlicher Wettkampf mit Maus und Tastatur
Wie in jedem Sport haben auch die jungen Jenaer LoL-Athleten einen Coach. Waldemar Spengler läuft während des Matches hinter seinen Schützlingen auf und ab, gibt Hinweise, rät zu Angriffen oder zum Rückzug. Auch wenn eSport nur von wenigen Ländern tatsächlich als Sport anerkannt wird, hat Spengler keine Zweifel: "Der springende Punkt ist, dass es ein digitaler Mannschaftssport ist. Da muss man auf die Perspektive seiner Mitspieler reagieren. Außerdem: Was denkt mein Gegner? Was denke ich, was er denkt? Und wie kann ich das ausspielen?" Der 36-Jährige spielt selbst seit vielen Jahren und hat sogar nach eigenen Aussagen einen Trainerschein für den eSport.
Trainer Waldemar Spengler coacht die Jugendlichen beim Online-Rollenspiel "League of Legends".
Coach Spengler und sein pädagogisches Konzept
Dass Computerspiele oft mit Spielsucht in Verbindung gebracht werden, ist auch Spengler klar. Studien belegen, dass tausende deutsche Jugendliche beim Spielen ein ausgeprägtes Suchtverhalten zeigen, besonders bei Multiplayer-Rollenspielen wie "World of Warcraft". Doch Kinder, Jugendliche und immer mehr Erwachsene spielen nun einmal. Deshalb will Spengler dem Spielen vor allem das Positive abgewinnen. Gegen die Sucht helfe seiner Ansicht nach am besten die Erfahrung von Gemeinschaft. So schätzt auch der 15-jährige Jannik an diesem Abend seine Motivation ein: "Es ist das Teamplay und die Connection mit den Freunden. Wenn man mit Freunden zusammenspielt, macht es halt sehr viel Spaß. Wenn man gewinnt, hat man ein gemeinsames Erlebnis."
Die positiven Effekte des eSports
Für Spengler hat Computerspielen einen weiteren positiven Effekt: Es verbessere das logische Denken und das räumliche Vorstellungsvermögen, die kognitiven Prozesse bei der Erkennung von Mustern und die Informationsverarbeitung. Das sei allerdings auch von Spiel zu Spiel unterschiedlich. Augenzwinkernd zitiert Spengler eine Studie eines Online-Magazins. Demnach hätten Spieler von LoL einen durchschnittlichen Intelligenzquotienten von 120,4. Am unteren Ende der Skala bewegten sich die Spieler des Fußball-Simulators FIFA 23 mit einem Durchschnitts-IQ von immerhin noch 89,8.
Julia spielt im Verein Jenaer eSports e.V. "League of Legends".
Über spielerisch vermittelte Inhalte lasse sich, so Spengler, auch der Lernerfolg für andere Kompetenzen verbessern. "Gamification" heißt dieser Ansatz. Spengler hat dafür das "Digital Inverted Gymnasium" gegründet. Unter diesem Label will er künftig Bildschirmspiele entwickeln, die bestimmte kognitive, aber auch emotionale Fähigkeiten trainieren. Dass so etwas funktioniert, zeigen beliebte Spiele wie "Minecraft", "Typeracer" oder "Gartic Phone", die räumliche, sensomotorische oder soziale Kompetenzen schulen.
Auch die Jugendlichen in seinem Verein coacht Spengler regelmäßig. Er möchte, dass sie in der Gemeinschaft zu reifen und verantwortungsvollen Persönlichkeiten heranwachsen. Oder wie die Deutsche Fernsehlotterie über den Jenaer eSports-Verein schreibt: "Die Teilnehmer lernen sich vor anderen zu behaupten, Entscheidungen zu treffen, aus Konsequenzen Erfahrung zu ziehen und mit Frust umzugehen. Nachhaltiges Ziel ist es, den Jugendlichen eine neue Perspektive für mentale Fitness anhand ihrer Spiele näherzubringen und ihnen wichtige Werte wie Sorgfalt, Zuverlässigkeit, Umweltbewusstsein und Selbstbewusstsein zu vermitteln." Für Spenglers Projekt des Digital Inverted Gymnasiums gab es 51.000 Euro Förderung von der Fernsehlotterie, damit die Jenaer Jugendlichen auch im kommenden Jahr noch in einer betreuten Umgebung gemeinsam spielen können.
MDR (Olaf Nenninger)