Der Landesbetroffenenrat bei einer Sitzung.

Thüringen Missbrauch von Kindern: "Das Thema werden sie ihr ganzes Leben lang nicht los"

Stand: 13.12.2024 18:36 Uhr

422 Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche listet die Kriminalitätstatistik in Thüringen 2023 auf. Der Thüringer Landesbetroffenenrat will dabei helfen, Kinder und Jugendliche besser zu schützen.

Von Juliane Maier-Lorenz, MDR THÜRINGEN

Viel erzählt Marlene Welzel nicht über das, was ihr in einem Turnverein in Weimar einst passiert ist. Nur so viel, dass daraus ihre eigene Betroffenheit resultiert und sie deswegen im Landesbetroffenenrat für Betroffene von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen mitarbeiten möchte. Seit Frühjahr dieses Jahres gibt es den Rat, viermal haben sich die Mitglieder bereits getroffen.

Marlene Welzel, Mitglied im Landesbetroffenrat

Marlene Welzel: "Ich möchte, dass das Thema mehr Sichtbarkeit bekommt."

Es sind sieben Frauen, alle selbst Opfer von sexuellen Übergriffen, die Kinder und Jugendliche in Zukunft besser schützen wollen. "Ich möchte, dass das Thema mehr Sichtbarkeit bekommt, so dass die Leute sich nicht mehr die Augen davor verschließen, dass es Betroffenheit gibt, dass es sexualisierte Gewalt gibt. Die gibt es überall im ganzen Land - ob zu Hause oder in der Kirche. Es ist 2024 und die Menschen tun immer noch so, als würde das nicht passieren", berichtet Marlene Welzel von ihren Erfahrungen.

Missbrauch und Gewalt: Expertise von Betroffenen zum Schutz anderer

Sicht der Betroffenen fehlte

Das Gremium tagt ehrenamtlich, berät Politik und Wissenschaft, aber auch Vereine, Schulen und Kindergärten, etwa bei der Entwicklung von Schutzkonzepten. In Thüringen habe sich in der Vergangenheit bereits viel getan, so Winfried Speitkamp, bis vor kurzem noch Landesbeauftragter für Kinderschutz.

Dennoch habe immer die Sicht der Betroffenen selbst gefehlt. Man hätte bisher immer nur auf administrative, wissenschaftliche oder politische Standpunkte geschaut. "Aber wir können nicht nachvollziehen, warum bestimmte Dinge passieren, wie Betroffene reagieren, warum sie sich oft erst spät äußern können und warum sie so schlecht Gehör finden", berichtet Speitkamp. Das könnten nur die Betroffenen selbst.

Viele schauen bei dem Thema weg

Thüringen ist nach Rheinland-Pfalz erst das zweite Bundesland, in dem ein solcher Betroffenenrat gegründet wurde. Auch Angela Marquardt ist Betroffene. Seit Jahren ist sie Mitglied im Betroffenenrat des Bundes und hat Thüringen bei der Bildung eines eigenen Rats unterstützt.

Angela Marquardt, Bundesbetroffenenrat

Angela Marquardt: "Die meisten Leute gucken weg, weil es ihnen Angst macht."

"Es braucht Schutzkonzepte, dass Kinder und Jugendliche einen Raum haben, dass wenn so etwas vorfällt, darüber gesprochen werden kann. Die meisten Leute gucken weg, weil es ihnen Angst macht, weil sie keine Worte dafür haben. Kindern und Jugendlichen Worte dafür zu geben, was ihnen passiert - das ist schon ein erster Schritt zum Kinderschutz", hat Marquardt festgestellt.

Auch im kommenden Jahr wird der Landesbetroffenenrat weitertagen, Anfragen von Vereinen, Schulen und Kindergärten bearbeiten. Beratend bei der Frage zur Seite stehen, wo Hilfskonzepte funktionieren und wo nicht. "Wir haben die Verantwortung, zumindest dazu beizutragen, dass da, wo sexualisierte Gewalt passiert ist, Kindern und Jugendlichen gut geholfen wird. Das ist ein Thema, das sie ihr ganzes Leben lang nicht loswerden", weiß Angela Marquardt aus eigener Erfahrung.

MDR (jml/sar)