Blick auf eine Straße in Karlsdorf Thüringen, im Hintergrund grasen Kühe auf einer Weide. Links im Bild hängt ein AfD-Plakat an einem Strommast.

Thüringen Nach der Landtagswahl: Wie ist die Stimmung im Land?

Stand: 04.09.2024 14:22 Uhr

Jena wählt die Linke, Karlsdorf wählt die AfD und Friedrichroda wählt wie der Thüringer Durchschnitt. Was denken die Menschen in den Orten über das Ergebnis der Landtagswahl? Einige blicken düster in die Zukunft, andere haben Hoffnung. Ein Besuch in drei Thüringer Orten.

Von Bobo Mertens, Lukas Hillmann, Elisabeth Czech, Jasmin Koch, MDR THÜRINGEN
  • In Karlsdorf (Saale-Holzland-Kreis) bei Jena hat die AfD die höchsten Wahlergebnisse in Thüringen bekommen.
  • In Jena hingegen holen die Linken beide Direktmandate.
  • In Friedrichroda haben die Menschen so gewählt wie ganz Thüringen im Durchschnitt.

Karlsdorf: Viele Stimmen für die AfD

Rund 20 Kilometer südöstlich von Jena liegt das Dörfchen Karlsdorf. Dort wohnen 84 Wahlberechtigte, 62 sind zur Wahl gegangen und 44 davon haben mit der Zweitstimme die AfD gewählt.  

Damit erreicht die Partei ein Ergebnis von 72,1 Prozent - das höchste in ganz Thüringen. Die anderen Parteien hatten keine Chance, nur ein Mensch in diesem Dorf hat sein Kreuz bei der SPD gesetzt, noch fünf bei der CDU.  

Beschauliche Dorfidylle

Karlsdorf ist das südlichste Dorf im Saale-Holzland-Kreis, es grenzt an den Saale-Orla-Kreis. Es liegt zwischen Maisfeldern, die Straße ist gerade so breit, dass zwei Autos aneinander vorbeikommen. Wenn ein Traktor entgegenkommt, wird das schon schwieriger.

Durch das Dorf zieht sich der Weißbach. Viele Grundstücke sind deswegen nur über Brücken zu erreichen. An den Häusern stehen Jahreszahlen, wann sie errichtet wurden. Anno 1883 steht an einem Haus, an einer Brücke steht Anno 2020. Große Grundstücke, viel Fachwerk, Oberleitung und Feldwege - Städter würden wahrscheinlich von einer kleinen Idylle sprechen.  

Alle schauen auf Karlsdorf

Einen Tag nach der Wahl gehen einige Journalisten durch Karlsdorf. Der ehrenamtliche Bürgermeister ist nicht anzutreffen, eine Frau sagt: "Der muss arbeiten, wie ein ganz normaler Mensch auch". Sie fragt sich, warum plötzlich so viele Anfragen gestellt würden.  

Es gerät alles außer Kontrolle. Und das ist das, was uns so Angst macht. Andreas Bauer |

Auch ansonsten sind wenige Einwohnerinnen und Einwohner auf der Straße. Die wenigen Menschen, die auf ihrem Hof arbeiten, wollen sich nicht zitieren lassen. Nur Andreas Bauer, der gerade in seinem Garten steht, ist bereit, vor der Kamera zu sprechen. In seinen Augen ist die Migration das große Problem. Auf dem Dorf sei das nicht so, "aber wenn ich sehe, wie Jena und Gera überflutet werden. Es gerät alles außer Kontrolle. Und das ist das, was uns so Angst macht", sagt er.  

Blick auf eine menschenleere Bushaltestelle und die Karlsdorfer Brücke

Die Bushaltestellen in Karlsdorf werden nur selten angefahren.

Die Wahlergebnisse seien das Resultat der gesamten Regierung. Bauer beschäftigen dabei vor allem bundespolitische Themen. Das "Theater" um das Heizungsgesetz von Robert Habeck gehe gar nicht. Nur AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke strahle Enthusiasmus aus. "Der gibt mir wieder Hoffnung", sagt Bauer.  

Gut informiert und hoch interessiert

Pfarrer Achijah Zorn ist gerade in Vertretung für Karlsdorf zuständig. Eigentlich arbeite er für die rheinische Landeskirche, sagt er. Er sei nun aber schon das dritte Jahr in Folge für einen Monat in der Pfarrgemeinde, zu der auch Karlsdorf zählt. Fragt man ihn nach einem Statement zur Situation im Dorf, sagt er gleich, dass er auch für "Tichys Einblick" schreibe und seine Antworten daher eher aus dem "liberal-konservativen Umfeld" kommen würden. Andere Medien ordnen "Tichys Einblick" dem neurechten Spektrum zu.

Das Thema Frieden spielt eine viel größere Rolle als im Westen. Achijah Zorn, Pfarrer |

"Die Bürger in Karlsdorf sind politisch gut informiert und hoch interessiert", sagt der Pfarrer. "Gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk herrscht eine gesunde Distanz. Menschen im Osten erkennen durch ihre DDR-Sozialisation schneller staatsmediale Einseitigkeiten", ergänzt er. Er als Westdeutscher erlebe die Stimmung im Osten aber als erfrischend: "Das Thema Frieden spielt eine viel größere Rolle als im Westen."

Auch aus seiner Sicht liefern vor allem bundespolitische Themen den Gesprächsstoff. Die Bewohner seien genervt von Robert Habeck und Anton Hofreiter, aber auch von der Corona-Politik. Nach seiner Einschätzung gibt es im Dorf genügend Möglichkeiten, mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt zu kommen. In Karlsdorf "ist bestimmt auch genügend besprochen worden, dass es mittlerweile zwei neue alternative Parteien gegenüber den Altparteien gibt."

Jena: Thüringer Großstädte wählen rot

Bei einem Blick auf die interaktive Thüringenkarte in denen die konkurrierenden Parteien die Wahlkreise gewonnen haben, dominieren vor allem zwei Farben: Schwarz und Blau. Drei kleine trotzige rote Flecken erweitern jedoch die Farbpalette, denn: In den Wahlkreisen Erfurt III, Weimar II sowie Jena I und II haben die Linken gewonnen.

Um sich ein Bild zu machen, wie sich das Land nach der Landtagswahl fühlt, sollte ein Blick in die Städte nicht fehlen. In Jena sind am Tag nach der Wahl die Straßen voll, Menschen essen Eis in der Einkaufsstraße, Studierende ein Curry in der Mensa - es herrscht Alltagsstimmung.  

Linke holen Jena zweifach

Lena Saniye Güngör wirkt entspannt nach diesem turbulenten Wahlabend. Für den Landkreis Jena II wird sie erneut für die Linken in den Landtag einziehen. Sie hat in ihrem Wahlkreis mit 25,1 Prozent die meisten Erststimmen vor CDU-Kandidat Konstantin Freuer (22,8 Prozent) erhalten. Bei den Zweitstimmen war es die CDU mit 21,4 Prozent. An zweiter Stelle die Linke mit 19,7 Prozent der Stimmen. 

Lena Güngör aus Jena zieht in Thüringer Landtag ein

Lena Güngör aus Jena zieht in den Thüringer Landtag ein.

Die studierte Psychologin hat den Wahlabend mit ihrer Partei im Jenaer Paradies gefeiert. Mit dem Gesamtergebnis der Linken bei der Landtagswahl sei sie trotzdem unzufrieden. Ein "bitteres Bild für uns Linke" sei diese Wahl gewesen, sagt Güngör. Mit Blick auf die Koalitionsbildung stehe die Partei nun vor einer schwierigen Aufgabe. Oberstes Ziel müsse es nun sein, eine demokratische Mehrheitsregierung zu schaffen.  

Bauchschmerzen beim Gesamtwahlergebnis

Die Stimmung in Jena habe Güngör vor der Wahl als polarisiert empfunden. Die Bürgerinnen und Bürger hätten gespürt, dass etwas zu kippen drohe.

Auch auf den Straßen der Stadt sind die Menschen an diesem sonnigen Spätsommertag größtenteils erleichtert, Jena habe das Gesicht gewahrt, sagt eine Passantin: "Ich habe trotzdem Bauchschmerzen beim Gesamtwahlergebnis. Jena ist keine superlinke Stadt. Meine große Hoffnung sind Neuwahlen".

 Ich bin sehr froh, dass sich der Großteil nicht für die CDU und AfD, sondern für die Linken entschieden hat. Lena Saniye Güngör |

Im beschaulichen Innenhof des Uni-Hauptgebäudes ist eine Studentin mit beigem Hemd und schwarzem Cap nicht überrascht von den Wahlergebnissen: "Jetzt können wir uns endlich mit den gesellschaftlichen Problemen beschäftigen". In Jena wollten die Menschen aber auch bei all den Stadt-Land-Unterschieden nicht in einer Blase leben, so die junge Frau.  

Friedrichroda: Wahlergebnis wie im Durchschnitt

Weder Großstadt noch komplett ländlich: Friedrichroda - ein Ort, der von den Landtagswahl-Ergebnissen genau in den thüringischen Durchschnitt fällt. Ein beschauliches Kurstädtchen mit etwa 7.000 Einwohnern im Kreis Gotha. Im Ortskern lässt es sich ruhig über Kopfsteinpflaster an einer Kirche, einige Geschäften und einem kleinen Marktplatz vorbei flanieren.

Das Bild zeigt eine kleine Straße mit Kopfsteinpflaster. Auf der Seite sind niedrige Gebäude zu sehen. Auf dem Foto sind keine Menschen zu sehen.

Die Innenstadt von Friedrichroda ist an einem Dienstagnachmittag nur mäßig besucht.

Ein älteres Ehepaar macht dort gerade seinen "Abendbummel". Die Frau im farbenfrohen Kleid erzählt, dass sie sich vor langer Zeit beim Tanzen in Friedrichroda kennengelernt haben. Sie bezeichnet sich selbst als "alte Friedrichrodaerin" und sagt, dass sie es schade finde, dass so viele Geschäfte mittlerweile geschlossen sind. Was an Friedrichroda "typisch thüringisch" ist?

"Die Landschaft. Manches, was angeboten wird in Gaststätten, die Thüringer Klöße und die Bratwurst. Manche Veranstaltungen, die da so mit Heimatniveau stattfinden. Wahrscheinlich ist es so wie überall." sagt sie mit einem breiten Lächeln. 

Das Bild zeigt eine ältere Frau mit kurzen grauen Haaren steht auf einem Platz mit Kopfersteinpflaster und lächelt. Sie trägt eine Brille und ein schwarzes Kleid mit bunten Kreisen. Im Hintergrund stehen links Bäume in einer Reihe und rechts stehen Häuser. In der Mitte im Hintergrund ist ein Platz mit Bänken und einer Überdachung.

Gisela ist in ihrem Heimatort Friedrichroda unterwegs. Sie kommt gern zum Bummeln her.

Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Stadtkern und äußeren Ortsteilen

Zu Friedrichroda gehören die Ortsteile Ernstroda-Cumbach und Finsterbergen. Auch dort lässt sich der "Stadt-Land-Unterschied" bei den Wahl-Ergebnissen Thüringens im Kleinen feststellen. In den äußeren beiden Ortsteilen schneidet die AfD bei den Zweitstimmen zum Beispiel mit rund zehn Prozentpunkten mehr ab. Auch dabei scheint die Kleinstadt den Thüringen-Durchschnitt widerzuspiegeln.

Das Bild zeigt einen Ausblick hinunter auf ein Dorf. Das Dorf heißt Friedrichroda. Im Vordergrund ist eine Weide mit Kühen zu sehen. Im Hintergrund viele Häuser mit roten Dächern.

Finsterbergen, ein Ortsteil der Stadt Friedrichroda. Die AfD hat dort stärker abgeschnitten als im stadtweiten Durchschnitt.

Der parteilose Bürgermeister von Friedrichroda, Kay Brückmann, erinnert sich an die Umfragen vor der Wahl: "In den großen Städten, Erfurt, Jena und so weiter, da hat man dann doch schon gesehen, dass die Tendenz eher nach links geht oder in die demokratische Mitte. Auf dem Land ist es dann scheinbar doch so, dass ja doch mehr die AfD gewählt wird, und das zeichnet sich hier in Friedrichroda in seinen Ortsteilen eigentlich genauso ab."

Im Ortsteil Finsterbergen, der auch ein heilklimatischer Luftkurort ist, haben 42 Prozent mit der Zweitstimme die AfD gewählt, gefolgt von der CDU mit 24 Prozent. Erzieherin Steffi Frank wohnt schon ihr ganzes Leben in Finsterbergen. Sie wirbt für ihren Ortsteil: "Wir haben ein wunderschönes Schwimmbad, wir haben eine wunderschöne Kirche und wir haben viel Schönes zu entdecken. Es lohnt sich immer nach Finsterbergen zu kommen."

Sie spricht allerdings auch über Nachteile: "Leider musste unser Dorfladen schließen, was sehr traurig ist. (...) Wir wünschen uns auch ein bisschen mehr Nachwuchs. Könnten wir gut gebrauchen. Viel Zuzug haben wir jetzt auch nicht im Ort."

Auch das ist eine Entwicklung, die sich im ländlichen Raum an vielen Orten in Thüringen bemerkbar macht. Der Bürgermeister erzählt aber, dass wieder mehr größere Wohnungen gefragt und die Kita-Plätze gebraucht werden. In Friedrichroda gebe es alles - von Kleinkindern bis zu Seniorinnen und Senioren.

Man darf auf keinen Fall denken, dass in Friedrichroda Menschen wohnen, die rechtsextrem sind. Kay Brückmann - Bürgermeister von Friedrichroda |

Fast ein Drittel hat in Friedrichroda die AfD gewählt. Bürgermeister Brückmann warnt aber vor Verurteilung: "Ich hab' im Vorfeld auch mit vielen Bürgerinnen und Bürgern gesprochen und man darf auf keinen Fall denken, dass in Friedrichroda Menschen wohnen, die rechtsextrem sind, das ist bei weitem nicht so. Ich bin ganz einfach der Meinung, dass das Protestwähler sind." Den Grund vermutet er in der Unzufriedenheit mit der Bundes- aber auch der Landesregierung. Auch das ist möglicherweise ein Stimmungsbild für ganz Thüringen.

MDR (uka)