Die leeren Stühle im Plenarsaal des Thüringer Landtags

Thüringen Sechs Erkenntnisse zur Thüringer Landtagswahl: Die blaue Ausdehnung schreitet voran

Stand: 02.09.2024 10:59 Uhr

Die AfD wird stärkste Kraft in Thüringen - aber nicht überall. Wo die Hochburgen der Parteien liegen, aus welchen Lagern die Wählerinnen und Wähler des BSW stammen und wie die krachende Niederlage der Linken zustande kommt: ein Blick auf die wichtigsten Daten zur Wahl.

Von David Wünschel, MDR Data

Die AfD ist die große Gewinnerin der Thüringer Landtagswahl. Mit einem Stimmenanteil von 32,8 Prozent landet sie laut vorläufigem Ergebnis deutlich vor der CDU (23,6 Prozent). Das Bündnis Sahra Wagenknecht erzielt aus dem Stand 15,8 Prozent und erreicht damit den dritten Platz. Die Linkspartei (13,1 Prozent), 2019 noch die stärkste Kraft, stürzt auf den vierten Platz ab. Die SPD (6,1 Prozent) bleibt im Landtag, Grüne (3,2 Prozent) und FDP (1,1) scheitern deutlich an der Fünf-Prozent-Hürde. 73,6 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Die Wahlbeteiligung lag damit deutlich über dem Wert von 2019 (64,9 Prozent).

Die Machtverhältnisse im Thüringer Landtag verschieben sich also. AfD, CDU und sogar das BSW holen mehr Stimmen als alle drei Ampelparteien zusammen. Ein genauerer Blick auf die wichtigsten Daten zur Wahl zeigt, wo die AfD punkten konnte, aus welchen Lagern die Wählerinnen und Wähler des BSW stammen und wie die krachende Niederlage der Linken zustande kommt. Sechs Erkenntnisse zur Landtagswahl in Daten und Grafiken.

1. Thüringens Gewinnerkarte: Die blaue Ausdehnung schreitet voran

Färbt man alle Thüringer Gemeinden nach der Gewinnerpartei ein, dann ist Thüringen ein blaues Meer mit vereinzelten schwarzen Flecken. In 519 der 591 ausgezählten Gemeinden holt die AfD den höchsten Zweitstimmenanteil, darunter auch in vielen Städten. Die CDU erzielt in 69 Gemeinden das beste Ergebnis, die Linke liegt nur in Jena vorne.

Die Gewinnerkarte sieht damit ganz anders aus als nach der Landtagswahl 2019. Damals hatte die Linkspartei in den meisten Gemeinden das beste Ergebnis erzielt. Das Rot von damals ist fast überall dem Blau der AfD gewichen. Die blaue Ausdehnung schreitet in Thüringen voran.

2. Die AfD hat ihre Hochburgen auf dem Land, punktet aber auch in den Städten

Besonders stark ist die AfD in den ländlichen Regionen im Süden und im Osten Thüringens, mancherorts stimmte dort jeder Zweite für die AfD. In jeder einzelnen Gemeinde holt die Partei mehr als 16 Prozent, sogar im traditionell linken Jena. Das heißt: Überall in Thüringen erreicht die AfD mittlerweile Wählerinnen und Wähler in beträchtlicher Zahl.

Paska, Karlsdorf und die AfD

Bei der Landtagswahl 2019 erzielte die AfD in Paska im Saale-Orla-Kreis mit 62,7 Prozent ihr bestes Ergebnis. Viele Medienvertreter fuhren damals in die kleine Ortschaft, um das Erstarken der AfD zu verstehen. Diesmal wurden die Stimmen aus Paska gemeinsam mit jenen aus den benachbarten Dörfern Ziegenrück und Keila ausgezählt, da Gemeinden mit weniger als 50 abgegebenen Stimmen ihre Wahlzettel aus Datenschutzgründen nicht mehr selbst auszählen dürfen. Die AfD kommt in diesem drei Gemeinden auf einen Stimmenanteil von 51,2 Prozent. Ihr bestes Ergebnis erzielt sie diesmal in Karlsdorf im Saale-Holzland-Kreis mit 71,2 Prozent aller Zweitstimmen.

Die Hochburgen der anderen Parteien verteilen sich über Thüringen. Die CDU ist im Nordwesten im katholisch geprägten Eichsfeld traditionell stark, auch diesmal liegt sie dort in vielen Gemeinden bei über 40 Prozent. Die Linkspartei erzielt ihre besten Ergebnisse in den Städten, erreicht aber selbst in Jena, Weimar und Erfurt nur noch rund ein Fünftel der Wählerschaft.

Das BSW schneidet wie schon bei der Europawahl im Juni in Suhl (19,9 Prozent) besonders gut ab. In allen Wahlkreisen erzielt das BSW ein zweistelliges Ergebnis. Grüne und SPD hingegen kommen fast nur noch in größeren Städten auf mehr als zehn Prozent.

3. Das BSW bedient sich der Linkspartei

Das BSW ist zum ersten Mal bei einer Landtagswahl angetreten und hat von allen etablierten Parteien Wählerinnen und Wähler gewonnen. Eine Analyse der Wählerströme durch das Institut Infratest Dimap zeigt, bei welchen Lagern sich das BSW besonders stark bedient hat. Von der AfD sind demnach rund 11.000 Wählerinnen und Wähler zum BSW gewandert, von der SPD 12.000 und von der CDU 18.000.

Der mit Abstand größte Zulauf kommt jedoch von der Linkspartei: Rund 84.000 Menschen, die 2019 noch die Linke wählten, haben diesmal ihr Kreuz bei der Partei von Sahra Wagenknecht gesetzt.

Zwischen den anderen Parteien gibt es ebenfalls große Wählerwanderungen. Die AfD hat rund 28.000 ehemalige CDU-Wähler und rund 23.000 ehemalige Linke-Wähler von sich überzeugt. Die SPD verliert rund 15.000 Stimmen an die CDU, die FDP sogar 16.000. Weitere 8.000 ehemalige FDP-Stimmen gehen an die AfD. Die Partei des Kurzzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich verschwindet in Thüringen in der Bedeutungslosigkeit.

4. Viele Thüringer haben strategisch gewählt

Jeder Wahlberechtigte darf bei Landtagswahlen zwei Stimmen abgeben: eine Erststimme für einen Direktkandidaten aus dem Wahlkreis und eine Zweitstimme für eine Partei. Ausschlaggebend für die Sitzverteilung im Landtag ist zwar die Zweitstimme - aber wer in einem Wahlkreis die meisten Erststimmen auf sich vereint, zieht als Direktkandidat in den Landtag ein.

In vielen Wahlkreisen klaffen Erst- und Zweitstimmen-Ergebnis weit auseinander. Die AfD erzielt in 37 der 44 Wahlkreise das beste Zweitstimmen-Ergebnis, holt aber nur 29 Direktmandate. Die CDU gewinnt elf Direktmandate, die Linkspartei vier.

Das legt nahe, dass viele Wählerinnen und Wähler ihre Stimmen strategisch aufgesplittet haben, um ein Direktmandat für die AfD zu verhindern. Im Wahlkreis Greiz II trat Björn Höcke (AfD) beispielsweise gegen den CDU-Kandidaten Christian Tischner an. Bei den Zweitstimmen kommt die CDU dort auf 27,2 Prozent, bei den Erststimmen holt Tischner jedoch 43 Prozent – und damit mehr als Höcke (38,9 Prozent).

Auch in einigen Städten klaffen große Lücken zwischen Erst- und Zweitstimmen-Ergebnis. In Weimar und in Erfurt holt die Linkspartei weniger als jede fünfte Zweitstimme, trotzdem gewinnen ihre Kandidaten Ulrike Große-Röthig (33,1 Prozent) und Bodo Ramelow (42,4 Prozent) mit großem Vorsprung Direktmandate.

Der Wahlkreis Gotha II war bei den vergangenen Wahlen die letzte verbliebene SPD-Hochburg, der Landesvorsitzende Matthias Hey hatte dort 2009, 2014 und 2019 jeweils das Direktmandat errungen. Diesmal unterliegt er mit 34,6 Prozent knapp dem AfD-Kandidaten Stephan Steinbrück (34,7 Prozent). Das stärkste Erststimmen-Ergebnis erzielt Thadäus König (CDU) mit 54,3 Prozent im Wahlkreis Eichsfeld I.

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5. Die krachende Niederlage der Linken zieht sich durch alle Regionen

Bei der Landtagswahl 2019 holte die Linke noch 31 Prozent aller Zweitstimmen, diesmal sind es nur 13,1 Prozent: ein dramatischer Verlust von 17,9 Prozentpunkten. Am größten ist der Unterschied im Wahlkreis Suhl/Schmalkalden-Meiningen II - also ausgerechnet in dem Wahlkreis, in dem das BSW besonders stark ist. Dort stürzt die Linkspartei von 38,6 Prozent auf 12,9 Prozent. Fast überall sind die Verluste zweistellig. Die krachende Niederlage der Linken zieht sich durch alle Thüringer Regionen.

Die AfD erzielt hingegen in allen Wahlkreisen ein besseres Ergebnis als 2019. Besonders stark sind die Zugewinne in den ländlichen Regionen in Süd- und Nordthüringen. Im Wahlkreis Hildburghausen II/Sonneberg II lag die AfD 2019 noch bei einem Zweitstimmen-Anteil von 23,3 Prozent, diesmal sind es 38,2 Prozent.

6. Die älteren Wählerinnen und Wähler verhindern stärkeres AfD-Ergebnis

Ginge es nach den jungen Erwachsenen in Thüringen, dann würde die AfD noch mehr Platz im Landtag einnehmen. 38 Prozent der Wählerinnen und Wähler zwischen 18 und 24 Jahren setzten ihr Kreuz bei der Partei, die in Thüringen als gesichert rechtsextrem eingestuft ist. Auch in fast allen anderen Altersgruppen erreicht die AfD einen Stimmenanteil von mehr als 30 Prozent.

Lediglich bei den Über-70-Jährigen schneidet die AfD mit einem Stimmenanteil von 19 Prozent vergleichsweise schlecht ab. Stattdessen erzielen die CDU (31 Prozent) und die Linkspartei (20 Prozent) in dieser Altersgruppe überdurchschnittliche Ergebnisse. Die älteren Wählerinnen und Wähler verhindern in Thüringen also ein noch stärkeres Ergebnis für die AfD.

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MDR (dwue)