Thüringen "Soll sie doch ihr Zeug sagen": Wie Wagenknechts Einmischung in Thüringen ankommt
CDU, SPD und BSW sind in Thüringen in Koalitionsverhandlungen gestartet. Bis zuletzt hatte sich jedoch BSW-Chefin Sahra Wagenknecht in die Regierungsbildung eingemischt. Wie kommt das eigentlich an der Basis von CDU und SPD an?
Ein "Fehler" sei das Positionspapier zur Friedenspolitik der Thüringer CDU, SPD und BSW. So sagte es deren Bundeschefin Sahra Wagenknecht noch zu Beginn der Woche dem "Spiegel" und bekräftigte ihre Kritik in der ARD. Zu einem Zeitpunkt, an dem man eigentlich einmal kurz aufgeatmet hatte in Thüringen. Denn die drei Parteien, die nun in Koalitionsverhandlungen treten wollen, hatten sich Anfang der Woche gerade erst auf einen gemeinsamen Text geeinigt.
"CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs", heißt es in dem Papier. Auch hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Ein Ergebnis, das deutlich hinter dem Papier von SPD und BSW in Brandenburg zurückbleibe, monierte Wagenknecht prompt. Und erst kürzlich hatte die BSW-Namensgeberin die Thüringer CDU unter Mario Voigt angestichelt, sich von Friedrich Merz zu distanzieren, der die Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern gefordert hatte.
"Ernüchterung" bei der CDU-Basis
Wie kommt all das in Thüringen an? Bei der Basis von CDU und SPD - bei den Menschen, die ihre Parteien in den Kommunen vertreten und Anlaufstelle für politisch Aktive bieten?
"Die anfängliche Begeisterung hat sich in Ernüchterung umgewandelt", sagt zum Beispiel Achim Hofmann. Er leitet den CDU-Stadtverband in südthüringischen Steinbach-Hallenberg mit. Die Euphorie nach der Landtagswahl, vielleicht endlich bald wieder eine Landesregierung zu führen, sei weg, sagt Hofmann. Er habe den Eindruck, "dass bei dieser neuen Kraft, dem BSW, dann doch eher bundes- oder persönliche Interessen im Vordergrund stehen".
Diese Gefahr besteht bei Frau Wagenknecht sicherlich immer. Patrick Westphalen | CDU-Ortsverbandsvorsitzender und Ortsbürgermeister von Leinefelde
Im Norden von Thüringen, im Eichsfeld, sieht das Patrick Westphalen ähnlich. Er leitet den Ortsverband in Leinefelde und ist dort auch Ortsbürgermeister. "Wenn man sich wochenlang hinsetzt und versucht, Lösungen zu finden, und dann wird von Menschen, die weit weg sind, da reingegrätscht. Dann ist das immer kontraproduktiv." Der Kommunalpolitiker ist sich sicher: "Diese Gefahr besteht bei Frau Wagenknecht sicherlich immer."
Patrick Westphalen aus Leinefelde im Eichsfeld
In der jungen Riege der Union in Thüringen werden Wagenknechts Einmischungen als "Unding" bezeichnet. So formuliert es zumindest Lilli Fischer. Sie ist Mitglied der Jungen Union und Erfurter Stadträtin. "Thüringen scheint gespalten wie nie und Wagenknecht will darüber hinaus noch weiter spalten. Spätestens jetzt sollte jedem klar sein, dass es ihr nur um das eigene Fortkommen geht."
Lilli Fischer im Erfurter Stadtrat
Soll sie doch ihr Zeug sagen. Peter Gabel | Stadtrat in Heiligenstadt
Spricht man jedoch mit Peter Gabel, scheint die Sorge um Wagenknechts Wirkungsradius zu verfliegen. Gabel ist Stadtrat in Heilbad Heiligenstadt und leitet den CDU-Stadtverband. "Soll sie doch ihr Zeug sagen", meint er. Wagenknechts Einmischungen nennt er "Einmischungsversuche" und "Symbolpolitik“. Die Verhandlungen von CDU, BSW und SPD seien "ungewöhnlich gut verlaufen". Das habe ihnen im Eichsfeld ihr Landtagsabgeordneter (und Landtagspräsident) Thadäus König immer gespiegelt. "Von daher sind die Störgeräusche von außen für mich eigentlich nebensächlich."
Zusammenarbeit von CDU, BSW und SPD wirkt effizient nach außen
Einen Punkt hat Peter Gabel: Dass die Sondierungsverhandlungen in Thüringen nicht allzu schlecht gelaufen sein können, zeigt ein Blick in das Abschlusspapier: Auf fast 19 Seiten haben die Verhandler nicht nur einzelne Themenblöcke notiert, sondern jeweils relativ detailliert Ziele formuliert. In Brandenburg haben SPD und BSW ihr Projekt lediglich in vagen und allgemeingültigeren Worten festgehalten.
Nur vereinzelte, entspannte Stimmen in SPD
Auch in der Thüringer SPD gibt es vereinzelt Stimmen, die Wagenknechts Teilhabe an den Sondierungen nicht sonderlich problematisch finden. Da ist zum Beispiel Volker Blumentritt, seit vielen Jahren Ortsbürgermeister in Jena-Lobeda und erst dieses Jahr erneut in den Jenaer Stadtrat gewählt. Blumentritt kennt Wagenknecht noch aus dem Bundestag - er habe nichts anderes von ihr erwartet, winkt er ab. Wichtig sei nur: Die SPD müsse weiter regieren - komme was wolle.
Volker Blumentritt aus Jena-Lobeda
Ich wüsste nicht, wieso das einmalig sein soll. Gloria Pinetzki | Erfurter SPD Frauen
Grundlegend anderer Meinung ist Gloria Pinetzki. Sie leitet die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen in der Erfurter SPD (kurz: SPD-Frauen). Pinetzki findet, die Einmischungen von Sahra Wagenknecht - oder die "Brüche", wie sie es nennt - erzeugten Unsicherheit.
"Eine Unsicherheit, die sich dann durch die nächsten fünf Jahre tragen kann, wenn das jetzt nicht nur mal einmalig war. Und ich wüsste nicht, wieso das einmalig sein soll. Und die große Sorge ist natürlich: stärkt das dann weiter die AfD?"
Gloria Pinetzki von den Erfurter SPD-Frauen
Auch andere junge SPD-Mitglieder stimmen da zu. Die Thüringer Juso-Chefin Melissa Butt kritisiert: "Es ist unserer Partei nicht würdig". Sie meint damit, dass sich SPD zu sehr zum Spielball mache.
Lars Klingbeil kommt jetzt auch nicht nach Thüringen und setzt den Rotstift an. Tobias Birk | SPD Jena
Und der Jenaer Kreisvorsitzende der SPD, Tobias Birk, spricht gar von einem "Kemmerich-Vibe". Soll heißen: Für die Akzeptanz einer zukünftigen Regierung sei das aktuelle Hin und Her nicht gut. SPD-Parteivorsitzender "Lars Klingbeil kommt jetzt auch nicht nach Thüringen und setzt den Rotstift an."
Birks Co-Vorsitzende und stellvertretende Leiterin der Thüringer SPD-Frauen, Daniela Gruber, geht noch einen Schritt weiter. Bei ihr nähmen dieser Tage grundsätzliche Bauchschmerzen wegen der Zusammenarbeit mit dem BSW wieder zu. Von "Pest oder Cholera" spricht sie: Die SPD sei nach den Verlusten bei der Wahl vor eine Situation gestellt, "in der es, egal wie wir uns entscheiden, vielleicht falsch sein wird".
Daniela Gruber und Tobias Birk leiten den Kreisverband der SPD Jena
Besonders kritisch sieht Gruber, die Wissenschaftlerin am Jenaer Imre Kertész Kolleg mit Blick auf Osteuropa ist, dabei die Vorstellungen des BSW zur Beendigung des russischen Angriffskriegs. Das BSW würde damit nur "Forderungen an die überfallene, ukrainische Seite stellen", kritisiert Gruber.
Unterschiedliche Erwartungen an ihre Parteien
Was erwarten die Basis-Mitlieder nun also von den laufenden Koalitionsverhandlungen und den Chefs ihrer Partei? Daniela Gruber von der Jenaer SPD sagt: "Unsere Möglichkeiten sind spärlich." Ihre Parteispitze um Georg Maier mache das gut - habe die Basis bisher gut eingebunden.
Ihre Kollegin Gloria Pinetzki aus Erfurt stellt klar, was sie sich von ihrem Parteichef wünscht. Am Wochenende hatte Maier zunächst erklärt, dass die Verhandlungen mit dem BSW und CDU auf der Kippe stünden - nur um am Montag eine Einigung zu verkünden. "Ich wünsche mir, dass er dann eine Linie hat, bei der er bleibt und nicht springt - je nachdem, wie die tagesaktuellen Voraussetzungen gerade sind."
Das liegt am Ende nicht mehr in unserem Einflussbereich. Peter Gabel | CDU Heiligenstadt
Und bei der CDU? Für Peter Gabel aus Heiligenstadt ist klar, wovon der Erfolg seiner CDU letztlich abhängen wird: "Da brauchen wir nicht um den heißen Brei reden. Es hängt auch von Frau Wolfs Hartnäckigkeit gegenüber ihrer Bundesvorsitzenden ab. Aber das liegt am Ende nicht mehr in unserem Einflussbereich."
Stellt man vorsichtig die Frage, ob diese Zusammenarbeit mit der Partei der Ex-Linken Wagenknecht vielleicht doch ein Fehler war, bekommt man in der CDU unisono ein (wenn auch manchmal zaghaftes) Kopfschütteln. Lilli Fischer aus Erfurt ist voller Überzeugung: "Die Brombeere hat de facto eine Mehrheit - die Linke hat angekündigt, nie mit der AfD zu stimmen. Entsprechend müsste die Brombeere ja auch immer eine Mehrheit haben."
Bleibt abzuwarten, wie das Bodo Ramelow dann sieht.
MDR (dst)