Zwei Polizisten beaufsichtigen eine Versammlung von Menschen. In der Mitte steht ein Mann mit einer Trommel, an der eine Deutschlandflagge befestigt ist. Im Hintergrund sind ebenfalls Menschen, die eine Deutschlandfahne hochhalten oder mit sich tragen.

Thüringen Stresstest für Thüringens Polizei: Wie die Beamten das Superwahljahr erleben

Stand: 31.08.2024 18:48 Uhr

Demos, Gegendemos, Bürgerdialoge und Kundgebungen: In ganz Thüringen gibt es Veranstaltungen im Rahmen der Landtagswahl, welche die Polizei absichern muss: Seit Anfang März waren 355 Versammlungen im Zusammenhang mit der Landtagswahl in Thüringen angemeldet worden. Dabei muss die Polizei jedes Mal einschätzen: Muss viel oder wenig Personal eingesetzt werden?

Von Elisabeth Czech, MDR THÜRINGEN

Jedes Mal, wenn Björn Höcke auftritt, reist auch die Polizei zur Veranstaltung. Es war ein auffälliger Moment, als der AfD-Spitzenkandidat vergangenen Dienstag nicht ins Stadtteilzentrum in Jena-Lobeda kam. Er konnte deshalb nicht beim Bürgergespräch auftreten. Und das, obwohl die Polizei mit Schlagstöcken und Pfefferspray gegen einige Demonstranten vorgegangen ist. Am Donnerstagabend gab es eine Farbattacke auf Sahra Wagenknecht bei ihrer Rede auf dem Erfurter Domplatz. Auch hier waren Personenschützer für sie sofort zur Stelle.

Das Thüringer Superwahljahr 2024

Im Jahr 2024 gab es in Thüringen gleich mehrere Wahlen: die Kommunalwahl im Mai, die Europawahl im Juni und jetzt die anstehende Landtagswahl. Das wirkt sich stark auf die Polizeiarbeit aus.

Der Sprecher der Thüringer Landespolizeidirektion Patrick Martin sagt: "Man muss dann eben sehen, wie viele von den angemeldeten Veranstaltungen tatsächlich auch abgesichert werden können und muss bei der einen oder anderen Geschichte auch Abstriche hinnehmen. […] Wobei es natürlich unser Anliegen ist, alle angemeldeten Versammlungen zu schützen, somit auch stattfinden zu lassen."

Die Bedrohungslage für die Thüringer Polizei hat sich ihm zufolge aber nicht verändert. Er beobachtet aber trotzdem eine gesellschaftliche Veränderung: "Die Gewaltneigung insgesamt nimmt generell zu. Das ist ja ein Phänomen, was wir längere Zeit schon beobachten."

Die Gewaltneigung insgesamt nimmt generell zu. Das ist ja ein Phänomen, was wir längere Zeit schon beobachten. Patrick Martin, Sprecher der Thüringer Landespolizeidirektion |

Die Aggressionsschwelle ist gestiegen

Auch die Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Thüringen, Mandy Koch sagt, dass "die verbale Aggression gestiegen ist und das sowohl im persönlichen Kontakt mit dem Bürger als auch in den sozialen Medien." Dies gipfele dann teilweise auch in tätlichen Angriffen.

Heute hat man den Eindruck, dass die Parteien gegeneinander kämpfen, der Umgangston ist rauer geworden und Konflikte bleiben da auch nicht aus. Dirk Weidenbach | Stellvertretender Thüringer Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft

Dirk Weidenbach, stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft des Landesverbands Thüringen, beschreibt eine "politische Nervosität" und dass die Aggressionsschwelle gestiegen sei. Er beobachtet auch einen gesellschaftlichen Wandel:

"Früher war der Wahlkampf überschaubar, auch von den Parteien, die zur Wahl standen. Da wurden mehr oder weniger die Wahlprogramme in den Fokus des Wahlkampfes gestellt. Heute hat man den Eindruck, dass die Parteien gegeneinander kämpfen, der Umgangston ist rauer geworden und Konflikte bleiben da auch nicht aus."

Neue Chefin der GdP Thüringen, Mandy Koch

Mandy Koch, Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei Thüringen.

Mehr als doppelt so viele Wahlplakate zerstört wie 2019

Ein Beleg für diese Wahrnehmungen sind die Zahlen des Thüringer Landeskriminalamts: Es sind mehr als doppelt so viele Wahlplakate zerstört worden wie im letzten großen Wahljahr 2019. Mehr als 1.500 Wahlplakate wurden in Thüringen zerstört oder beschädigt. Häufig wurden Plakate mehrere Parteien auf einmal angegriffen. Am häufigsten betroffen war die AfD mit 507 beschädigten Plakaten.

Auch Parteigebäude in Thüringen wurden häufiger angegriffen. Im Wahljahr 2019 gab es laut Zahlen des Thüringer Landeskriminalamts "53 Straftaten mit dem Angriffsziel Parteigebäude/Parteieinrichtung." Dieses Jahr ist die Anzahl an Übergriffen auf Parteigebäude mindestens doppelt so hoch.

Ein einsatzreiches Wochenende steht bevor

Dieses Wochenende dann der endgültige Stresstest für die Polizei: Zahlreiche Demos und Versammlungen mit mehreren tausend erwarteten Teilnehmern sind vor allem in der Erfurter Innenstadt angemeldet. Die Thüringer Polizei spricht von einem "einsatzreichen Wochenende".

Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Zusammenhang mit den angemeldeten Demonstrationen und Kundgebungen zu Störungen bis hin zu Straftaten kommen kann. Landespolizeidirektion Thüringen |

Um die Versammlungsfreiheit und einen friedlichen Verlauf der Wahl sicherzustellen, sind dafür mehrere Hundert Polizisten am Wochenende im Einsatz. Dazu bekommen sie auch Unterstützung aus anderen Bundesländern, teilt eine Polizeisprecherin mit. Die Polizei bereite sich vor allem auf Versammlungen in Weimar, Jena und Erfurt vor.

Bisher würden keine Erkenntnisse vorliegen, die eine konkrete Gefährdung im Zusammenhang mit der Thüringer Landtagswahl zeigen: "Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass es im Zusammenhang mit den angemeldeten Demonstrationen und Kundgebungen zu Störungen bis hin zu Straftaten kommen kann."

Björn Höcke läuft mit einem Deutschlandschal um den Hals eine Straße entlang. Neben ihm laufen mehrere Polizisten und dahinter Medienvertreter, die Kameras und ein Mikrofon tragen.

Wenn Björn Höcke auftritt, reist auch die Polizei zu der Veranstaltung.

Ein Spannungsfeld für die Polizei

Polizeisprecher Patrick Martin spricht außerdem von einem Spannungsfeld, in dem sich seine Kolleginnen und Kollegen befinden. Er meint mit dem Spannungsfeld "den Umgang mit der auf allen Seiten herrschenden, emotionsgeladenen und teilweise aggressiven Stimmung."

Dieses Spannungsfeld auszuhalten, ist sicher ein großer Teil des Stresstests, den die Bereitschaftspolizistinnen und -polizisten am Wochenende der Landtagswahl erleben werden.

MDR (jn)