Drei Menschen in gelben T-Shirts stehen an einem Laptop an einem Tisch

Thüringen Thüringer Wahl-O-Mat gestartet: Wie er entsteht und wie er funktioniert

Stand: 31.08.2024 08:00 Uhr

In ein paar Klicks zur Wahlentscheidung: Das verspricht der Wahl-O-Mat. Das Online-Angebot gibt es jetzt auch für die Thüringer Landtagswahl, erstellt von der Landeszentrale für politische Bildung. Sie wirbt mit einem besonderen Auswahlverfahren der Fragen. Aber es gibt auch Kritik - und alternative Wahlhilfen.

Von Levin Schwarzkopf, MDR THÜRINGEN

"In Thüringen sollen keine weiteren Flächen für Windkraftanlagen ausgewiesen werden." Ja, nein, vielleicht? Solche Entscheidungen muss man treffen, wenn man den Wahl-O-Mat zur Thüringer Landtagswahl durchklickt. Andere Thesen, zu denen Nutzerinnen und Nutzer ihre Meinung abgeben können, sind etwa: "Thüringen soll verstärkt Fachkräfte im außereuropäischen Ausland anwerben." Oder auch: "An Thüringer Schulen soll das Sitzenbleiben generell abgeschafft werden."

38 solcher Thesen gilt es zu bewerten. Dann kann man gewichten, was einem besonders wichtig ist. Und am Ende listet der Wahl-O-Mat auf, mit welcher Partei die eigene Meinung am meisten übereinstimmt. Das Ganze dauert kaum mehr als 20 Minuten. Eine Wahlentscheidung im Schnelldurchlauf.

Wahl-O-Mat in Thüringen hunderttausendfach genutzt

Für viele ist der Wahl-O-Mat inzwischen ein fester Bestandteil der Meinungsbildung vor einer Wahl. 2019, bei der bisher letzten Thüringer Landtagswahl, wurde der Wahl-O-Mat fast 240.000-mal genutzt. Das heißt auch: viel Verantwortung für diejenigen, die ihn erstellen. Einer von ihnen ist Mika Jeske. Der 21-Jährige studiert Werkstoffwissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau. Nebenbei gibt er Mathe-Nachhilfe. Kurz vor der Europawahl im Juni 2024 spricht er mit zwei Nachhilfeschülern.

Ich habe ihnen dann gesagt: Ihr lasst euch doch auch nicht von euren Eltern die Klamotten herauslegen. Warum wollt ihr die Wahlentscheidung anderen überlassen? Mika Jeske | Helfer beim Wahl-O-Mat

Die können erstmals wählen, denn das Europa-Wahlalter ist gerade auf 16 heruntergesetzt worden. Aber die beiden Schüler, so erzählt es Mika Jeske verwundert, kommen gar nicht auf die Idee, überhaupt wählen zu gehen: "Ich habe ihnen dann gesagt: Ihr lasst euch doch auch nicht von euren Eltern die Klamotten herauslegen. Warum wollt ihr die Wahlentscheidung anderen überlassen?"

Student Mika Jeske entdeckt im Gespräch mit seinen Mathe-Nachhilfeschülern eine Einstellung, die er auch aus dem eigenen Bekannten- und Familienkreis kennt: "Manche sagen mir: Es ist doch eh egal. Die Parteien machen doch alle das Gleiche." Und als er dann selbst den Wahl-O-Mat für die Europawahl durchspielt, sieht er ganz unten den Aufruf, beim Wahl-O-Mat für die Thüringer Landtagswahl mitzumachen.

Junge Erwachsene erstellen Thesen

Dass Leute wie Mika Jeske den Wahl-O-Mat mitgestalten, ist der Landeszentrale für politische Bildung besonders wichtig. Neben Expertinnen und Experten aus Politikwissenschaft, Pädagogik und Statistik gibt es eine Jugendredaktion: 19 junge Erwachsene, maximal 26 Jahre alt.

In mehreren Workshops erstellen sie Thesen, zu denen die Parteien ihre Stellungnahmen abgeben. Dann wählt die Jugendredaktion 38 Thesen aus, die es in das Online-Spiel schaffen. 38 Thesen, die gerade die Unterschiede zwischen den Parteien deutlich machen sollen und zeigen, dass es eben nicht einerlei ist, wen man wählt.

Bei allem Enthusiasmus der beteiligten jungen Menschen: Es gibt auch Kontroversen. Wie gut ist die Wahlhilfe? Und können 38 Ja-Nein-vielleicht-Fragen wirklich eine umfassende Meinungsbildung fördern? Kritik am Wahl-O-Mat gibt es immer wieder: zu simpel, zu undifferenziert, zu einseitig. Der Wahl-O-Mat zur Europawahl 2019 musste sogar kurzzeitig vom Netz gehen, weil sich die Partei Volt benachteiligt sah.

Drei Menschen in gelben T-Shirts stehen an einem Laptop an einem Tisch

Mika Jeske (2.v.r.) zeigt mit anderen Mithelfern der Staatssekretärin des Innenministeriums Katharina Schenk den neuen Wahl-O-Mat.

Der Wahl-O-Mat alleine ist natürlich nicht ausreichend, um eine fundierte Wahlentscheidung treffen zu können. Aber er gibt den Wählerinnen und Wählern eine ganz  sinnvolle Hilfestellung, weil er ihnen aufzeigt, was die landespolitisch wichtigsten Themen für die Wahl sind. Franziska Wittau, Leiterin der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung |

Wahlswiper als Alternative

Der Berliner Journalist und Unternehmer Matthias Bannert spricht noch einen weiteren Punkt an: "Es ist schwierig, dass der Freistaat die Landeszentrale für politische Bildung und damit den Wahl-O-Mat finanziert. So ein sensibles Thema sollte staatsfern behandelt werden." Bannert hat 2017 eine eigene Wahlhilfe miterfunden, quasi als Alternative zum Wahl-O-Mat. Den Wahlswiper, eine Art Dating-App für Parteien, gibt es jetzt auch für die Thüringer Landtagswahl.

Es ist schwierig, dass der Freistaat die Landeszentrale für politische Bildung und damit den Wahl-O-Mat finanziert. So ein sensibles Thema sollte staatsfern behandelt werden. Matthias Bannert |

Träger ist ein Verein, das Projekt wird aus Spenden finanziert. Außerdem arbeitet ein Team der Universität Freiburg am Wahlswiper mit. Uwe Wagschal, Professor für Politikwissenschaft, sieht die App als Ergänzung zum Wahl-O-Mat: "Es ist eine Art positiver sportlicher Wettbewerb. Wir legen den Fokus stärker auf Themen wie Wirtschaft und Steuern, mit denen junge Menschen meist weniger Berührungspunkte haben."

Denn der Wahl-O-Mat richtet sich gezielt an junge Menschen, Wählerinnen und Wähler wie Mika Jeske aus Ilmenau, die auch in der Jugendredaktion mitmachen können. Die App Wahlswiper will hingegen alle Altersgruppen ansprechen. Aber Mitbegründer Matthias Bannert sagt auch: "Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um politische Bildung. Deshalb ist es gut, wenn es möglichst viele Tools gibt. Wir empfehlen, verschiedene Angebote zu verwenden und zu vergleichen."

Landeszentrale für politische Bildung behält Zugriffe im Auge

Die Thüringer Landeszentrale für politische Bildung wird nicht zuletzt darauf blicken, wie viele Online-Nutzer der neue Wahl-O-Mat findet. Der erste Thüringer Wahl-O-Mat kam 2014 heraus und wurde von etwa 100.000 Menschen online genutzt. Bei der nächsten Wahl hatte sich diese Zahl schon mehr als verdoppelt. Die enorme Aufmerksamkeit, die die drei ostdeutschen Landtagswahlen in diesem Jahr begleitet, dürfte den Online-Wahlhilfen noch mehr Klicks bescheren.

Wir sind zwar der Staatskanzlei unterstellt, aber wir sind unserer Satzung nach überparteilich. Der Wahl-O-Mat wird sehr differenziert in mehreren Workshops erstellt, in denen die Thesen ausgewählt werden. Alle Parteien bekommen die Möglichkeit, sich zu den Thesen zu positionieren. Außerdem lassen wir das Projekt durch die Universität Düsseldorf wissenschaftlich begleiten. Franziska Wittau, Leiterin der Thüringer Landeszentrale für politische Bildung |

Wem das Durchklicken im Ja-Nein-Vielleicht-Schema nicht reicht, dem hilft ein Blick in die Wahlprogramme der Thüringer Parteien. MDR THÜRINGEN und MDR AKTUELL haben die Programme aller Parteien aufgearbeitet und verglichen. Das erspart das Lesen von Hunderten PDF-Seiten. Stattdessen kann man dort Themen vergleichen oder Stichworte suchen, um herauszufinden, was die Parteien im Einzelnen für Thüringen vorhaben.

MDR-Liveshow mit Thüringer Erstwählern

Der Wahl-O-Mat ist auch Grundlage für eine MDR-Livesendung aus Erfurt zwei Wochen vor der Landtagswahl. Erstwählerinnen und Erstwähler werden sich in der Game- und Talkshow "Erst mal zur Wahl - dein Kreuz für Thüringen" mit den Themen interaktiv auseinandersetzen. Moderatorin Sarah Parvanta und Moderator Lars Sänger sprechen mit den Teilnehmenden über die Ergebnisse und politischen Vorstellungen. Der Livestream ist am 17. August ab 18 Uhr auf mdr.de zu sehen, am Montag danach 22:10 Uhr auch im MDR FERNSEHEN.

MDR (jn)