Wahlplakat mit Aufschrift +1800 Polizisten für Thüringens Sicherheit an einem Laternenmast

Thüringen Wahlkampf: Was kann Thüringen entscheiden - und was nicht?

Stand: 30.08.2024 19:21 Uhr

Der Wahlkampf in Thüringen wird auch von bundespolitischen Themen dominiert. In einem offenen Brief haben sich deshalb 17 Thüringer Landräte und Oberbürgermeister an die Parteien gewandt und diese aufgefordert, sich den Thüringer Themen zu widmen, statt Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik zu diskutieren. Denn die können in Thüringen gar nicht entschieden werden.

Von Lea Hein, MDR THÜRINGEN

Deutschland ist ein Bundestaat, der nicht zentral, sondern föderal aufgebaut ist. Das bedeutet, Bund und Länder teilen sich Aufgaben und Kompetenzen.

Thüringen darf über Bildung, Landespolizei, Strafvollzug entscheiden

Die staatlichen Aufgaben sind zwischen Bund und Ländern so verteilt, dass die Gesetzgebung schwerpunktmäßig beim Bund liegt und die Verwaltung bei den Ländern. Dennoch haben die Länder in einzelnen Bereichen eigene Möglichkeiten der Gesetzgebung. Besonders bekannte Beispiele für die Zuständigkeit der Länder sind die Bildung und die Landespolizei. Weitere Bereiche, in denen die Länder zuständig sind, sind unter anderem der Strafvollzug, der Rundfunk und die Landesbeamten.

In anderen Bereichen hat der Bund die alleinige Gesetzgebungskompetenz. Dazu zählen Fragen der Staatsangehörigkeit, das Waffenrecht sowie die Außen- und Verteidigungspolitik.

Beteiligung der Länder auf Bundesebene

Auch wenn die Parteien wissen, dass sie manche Forderungen auf Landesebene nicht erfüllen können, wollen sie Themen wie Waffenlieferungen oder höhere Löhne nicht außen vorlassen. In den Wahlprogrammen findet sich in diesem Zusammenhang dann häufig die Formulierung: "Wir werden uns im Bund dafür einsetzen."

Und tatsächlich haben die Länder die Möglichkeit, sich auch auf Bundesebene einzubringen und zwar über den Bundesrat. Dabei handelt es sich um die Vertretung der Länder auf Bundesebene.

Beteiligung am Gesetzgebungsverfahren

Im regulären Gesetzgebungsverfahren werden alle Gesetzesvorlagen auch dem Bundesrat vorgelegt, der dazu Stellung bezieht.

Bei sogenannten Zustimmungsgesetzen muss der Bundesrat zustimmen, damit das Gesetz verabschiedet werden kann. Das ist der Fall bei allen Grundgesetzänderungen sowie bei Gesetzen, die Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben oder wenn Verwaltungsverfahren bundeseinheitlich geregelt werden. Die Schuldenbremse beispielsweise könnte nur mit Zustimmung des Bunderates geändert oder abgeschafft werden, da sie im Grundgesetz verankert ist.

Bei Einspruchsgesetzen kann der Bundesrat ebenfalls dagegen stimmen. Der Bundestag kann ihn in diesem Fall jedoch überstimmen - dann kann das Gesetz trotz Einspruches des Bundesrats in Kraft treten.

Sitzung des Bundesrates

Der Bundesrat kann auch eigene Gesetzesinitiativen einbringen und so die Politik auf Bundesebene aktiv mitgestalten.

Der Bundesrat kann auch eigene Gesetzesinitiativen einbringen. So können die Länder die Bundespolitik aktiv mitgestalten. Allerdings werden diese nur dann an die Bundesregierung und den Bundestag weitergeleitet, wenn im Bundesrat mehr als 50 Prozent dafür stimmen. Die Länder haben unterschiedlich viele Stimmen, je nach Bevölkerungszahl. Niedersachsen hat beispielsweise sechs, Hamburg drei und Thüringen vier Stimmen. Insgesamt gibt es 69 Stimmen. Würde Thüringen einen Entwurf vorlegen, müssten so viele weitere Länder diesen unterstützen, dass es mindestens 35 "Ja"-Stimmen dafür gibt.

Forderungen der Thüringer Parteien im Check

Einige der prominentesten Forderungen der Parteien im aktuellen Wahlkampf können nur auf Bundesebene umgesetzt werden. Für viele liegen die Kompetenzen aber auch auf Landesebene:

"1800 neue Polizisten einstellen" (SPD)

Die Einstellung von Polizisten wie auch von Lehrern ist Ländersache. Die nächste Thüringer Landesregierung könnte dieses Versprechen also einhalten, solange es nicht an der Finanzierung scheitert.

Ein Polizist trägt einen Patch mit der Aufschrift „Polizei Videoaufzeichnung“.

Die Einstellung von Polizisten ist Ländersache.

"Frieden jetzt! "/"Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine" (AfD, BSW)

Außen- und Sicherheitspolitik ist Sache des Bundes, weshalb Thüringen hier nicht ohne Weiteres eine Politikänderung herbeiführen kann. Waffenlieferungen werden nicht vom Bundestag, sondern vom sogenannten Bundessicherheitsrat entschieden. In diesem Gremium sitzt unter Anderem der Bundeskanzler und die Bundesaußenministerin. Der Bundesrat könnte die Bundesregierung mit einem Entschließungsantrag dazu auffordern, ihre Politik zu ändern. Dass ein solcher Antrag im Bundesrat eine Mehrheit bekommt, ist aber unwahrscheinlich.

Daneben können die Landespolitiker über die Medien oder parteiinterne Macht Einfluss nehmen. Was die Waffenlieferungen angeht, wäre das (neben einem Entschließungsantrag im Bundesrat) der einzige Weg die Bundespolitik zu beeinflussen.

"Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen" (SPD, Linke)

Mindestlohnregelungen sind in Deutschland über Bundesgesetze geregelt. Thüringen könnte im Bundestag eine Initiative dazu anstoßen. Wenn sich im Bundesrat dafür eine Mehrheit finden würde, würde der Entwurf an die Bundesregierung und den Bundestag weitergegeben. Dass sich dort eine Mehrheit für den Vorschlag findet, ist zum aktuellen Zeitpunkt aber sehr unwahrscheinlich.

Wahlplakate verschiedener Parteien hängen an Laternenmasten

Thüringen könnte im Bundestag eine Initiative dazu anstoßen, den Mindestlohn zu erhöhen.

"Ausreisepflichtige Menschen abschieben" (AfD, CDU, BSW)

An den Regeln für Abschiebungen können die Bundesländer nur bedingt etwas ändern. Ob es sich um sichere Herkunftsländer handelt, entscheidet der Bundestag mit zwingender Zustimmung des Bundesrates. An dieser Entscheidung sind die Länder also direkt beteiligt. Ein Hindernis für Abschiebungen ist teilweise die fehlende Bereitschaft der Herkunftsländer, ihre Staatsbürger wiederaufzunehmen oder die mangelnde Kooperation anderer europäischer Staaten. Verhandlungen darüber können nur auf Bundesebene geführt werden.

Die Abschiebungen am Flughafen liegen zwar im Aufgabenbereich der Bundespolizei, allerdings ist die Landespolizei dafür zuständig, die Menschen bis an den Flughafen zu bringen. So können die Länder Abschiebungen unterschiedlich stark vorantreiben.

"Gendern (an Schulen) verbieten" (BSW, AfD, CDU)

Thüringen könnte den Gebrauch von Gendersprache an Schulen, Hochschulen und Landesbehörden verbieten. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geht das nur, wenn ein Land allein zuständig ist oder alle beteiligten Länder sich einig sind. Für den MDR beispielsweise würde das bedeuten, dass Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeinsam darüber entscheiden müssten, dass Gendersprache im Rundfunk verboten werden soll.

"Die Grundsteuer abschaffen" (AfD)

Die Länder können seit 2019 bei der Grundsteuer vom Bundesrecht abweichen. Es ist also möglich, diese abzuschaffen, allerdings handelt es sich dabei um eine wichtige Einnahmequelle der Kommunen.

"Keine Erhöhung der Krankenkassenbeiträge" (Linke)

Der Bund entscheidet über die Krankenkassenbeiträge und die einzelnen Kassen selbst über die Zusatzbeiträge. Thüringen könnte nur versuchen, über den Bundesrat Einfluss zu nehmen.

"GEZ abschaffen" (AfD)

Aus allen Medienstaatsverträgen auszusteigen und damit nicht nur den Rundfunkbeitrag abzuschaffen, sondern auch den ganzen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ist nicht einfach so möglich.

Zu den Medienstaatsverträgen zählt auch der Rundfunkstaatsvertrag. Den könnte der Thüringer Ministerpräsident bis Ende 2024 kündigen und Thüringen würde dann bis 2026 daraus aussteigen. Da ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk aber verfassungsrechtlich gefordert ist, müsste ab dem Ausstieg Thüringens aus dem MDR-Rundfunkstaatsvertrag ein neuer öffentlich-rechtlicher Rundfunk errichtet werden.

Dieser könnte auch aus Steuermitteln finanziert werden. Dabei muss aber gewährleistet sein, dass die Landesregierung keinen finanziellen Druck auf den Rundfunk und dessen Berichterstattung ausüben kann, weil der Rundfunk laut Bundesverfassungsgericht "staatsfern" organisiert sein muss. Die Gefahr bei einem Rundfunkbeitrag, der als Steuer erhoben wird, ist, dass die Finanzierung von den wechselnden Haushaltsplänen der Regierung abhängen und damit finanziell auf unsichereren Beinen stehen würde.

Die derzeitige "GEZ" an sich abzuschaffen, ist nicht einfach so möglich. Damit der Beitrag nicht mehr von den Bürgern eingezogen wird, müsste er von allen deutschen Bundesländern gemeinsam abgesetzt werden. Das heißt: Selbst wenn die AfD als Regierungspartei "die GEZ abschaffen" würde, müssten die Thüringer Bürger trotzdem den Beitrag bezahlen. Wie der Juristische Direktor des MDR, Jens-Ole Schröder, sagt, liegt das an einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes von 2021, die den Beitrag vorläufig abgesichert habe.

Und: Das Programm des MDR könnte auch nach Kündigung der Verträge weiter im Freistaat gesendet werden, weil Sachsen und Sachsen-Anhalt ebenfalls zum MDR gehören. Da die Verträge dort unverändert gelten würden, könnten die Nachbarländer weiter Inhalte produzieren - auch für Thüringen.

MDR (ost)