Thüringen Menge an Gotteshäusern wird für Evangelische Kirche zum Problem
Knapp 4.000 Kirchen gibt es allein auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland - bei immer weniger Gottesdienstbesuchern. Für die Kirchen ist die schiere Menge an Gebäuden längst zu einem finanziellen Problem geworden.
Die Kirche St. Michael im Geraer Stadtteil Pforten hat rund 85 Jahre auf dem Buckel. Ende der 1930er Jahre gebaut, wurde 1951 noch ein Glockenturm errichtet. Das schlichte Gebäude mit dem Spitzdach stand früher an dominanter Stelle zwischen Dorf und den ersten Häusern der Stadt Gera, sagt Architekt Thomas Laubert.
Heute wirkt die Kirche etwas verloren, nur wenige Meter neben der Stadtautobahn. Wie ein Gleichnis zur sinkenden Bedeutung kleiner Kirchen im ländlichen Raum.
Die Kirche St. Michael in Gera-Pforten ist eine der Kirchen im Stadtgebiet von Gera, die aufgegeben werden. Sie wurde bereits vor zwei Jahren entwidmet.
Seit zwei Jahren ist St. Michael schon entwidmet. Der Schaukasten, in dem früher Hinweise zu Gottesdiensten hingen, ist leer. Die Kirchgemeinde Gera will das Gebäude verkaufen. Thomas Laubert will es erhalten und das Einzeldenkmal umbauen. "Das ist ja nur noch optisch eine Kirche", sagt er. "Hier habe ich die Möglichkeit zu schauen: Was kann ich erhalten, wie gehe ich mit der Altbausubstanz um?"
Innen steht noch eine einzelne Kirchenbank, auch eine kleine Orgel und viele Tafeln mit Gebetsnummern in einer Kiste. Laubert will das kleine Kirchenschiff teilen und eine Hälfte des Raumes für die Öffentlichkeit nutzbar machen. In der hinteren Hälfte könnten Wohnräume entstehen. Zukunftsmusik noch, aber vielleicht die Rettung für das Haus.
Viele Kirchengebäude, immer weniger Gemeindemitglieder
St. Michael ist kein Einzelfall. Knapp 4.000 Kirchen gibt es auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands, das ungefähr die Bundesländer Thüringen und Sachsen-Anhalt umfasst. Für die Kirchen ist die Menge an Gotteshäusern längst auch zum finanziellen Problem geworden, wie Baugeschichtlerin Barbara Perlich-Nitz in einer Podiumsdiskussion in Gera sagt.
"Kirche im Wandel" war das Thema einer Veranstaltungsreihe der Ökumenischen Akademie Gera-Altenburg.
Mindestens 26.000 Euro kostet der Erhalt einer Kirche jedes Jahr. Ohne bauliche Maßnahmen allerdings. Inzwischen schieben die Kirchen einen riesigen Investitionsstau vor sich her.
Was ist das für eine Kirche, die gerne mal auf die Pfarrer verzichtet, aber die Kirchenräume auf jeden Fall erhalten will? Frank Hiddemann | Ökumenische Akademie Gera-Altenburg
In Gera geht es deshalb auch um die Frage, wie viele Kirchengebäude überhaupt noch gebraucht werden. Ein Thema, das die Ökumenische Akademie Gera-Altenburg schon seit einigen Monaten umtreibt. In mehreren Veranstaltungen diskutierten Fachleute mit den Besuchern über die mögliche - und nötige - Veränderung von Kirche.
"Im Mittelalter wurden Kirchen oder ganze Klöster abgerissen", sagt Perlich-Nitz. "Man hat immer wieder neu gebaut, so wie es den Bedürfnissen der jeweiligen Zeit angemessen war."
Die Ursprünge der alten Dorfkirche St. Peter gehen bis ins 13. Jahrhundert zurück.
Laut Frank Hiddemann von der Ökumenischen Akademie könnte unsere Generation die erste sein, die keine Kirchen mehr baut. Stattdessen wird an den alten Gebäuden festgehalten. "Das bremst die Entwicklung", so Hiddemann. "Was ist das für eine Kirche", fragt Hiddemann, "die gerne mal auf die Pfarrer verzichtet, aber die Kirchenräume auf jeden Fall erhalten will?"
Er erzählt von einem Abend in der St. Elisabeth-Kirche in Meuselwitz-Zipsendorf, einem riesigen neoromanischen Bau. Für eine Kirchgemeinde, die noch 25 Mitglieder hat. Zwölf davon seien über 80 Jahre alt.
Verein gegen Kirchenschließung gegründet
Auch in Gera steht die Kirchgemeinde vor Veränderungen. Rund 3.200 Gläubige zählen dazu. Bisher gab es fünf Kirchen und ein Gemeindezentrum. Schon 2020 ging es in einem Konzept um die Zukunft der Gebäude. Neben St. Michael sollte schon damals eine weitere Kirche ihre Pforten schließen. St. Peter im Stadtteil Leumnitz.
Die Kirche St. Peter in Gera-Leumnitz wird seit einem Jahr von einem Verein betreut. Hier finden immer noch Gottesdienste statt.
Das wollten die Leumnitzer allerdings nicht hinnehmen. "Wir wollten die Kirche im Dorf erhalten", sagt Marc-Manuel Moritz, Schatzmeister eines im letzten Jahr gegründeten Vereins.
Der Kultur- und Heimatverein Leumnitz - kurz Kuhl - fand Mitstreiter und sorgt seitdem für Leben in den historischen Mauern. Konzerte und eine Büchertauschstation gibt es hier. Außerdem führt ein Pfarrer im Ruhestand regelmäßig Gottesdienste durch. Für ihre Veranstaltungen orientieren sich die Vereinsmitglieder am Kalender des Kirchenjahres.
Gerade im ländlichen Raum machen sich auch viele Nicht-Christen für den Erhalt der Gotteshäuser stark. Erhalt oder Abriss - das Schicksal der Dorfkirchen wird hier besonders kontrovers diskutiert. Wenn immer mehr Begegnungspunkte wegfallen, wird die Kirche im Ort oft zum letzten Mittelpunkt.
Keine Chance, alle Kirchen zu erhalten
Auch bei der letzten Podiumsdiskussion der Veranstaltungsreihe sprechen sich die Gäste überwiegend für den Erhalt der Kirchen aus. Dafür müsse es auch Kompromisse geben - für eine kirchliche und weltliche Nutzung. "Früher waren die Kirchen politische Orte", sagt Frank Hiddemann. "Später haben wir uns mehr auf uns selbst konzentriert."
In mehreren Veranstaltungen diskutierten Fachleute mit den Besuchern über die mögliche Veränderung von Kirche.
Jetzt würden sich die Kirchen wieder mehr öffnen. Auch optisch, etwa durch Umbauten, bei denen der Gebetsvorgang mehr in den Mittelpunkt rückt.
Trotzdem dürfte die eine oder andere Kirche dem Wandel zum Opfer fallen und abgerissen werden. Das müsse man aushalten: Darin sind sich die Fachleute auf dem Podium einig. Alle Kirchen zu erhalten, sei schon aus finanziellen Gründen nicht möglich.
MDR (gh)