Ein Geschäft der Konsumgenossenschaft in der Weimarer Innenstadt.

Thüringen "Wir haben hier kein Monopol": Konsumgenossenschaft Weimar zieht sich aus Schillerstraße zurück

Stand: 19.07.2024 12:47 Uhr

Wegen einer wirtschaftlichen Schieflage steckt die Konsumgenossenschaft Weimar in einer Krise. Jetzt ziehen die Geschäftsführer die Reißleine. Drei Geschäfte in der Innenstadt sollen im Laufe des kommenden Jahres leergezogen werden. Weitere könnten folgen.

Von Sophie Hartmann, MDR THÜRINGEN

In einem Schaufenster steht es in bunten Signalfarben bereits geschrieben: "Ausverkauf". Die Luxus-Boutique am Ende der Schillerstraße muss als erste das Feld räumen. Ab September zieht der Laden samt Sortiment und Mitarbeiterinnen ins nahe gelegene Schillerkaufhaus. Er wird nicht der letzte sein.

"Die Leute kaufen einfach nicht mehr wie früher". Für Maximilian Reich, Vorstandsvorsitzender der Konsumgenossenschaft Weimar, liegt der Kern des Problems klar auf der Hand. Weil es den Menschen an Geld und Zeit fehle, shoppen sie lieber im Internet als gemütlich durch Modeboutiquen zu bummeln.

Ein Geschäft der Konsumgenossenschaft in der Weimarer Innenstadt.

Die Modeboutique, die zur Konsumgenossenschaft Weimar gehört, liegt am Ende der Schillerstraße.

Personalkosten in vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt

Der 32-Jährige Maximilian Reich kam 2020 ins Unternehmen, schlitterte mitten hinein in die Corona-Krise. Das habe ihn nur zusätzlich motiviert, sagt der Unternehmer. Seit dem vergangenen Jahr teilt sich Reich die Geschäftsführung mit der 45-jährigen Constanze Hebestreit. Schon zu seinem Antritt hatte das junge Duo angekündigt, als neue Spitze der traditionsreichen Genossenschaft einiges anders machen zu wollen. "Wir müssen mehr in die Zukunft denken", sagt Reich. "Manchmal bedeutet das paradoxerweise auch, einen Schritt zurückzumachen, um stabil zu bleiben."

Ein Geschäft der Konsumgenossenschaft in der Weimarer Innenstadt.

Maximilian Reich und Constanze Hebestreit teilen sich die Geschäftsführung der Konsumgenossenschaft Weimar.

Reich und Hebestreit wollen die Karten offen auf den Tisch legen. In den vergangenen fünf Jahren hätten sich die Personalkosten fast verdoppelt, sagt Hebestreit. Derweil sinke die Kaufkraft immer weiter. Corona war der Tiefpunkt, von dem sich der Einzelhandel bis heute nicht erholt habe. Zwar hätten die staatlichen Zuwendungen zwischenzeitlich Abhilfe geschaffen, doch dann kamen der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und die Inflation. Nun drückt die Rückzahlung der Corona-Hilfen in Höhe von voraussichtlich 3,6 Millionen Euro. Diese wurden nach Angaben des Vorstands bereits im Jahr 2021 rückgestellt.

Uns bringt es nichts, auf Zwang ein Monopol aufrechtzuerhalten, das wir hier ohnehin längst nicht mehr haben. Maximilian Reich | Vorstandsvorsitzender der Konsumgenossenschaft Weimar

Der Jahresumsatz der Unternehmensgruppe von rund 20 Millionen Euro fließe zu großen Teilen in die kleinen und zunehmend unrentablen Filialen - wie die in die Schillerstraße. Als Konsequenz kündigt das Unternehmen dort jetzt die Mietverträge mehrerer Gewerbeflächen.

Von sieben Geschäften werden drei bis 2025 geschlossen

Von den sieben Geschäften in der Schillerstraße werden drei bis 2025 geschlossen. Zu den anderen äußerte sich Reich nicht näher. Aber: Es laufe eine umfassende "Umstrukturierung" und "Neuausrichtung". Unbesorgt sein kann derzeit offenbar nur das Schuhgeschäft "Antilope", dessen Ladenfläche im Besitz des Unternehmens ist.

Ein Geschäft der Konsumgenossenschaft in der Weimarer Innenstadt.

Die Konsumgenossenschaft Weimar wurde vor mehr als 150 Jahren gegründet.

Fokus soll künftig auf großen Kaufhäusern liegen

Zwischenzeitlich habe es sogar mal so dramatisch ausgesehen, dass eine Schließung des Schillerkaufhauses und der Textilflächen im Goethekaufhaus in Betracht gezogen wurde. Zumindest diese Gefahr scheint nun gebannt. Künftig wollen Hebestreit und Reich ihren Fokus primär auf die großen Kaufhäuser richten.

Das gelte ebenso für die Außenstandorte in Gera, Jena, Chemnitz und Dresden. Auch dort sollen die kleinen Filialen geschlossen und deren Sortiment in die großen Häuser eingegliedert werden. Die Arbeitsplätze der rund 230 Mitarbeiter seien vorerst nicht gefährdet, so die Geschäftsführer.

Ein Geschäft der Konsumgenossenschaft in der Weimarer Innenstadt.

Ein Blick in die Weimarer Schillerstraße.

Rückzug aus Schillerstraße als Chance für Vielfalt

Wenn es um Weimar geht, ist es für das junge Unternehmerduo besonders emotional. Hier wurde die Genossenschaft vor über 150 Jahren gegründet. Jahrzehntelang waren und sind die Konsum-Geschäfte prägend im Weimarer Stadtbild. Doch für Maximilian Reich ist klar: In dieser Situation ist kein Platz für falschen Stolz. "Uns bringt es nichts, auf Zwang ein Monopol aufrechtzuerhalten, das wir hier ohnehin längst nicht mehr haben." Der Rückzug könne auch eine Chance sein, dass die Schillerstraße etwas vielfältiger wird, sagt er. Viele würden noch immer dem Irrglauben nachhängen, dass die Konsumgruppe die Weimarer Innenstadt dominiere. Tatsächlich seien aber nur etwa zehn Prozent aller Geschäfte dort angesiedelt.

Natürlich wäre ein Weggang von Konsum aus der Schillerstraße ein Bild, das wir nicht haben möchten, weil die Läden zur Attraktivität der Stadt beitragen. Es würde uns sehr schmerzen, wenn der Konsum sich in großem Stil zurückziehen würde. Ralf Kirsten | Bürgermeister von Weimar

Trotzdem sind es nicht gerade rosige Perspektiven für Weimar. Besonders in der Schillerstraße, wo in den vergangenen Jahren zahlreiche Geschäfte eröffneten und nach kurzer Zeit das Handtuch warfen, waren die "Konsum-Läden" eine feste Instanz. Die Genossenschaft führe deshalb "intensive und gute" Gespräche mit der Stadt.

Bürgermeister Ralf Kirsten (Weimarwerk) bestätigt, dass gemeinsam nach einer Lösung gesucht werde. "Natürlich wäre ein Weggang von Konsum aus der Schillerstraße ein Bild, das wir nicht haben möchten, weil die Läden zur Attraktivität der Stadt beitragen. Es würde uns sehr schmerzen, wenn der Konsum sich in großem Stil zurückziehen würde."

Wirkliche Handlungsspielräume habe die Stadt aber nicht. Für Maximilian Reich und Constanze Hebestreit liegt der Ball vor allem im Feld der (überwiegend westdeutschen) Vermieter: "Wenn nicht in ein paar Jahren alle Innenstädte leer sein sollen, müssen sich auch die Eigentümer an die neuen Gegebenheiten anpassen." Auch das sei aber nur eine Übergangslösung, fügt Reich hinzu. Wenn die Kunden ihre Shopping-Ausflüge nicht vom Internet zurück in die Einkaufsstraßen verlagern, werde bald jede Miete zu hoch sein.

MDR (co)