Thüringen "Sind aus der Defensive gekommen": Was ist von den Bauernprotesten wirklich hängengeblieben?
Einen ganzen Winter lang machten die Bauern ihrem Frust Luft: kippten Mist vor Ministerien, blockierten Autobahnzufahrten und ganze Städte. Ein Jahr später ist es auffallend ruhig: Was haben die Proteste für Thüringer Landwirte gebracht?
Niemand kann sagen, Bauern wären nicht leidensfähig. Selbst die dickste Thermounterhose hilft am Morgen des 8. Januar 2024 irgendwann nicht mehr: Es ist bitterkalt. Und Erfurt ist dicht. Durch viele deutsche Städte und über Landstraßen schlängeln sich in diesen Winterwochen die Kolonnen der Traktoren, blockieren Kreuzungen, versammeln sich die Landwirte zu Demonstrationen.
Auch Gunnar Jungmichel ist dabei, als der Bauernverband zu einer Sternfahrt nach Erfurt mobilisiert, um gegen die Agrarpolitik zu protestieren.
Das soll nicht arrogant klingen, aber alles, was man hier sieht, gehört zu unserem Betrieb. Gunnar Jungmichel | Landwirt
Heute, fast ein Jahr später, steht der Landwirt auf einem Hügel in Ostthüringen und blickt in die Ferne - vor ihm die Uhlstädter Heide, dahinter das Saaletal. Die Ackerflächen hier sind groß und dehnen sich über die Hügel aus.
"Das soll nicht arrogant klingen, aber alles, was man hier sieht, gehört zu unserem Betrieb." Jungmichel ist einer der Großen in Thüringen, er leitet den Betrieb "Agrarprodukte Ludwigshof" in Ranis bei Pößneck. Unter anderem 1.000 Rinder für die Milchproduktion gehören dazu sowie 4.000 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche.
Gunnar Jungmichel auf den Betriebsflächen in Ostthüringen
Jungmichel war nicht nur in Erfurt dabei, sondern hat den Winter über mit anderen Landwirten Autobahnbrücken besetzt und -zufahrten blockiert. "Es war eine schnelllebige Zeit", sagt er heute. "Ich bin stolz, weil es ein Zeichen dafür war, wie gut die Bauernschaft mobilisieren kann." Auch der Präsident des Thüringer Bauernverbands, Klaus Wagner, findet: "Wir sind damals aus der Defensive gekommen."
Der Frust unter den Bauern über die Agrarpolitik hatte sich angestaut. Die Winter-Proteste waren die Eskalationsstufe, nachdem, wie die Bauern unisono erklären, das Fass übergelaufen war.
Karlsruher Urteil als Auslöser
Ein Rückblick: Im November 2023 entscheidet das Bundesverfassungsgericht, dass die Ampelregierung einen verfassungswidrigen Haushalt aufgestellt hat. Allein für 2024 fehlen der Regierung auf einen Schlag 17 Milliarden Euro, die sie irgendwie einsparen muss.
Viel gerät darauf ins Rollen: Die Regierung unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beschließt als Direktmaßnahme, Vergünstigungen beim Agrardiesel und die Kfz-Steuerbefreiung für Landwirtschaftsfahrzeuge zu streichen. 920 Millionen Euro soll das bringen.
Proteste haben Konsequenzen
Doch die Regierung hat die Rechnung ohne die Bauern gemacht. "Die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung wurde wegen der Proteste komplett zurückgenommen", bilanziert Gunnar Jungmichel zufrieden. "Dieses Ziel haben wir erreicht." Die Vergünstigung beim Agrardiesel wird trotz der Proteste gestrichen, wenn auch in Schritten - ein "Teilerfolg" wie der Thüringer Landwirt sagt.
Im Bundesrat wurde im Sommer auch ein neues Düngegesetz gestoppt. Dadurch sollte eigentlich die Nitratbelastung in Gewässern gesenkt werden - einige Länderchefs blockierten das Vorhaben aber. Sie begründeten das mit bürokratischem Mehraufwand für die Landwirte.
EU kippt strengere Pestizidregeln
Und noch eine weitere bemerkenswerte Konsequenz haben die Proteste: Die EU kippt Anfang Februar die geplante Pestizidverordnung. Zugunsten des Artenschutzes hätten Landwirte bis 2030 damit eigentlich den Einsatz von Pestiziden um 50 Prozent verringern müssen - doch die Kommission unter Ursula von der Leyen knickt ein.
Jetzt kommt das große Aber. Gunnar Jungmichel | Landwirt
"Grundsätzlich wäre das aus ökologischer Sicht sogar ein richtiger Schritt gewesen", räumt Gunnar Jungmichel ein, der selbst auf seinen Feldern spritzt. "Jetzt kommt das große Aber." Jungmichel zufolge fehlt es an Alternativen, um im globalen Wettbewerb nicht geschwächt dazustehen. Ohne Pestizide, so das Argument, können Landwirte wie er auf dem Weltmarkt nicht konkurrieren.
Sie brauchen die Pestizide, um hier weiter Landwirtschaft betreiben zu können, sagt Gunnar Jungmichel aus Ostthüringen.
Sie müssen günstig produzieren, so Jungmichel. "Denn wir sind die, die die Wünsche der Konsumenten befriedigen. Jeder Kauf an der Ladentheke ist der Auftrag an den Hersteller, das Produkt zu den gleichen Bedingungen und zum gleichen Preis noch einmal herzustellen."
Öko-Bäuerin: Eigentliche Probleme nicht angepackt
An einem Donnerstagnachmittag in Erfurt räumt Claudia Gerster volle Milchflaschen und frische Joghurtgläser in den Kühlschrank im Bioladen "Clärchen". Gerster ist Bio-Bäuerin im südlichen Sachsen-Anhalt und beliefert mehrere Läden in Thüringen.
Sie sieht die Proteste im Rückblick kritisch. "Ich denke, dass gerade der Bauernverband stark polarisiert und eine Lawine in Gang gebracht hat." Gerster ist Mitglied im Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft (AbL) - einem Verband, der vor allem kleinbäuerliche Betriebe vertritt.
Das ist bitter. Claudia Gerster | Bäuerin
Die wichtigen Themen, so Claudia Gerster, seien nicht angegangen worden. Zur Frage, wie das Höfesterben eingedämmt werden kann, wie Klimaschutz in der Landwirtschaft gelingt oder Landwirte faire und kostendeckende Preise für ihre Produkte bekommen. "Was wir dadurch als Kollateralschaden haben, ist, dass die ganzen Umweltauflagen mit dem Vorwand von zu hoher Bürokratie abgeräumt worden sind. Das ist bitter."
Claudia Gerster verkauft beispielsweise im Erfurter Laden "Clärchen" ihre Produkte - hier zusammen mit dessen Chef Tim Borgmann.
Ähnlich bewertet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) die Bauernproteste. "Wirkmächtig ja, erfolgreich nein", resümiert der Thüringer Verbandschef Sebastian König. "Es gibt kaum Entlastungen für die Landwirtschaft, schon gar nicht bei der Bürokratie, und gleichzeitig kommt der Agrarnaturschutz unter die Räder. Eine fatale Kombination."
Vereinnahmung der Bauernproteste
Bäuerin Claudia Gerster kritisiert außerdem, dass die Bauernproteste immer wieder vereinnahmt wurden. "Es ging dann oft nicht um Inhalte, sondern wir haben viele Galgen mit der Ampelregierung gesehen und viele rechte Transparente."
Bis zuletzt wurde der Begriff "Bauerndemo" als Label genutzt, auch wenn daran nicht überwiegend Landwirte teilnahmen. Ende November zog beispielsweise ein Konvoi des Vereins "Hand in Hand für unser Land" auf seinem Weg von Bayern nach Berlin durch Thüringen.
Ein Youtuber, der etwa auch immer wieder Veranstaltungen von Rechtsextremisten in Thüringen überträgt und für die AfD im Kreistag des Landkreises Leipzig sitzt, streamte den Start des Konvois im bayerischen Haibach. Auf der Rednerliste für die abschließende Kundgebung in Berlin dominierten dann auch eher Verschwörungsideologen statt Bauern.
Auch AfD versuchte mitzumischen
Gunnar Jungmichel, der selbst Mitglied im Bauernverband ist, weiß um die Bemühungen anderer, die Bauernproteste als Bühne zu nutzen. Der Bauernverband, so erzählt er, hat sich deshalb auch von diesem Protest distanziert. Überrascht ist er aber nicht, dass der Konvoi "unter Flagge der Bauernproteste" segelte: "Weil wir Erfolg hatten im letzten Jahr. Und weil man diesen Schwung mitnehmen möchte."
Auch die AfD, so Jungmichel, wollte in den vergangenen Monaten "mitschwimmen". Ein Blick ins Wahlprogramm der Partei zeige aber, "dass sie komplett gegen EU-Subventionszahlungen sind. Die AfD ist da eine Fahne im Wind".
Auch die AfD versuchte im vergangenen Winter, sichtbar zu sein - so wie hier auf der Demo in Erfurt.
Millionen-Subventionen und trotzdem unzufrieden?
Noch einen weiteren Vorwurf müssen sich Landwirte immer wieder anhören: Sie bekommen viel Geld in Form von öffentlichen Förderungen - 6,3 Milliarden Euro erhalten allein deutsche Bauern von der EU im Jahr. Oft lautete der Vorwurf im vergangenen Winter: Warum meckern die eigentlich?
Ohne Ausgleichszahlungen gäbe es in Thüringen keine Landwirtschaft. Klaus Wagner | Bauernverbandschef
Von den öffentlichen Geldern profitieren vor allem große Betriebe: Denn ein Großteil der Förderungen wird immer noch pro Fläche ausgezahlt. Je mehr Ackerfläche ein Betrieb hat, desto höher ist die Fördersumme. Andere Zahlungen - allerdings in geringerem Umfang - sind an ökologische, landschaftspflegende Leistungen gekoppelt.
Gunnar Jungmichels Betrieb erhielt 2023 beispielsweise rund 1,4 Millionen Euro. Bei Landwirtschaftspräsident Klaus Wagner beläuft sich die Fördersumme auf eine Million Euro.
Bauern-Funktionär und Thüringer CDU-Mitglied Klaus Wagner
Jungmichel aus Ostthüringen verweist in diesem Zusammenhang zum einen auf die Größe seines Betriebs: Er beschäftige 120 Festangestellte sowie zehn Azubis. Zum anderen trage sich der Betrieb nicht ohne die Fördermittel.
Ähnlich argumentiert Bauernverband-Präsident Klaus Wagner: Landwirtschaft lohne sich ohne die Subventionen einfach nicht: "Ohne Ausgleichszahlungen gäbe es in Thüringen keine Landwirtschaft."
Das fordern die Bauern jetzt von der Politik
Aktuell plant der Bauernverband keine weiteren Demonstrationen. Die große Wut scheint abgeebbt. Dennoch gibt es Stimmen im Verband, die den Schwung der Proteste aufgreifen und in den kommenden Wochen wieder protestieren wollen, erzählt Gunnar Jungmichel. "Aber es lohnt sich nicht so richtig, die Kraft aufzubringen." Mit dem Aus der Ampelregierung fehlt den Landwirten ein wichtiger Adressat für ihren Unmut.
Denn die Erwartungen der Landwirte an die Politik sind weiterhin groß. Bio-Bäuerin Claudia Gerster etwa hofft, dass sich eine neue Bundesregierung aktiv für eine Änderung der EU-Förderpolitik einsetzt: "Damit das Geld mehr nach qualitativen Kriterien verteilt wird" - sprich weniger nach der reinen Fläche eines Betriebs, sondern mehr nach ökologischen Kriterien. Ihr Verband, die AbL, setzt sich anders als der Bauernverband stärker für die kleinbäuerlichen Betriebe ein: fordert einen besseren Zugang zu Ackerland für Junglandwirte oder auch eine gentechnikfreie Erzeugung.
Bäuerin Claudia Gerster drängt auf einen Wandel in der Förderpolitik.
Bauernverbandschef eng mit neuer Regierung verbunden
Auch in die neue Brombeer-Landesregierung von CDU-Ministerpräsident Mario Voigt setzt die Bauernschaft große Erwartungen. Der Bauernverband spricht in diesem Zusammenhang oft von Entbürokratisierung: Nachweise sollen einfacher erbracht werden können - Förderregeln vereinfacht werden.
Spricht man den frisch wiedergewählten Bauernverbandschef Klaus Wagner auf die Versprechen von CDU, BSW und SPD an, sieht man ein zufriedenes Nicken. Das Papier, so Wagner, ist ein guter Kompromiss. Es verspricht Entbürokratisierung und die Weiterentwicklung der EU-Förderpolitik, hin zu mehr Naturschutz.
Wagners Zufriedenheit überrascht wenig: Er ist selbst nicht nur CDU-Mitglied und wurde als neuer Landwirtschaftsminister gehandelt. Wagner gab dem Koalitionsvertrag auch eine eigene Handschrift mit, indem er die CDU in den Verhandlungen zum Themenkomplex Landwirtschaft vertrat.
MDR (dst)