Rentenpläne der Großen Koalition Ein kostspieliger Rententrick
Um die Aufstockungen bei der Rente bezahlen zu können, braucht die Regierung Geld. Deshalb hat sie heute ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die vorgeschriebene Senkung des Beitragssatzes aushebelt. Damit die Regelung noch in diesem Jahr greift, bedient sie sich eines umstrittenen Tricks.
Nach Wochen des Stillstands muss plötzlich alles ganz schnell gehen. Kaum hat sich die schwarz-rote Regierung gebildet, stehen die ersten Entscheidungen an. Die Koalition will verhindern, dass die Rentenbeiträge zum Jahreswechsel regulär gesenkt werden. Denn das Geld braucht sie dringend, um die im Koalitionsvertrag vereinbarten Verbesserungen bei der Rente zu finanzieren.
Weil die Rentenkasse derzeit prall gefüllt ist, müsste nach aktueller Gesetzeslage der Beitragssatz von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zum Jahreswechsel eigentlich sinken - von derzeit 18,9 auf 18,3 Prozent. Denn die vorhandenen 31 Milliarden Euro übersteigen bei weitem die vorgesehene Reserve. Um den derzeitigen Beitragssatz dennoch beizubehalten, muss die Regierung also eine Gesetzesänderung vornehmen.
Regierung verstößt womöglich gegen Verfassung
Doch ein Gesetzgebungsverfahren braucht Zeit: Nach der ersten Lesung im Bundestag folgen Expertenanhörungen und Beratungen in Fachausschüssen, eine zweite und dritte Lesung und die Beratung im Bundesrat. Da das in diesem Jahr nicht mehr zu schaffen ist, will die Regierung in diesem Fall allein durch die erste Lesung im Bundestag die Senkung des Rentenbeitragssatzes aushebeln. Ein Gesetz, das noch nicht verabschiedet wurde, soll bereits gelten.
Juristen sind empört. Dass dieses Vorgehen nicht korrekt sei, ergibt sich aus einem internen Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages. Die Senkung des Rentenbeitrags könne nicht vorsorglich ausgesetzt werden, wenn das Gesetz noch nicht beschlossen sei. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt ein Gutachten im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). "Das geplante Vorgehen wirft verfassungsrechtliche Zweifel auf", heißt es in der Untersuchung. Es sei mit Klagen zu rechnen.
Mütterrente ist die teuerste Neuerung
Die Koalition argumentiert: Bereits mit der ersten Lesung des Gesetzentwurfes demonstriere sie ihren Willen, den Beitragssatz stabil zu halten. Somit könne sich die Rentenversicherung noch vor dem Jahreswechsel darauf einstellen. Um für alle beteiligten Klarheit zu schaffen, will die Regierung den Gesetzesentwurf vor dem Jahreswechsel im Bundesgesetzblatt veröffentlichen.
Durch den Verzicht auf die Beitragssenkung in der Rentenversicherung erwartet sie 2014 Mehreinnahmen in Höhe von 7,5 Milliarden Euro. Und dieses Geld wird die Große Koalition auch brauchen. Vor allem die Mütterrente wird teuer. Bereits im ersten Jahr schlägt sie bei der Rentenversicherung mit 6,5 Milliarden Euro zu Buche. Bis 2018 sind es nach Berechnungen der Deutschen Rentenversicherung insgesamt rund 30 Milliarden - allein damit wäre die derzeitige Reserve von 31 Milliarden Euro aufgezehrt.
"Ein kostspieliges Wahlgeschenk"
Der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV), Herbert Rische, kritisiert die Pläne deshalb scharf. Denn diese Mehrausgaben sollen aus der Rentenkasse genommen werden, also nur auf die Beitragszahler der Gesetzlichen Rentenversicherung umgelegt werden. "Die Honorierung der Erziehungsleistung ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", sagt Rische. Deshalb fordert er, sie aus Steuermitteln zu finanzieren. Dann müssten auch die privat versicherten Gutverdiener zahlen.
Auch die abschlagsfreie Rente ab 63 hält Rische für problematisch. Die soll erhalten, wer mindestens 45 Beitragsjahre vorweisen kann. Die Neuregelung kostet zunächst schätzungsweise 3,5 bis 4,5 Milliarden Euro im Jahr. "Ein sehr kostspieliges Wahlgeschenk", findet Rische. Ungerecht sei das vor allem deshalb, weil die Rente ab 63 vor allem den Versicherten zugute komme, die ohnehin über relativ hohe Rentenansprüche verfügten. Dieses Geld fehlt laut Rische dann bei der Bekämpfung von Altersarmut.
Gut abgesicherte Rentner profitieren
Außerdem würden vor allem Männer davon profitieren, weil Frauen wegen Unterbrechungen ihrer Berufszeiten selten auf 45 Beitragsjahre kommen. Im Jahr 2011 wäre fast jeder zweite Mann zwischen 63 und 65 bezugsberechtigt gewesen. Zudem werden die Jüngeren benachteiligt: Weil die Regelung auf diejenigen beschränkt ist, die in den nächsten Jahren in Rente gehen. Denn das Eintrittsalter soll bis 2032 schrittweise auf 65 angehoben werden, dann soll die Regelung auslaufen.
Diese Mehrausgaben werden die Rentenbeiträge rascher als geplant in die Höhe treiben. Seriös berechnen kann man das derzeit nur für die Mütterrente: "Mit allen Dämpfungswirkungen auf die Rentenanpassung würde der Beitragssatz in den Folgejahren im Mittel um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte höher liegen als ohne Ausweitung der Kindererziehungszeiten", sagt der DRV-Vorstandsvorsitzende Alexander Gunkel. Zudem befürchtet er, dass das Rentenniveau stärker absinken wird. Es bestehe sogar die Gefahr, dass es langfristig unter die von der Bundesregierung festgelegte Grenze von 43 Prozent fallen könnte. Die heutigen Beitragszahler würden also doppelt belastet: Sie müssen heute mehr einzahlen und bekommen voraussichtlich im Alter weniger heraus.
Abschlagsfreie Rente ab 63: Wer mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt hat, soll schon mit 63 Jahren ohne Abschlag in Rente gehen können. Begünstigt sind Angehörige der Geburtsjahrgänge bis 1952. Für danach Geborene mit besonders langen Beitragszeiten erhöht sich das abschlagfreie Renten-Zugangsalter stufenweise auf 65 Jahre. Ab dem Geburtsjahrgang 1963 gilt dann nur noch diese Marke. Phasen kurzzeitiger Arbeitslosigkeit werden in dem Konzept mit angerechnet, ebenso Zeiten der Kindererziehung, der Pflege von Familienangehörigen oder Zeiten mit Bezug von Insolvenzgeld. Für Langzeitarbeitslose gilt die Regelung nicht.
Erwerbsminderungsrente: Wer aus Krankheitsgründen vorzeitig in Rente gehen muss, wird besser als bisher gestellt sein. Die sogenannte Zurechnungszeit wird um zwei Jahre angehoben. Das wirkt sich so aus, als ob ein Betroffener bis zur Vollendung des 62. Lebensjahres in die Rente eingezahlt hat. Das entspricht einem Plus von bis zu 40 Euro im Monat. Die letzten vier Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung sollen unberücksichtigt bleiben, wenn sie - etwa wegen gesundheitsbedingter Reduzierung der Arbeitszeit - bei der Berechnung des Durchschnittseinkommens negativ zu Buche schlagen würden.
Solidarische Lebensleistungsrente: Geringverdiener werden dem Gesetz zufolge ab 2017 eine garantierte Rente von rund 850 Euro bekommen, wenn sie 40 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt haben. Bis 2023 reichen 35 Beitragsjahre. Danach ist eine private Altersvorsorge Zugangsvoraussetzung. Bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit können angerechnet werden.