Ermittlungen in Berlin Anschlag auf russische Journalisten?
Ein "möglicher Terroranschlag" auf russische Journalisten und ihre Angehörigen in Berlin sei vereitelt worden, so die russische Botschaft. Die Polizei stellte einen Brandsatz sicher. Doch der Fall wirft Fragen auf.
Es ist eine ruhige Wohngegend abseits der geschäftigen Schloßstraße im Berliner Außenbezirk Steglitz. Das Haus in der Lepsiusstraße ist ein Wohngebäude mit einem Gewerbetrakt.
Dort soll am Nachmittag des 6. Mai ein "möglicher Terroranschlag gegen russische Journalisten und ihre Familienangehörigen" vereitelt worden sein, wie die russische Botschaft einen Tag später mitteilte. Sie schließe nicht aus, dass "dieser eklatante Vorfall einen direkten Zusammenhang mit der in Deutschland ausgelösten Hetze gegen sämtliche russische staatliche Medien haben könnte, die wegen vermeintlicher Propaganda und Desinformation beschuldigt werden".
In einer Note an das Auswärtige Amt forderte die russische Botschaft Ermittlungen zur Identifizierung der Täter und die Gewährleistung der "Sicherheit und geeignete Arbeitsbedingungen für die russischen JournalistInnen".
Brandsatz entschärft
Ob es sich bei dem Vorfall zwei Tage vor den Feierlichkeiten zum Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus um einen Anschlag handelt, ist Gegenstand von Ermittlungen. Der Fall liegt inzwischen bei der Berliner Generalstaatsanwaltschaft.
Deren Pressesprecher, Oberstaatsanwalt Martin Steltner, beschreibt den Hergang: Gegen 17 Uhr am Freitagnachmittag sei bei der Polizei ein Anruf einer Bewohnerin eingegangen. Sie berichtete von einem Flaschenwurf auf das Haus. Vor Ort stellte die Polizei fest, dass es sich um eine leere Bierflasche handelte, eine Fensterscheibe wurde zerstört.
Bei der Begehung des Grundstücks fanden Beamte in einem Lichtschacht vor dem Fenster eines Lagerkellers einen verdächtigen Gegenstand. Dieser habe sich als Brandsatz herausgestellt, teilte die Polizei mit. Kriminaltechniker hätten ihn vor Ort vernichtet, weil eine Gefährdung der Anwohnenden nicht auszuschließen gewesen sei.
Nach Angaben Steltners befanden sich zum Zeitpunkt des Vorfalls Personen im Gebäude. Sie seien zeitweise evakuiert worden. Die Polizisten hätten das Büro der russischen Nachrichtenagentur "Ria Novosti" im Haus besichtigt.
"Ria Novosti" selbst veröffentlichte ein Video, auf dem aus nächster Nähe ein Kanister mit Klebeband und Drähten in einem Lichtschacht zu erkennen sind. Die Videoagentur Ruptly wiederum, die zum russischen Medienunternehmen RT gehört, veröffentlichte Aufnahmen von weiträumigen Absperrungen der Polizei, Feuerwehr sowie einen Beamten in schwerer Schutzausrüstung, der sich vorsichtig vom Garteneingang des Gebäudes entfernt.
Unscheinbares Gebäude
Eine Frage ist, warum das Gebäude im fernab gelegenen Steglitz und nicht ein bekannter und repräsentativer Standort russischer Medien in Berlin Ziel eines Anschlags geworden sein soll. Häufiges Thema in deutschen Medien war zum Beispiel das russische Medienunternehmen RT Deutsch mit Büros im Stadtzentrum und Studios in Adlershof.
Das Grundstück in Steglitz macht von außen einen unscheinbaren, fast verlassenen Eindruck. Der Garten und das Haus wirken ungepflegt und leicht verwahrlost. Auf dem Dach zu erkennen ist eine kleine Satellitenantenne, wie für privaten Gebrauch üblich. Die Jalousien der vergitterten Fenster im Erdgeschoss sind heruntergelassen.
Der Briefkasten am Eingang des Gebäudes in Steglitz.
Am Briefkasten sind Schilder mit drei russischen Namen sowie Ria Novosti und MIA Rossiya Segodnya angebracht. Eines der Klingelschilder ist herausgebrochen, außerdem gibt es zwei mit russischen Namen und eines mit der Aufschrift "Ria Novosti". Eine Kamera und ein Kartenleser weisen darauf hin, dass es sich um ein offizielles Gebäude handeln könnte. Anwohner berichten, dass der Straßenabschnitt sehr ruhig sei und dort selten Autos parken. Von dem Vorfall am Freitag ist eine zerstörte Fensterscheibe in der Mitte des Obergeschosses geblieben.
Büro von "Sputnik"
Doch wem gehört der Gebäudekomplex? Im März berichteten Journalisten der Medienplattform "Business Insider" über einen Grundbucheintrag, wonach Besitzer die Russische Föderation sei, was die russische Botschaft in ihrer Mitteilung vom 7. Mai bestätigte. Auf Nachfrage konnte deren Pressesprecher allerdings nicht beantworten, welche Medien und Firmen dort ihre Büros haben: "Diese Frage liegt nicht im Kompetenzbereich der russischen Botschaft."
Wenn man nach der Adresse von "Ria Novosti" in Berlin sucht, findet sich die "Ria Novosti Deutschland GmbH". In deren Impressum steht allerdings eine Straße in Berlin Mitte und nicht in dem Außenbezirk. Die russische Botschaft gab in ihrem Verzeichnis russischer Medien in Deutschland keine Adressen an, spätestens seit Anfang April auch keine Namen von leitenden Mitarbeitenden mehr.
Wenn man nach der Straße in Steglitz sucht, taucht doch ein Impressum auf, und zwar jenes der Nachrichtenagentur und Radiostation "Sputnik" - einem Schwestermedium von "Ria Novosti", das zum gleichen russischen Unternehmen "Rossiya Segodnya" gehört.
"Sputnik", das zuletzt unter dem Namen SNA auftrat, darf allerdings ebenso wie RT seit Anfang März keine Informationen in der EU verbreiten. Grund ist eine Verordnung der EU-Kommission. RT und "Sputnik" würden "vom Kreml als wichtige Instrumente eingesetzt, um die Aggression gegen die Ukraine voranzubringen und zu unterstützen". Das Verbot hatte allerdings auch Kritik in Deutschland hervorgerufen.
Stimmungsmache gegen deutsche Medien
Der Ex-Büroleiter von "Sputnik" und nun Leiter von Rossiya Segodnya in Deutschland, Sergej Feoktistow, sagte in einem Interview mit RT DE, sein Unternehmen habe in dem Haus ein Büro. Es sei ein ähnliches staatliches Medium wie die Deutsche Welle. Außerdem wohnten in dem Haus Kollegen mit Familien. Er sprach davon, dass das Haus bei Explosion der "Brennbombe" vom Keller aus hätte abbrennen können.
RT DE nutzte den Vorfall in Steglitz ein weiteres Mal, um Stimmung gegen deutsche Medien zu machen und russische Medienschaffende als Opfer zu beschreiben: Es wurde behauptet, im Haus sei ein Sprengsatz gefunden worden. Auch war die Rede von einem lauten Knall vor dem Gebäude, von dem die Polizei nichts mitgeteilt hatte. Zugleich wurde beklagt, dass deutsche Medien kaum und gleichlautend über den Fall berichteten. Bemängelt wurde eine fehlende "emotionale Reaktion": Sogar in einer solch "beängstigenden Situation" werde von den russischen Kollegen als "Kreml-Propagandisten" geschrieben. Auch war von "extremer Feindseligkeit gegen Russen" die Rede. Die russische Regierung und das russische Volk sollten verunglimpft werden - eine Behauptung, die auch Präsident Wladimir Putin immer wieder als Rechtfertigung für die Aggression gegen die Ukraine nutzt.
Auch wenn RT und Sputnik in der EU für die Dauer des Krieges keine Informationen verbreiten dürfen, sind sie innerhalb Deutschlands weiter über verschiedene Webadressen und Internet-Plattformen auffindbar. Deren Mitarbeiter können weiterhin in Deutschland journalistisch arbeiten. Die Deutsche Welle wurde hingegen kurz vor Kriegsbeginn in Russland komplett verboten. Eine Berichterstattung kann nur noch von außerhalb erfolgen.
"Drohungen gegen JournalistInnen"
Die russische Botschaft schreibt in ihrer Mitteilung, "Daten und Fotos des Wohnortes russischer JournalistInnen und derer Familienangehörigen, die nach wie vor Drohungen erhalten, tauchen in einigen sozialen Medien auf und wurden in führenden deutschen Medien veröffentlicht."
Auf die Frage nach Belegen nannte ein Pressesprecher der Botschaft einen Facebook-Post von Anfang März, den alten Artikel von "Business Insider", daneben einen Artikel von "Bild" ebenfalls vom März über "Putins Agenten-Villa", die früher der Sowjetunion gehört habe. Genannt wird darüber hinaus eine Videoreportage des "Spiegel" ebenfalls vom März über "Die Welt der russischen Oligarchen". Gegen Ende des Beitrags wird von dem Haus berichtet, das von einer Spezialabteilung des Präsidenten (Putin) und von Sputnik genutzt werde.
Nach Angaben der Botschaft konnten die im Haus wohnenden Journalisten und ihre Angehörigen inzwischen zurück in ihre Wohnungen. Einige hätten aber das Angebot der Botschaft genutzt, auf das bewachte Gelände der diplomatischen Mission umzuziehen.
Spekulationen, Vorverurteilungen
Die Polizei gab an, dass noch unklar sei, ob es sich um einen Anschlag handelt. Der Hintergrund sei noch nicht bekannt, die Ermittlungen liefen. Der Staatsschutz werte umfangreiche Spuren und Beweismaterial aus. Zeugen würden vernommen.
In einem Tweet warnte die Berliner Polizei am 7. Mai, im Netz kursierten zu dem Vorfall bereits Spekulationen. "Bitte beteiligen Sie sich nicht daran." Und weiter: "Vorverurteilungen leisten jetzt nur einem Konflikt, Ausgrenzung und Hass Vorschub."
Der Verfassungsschutz hatte im Vorfeld der Veranstaltungen zum Tag der Befreiung am 8. Mai und des Sieges am 9. Mai vor Aktionen unter falscher Flagge gewarnt. Laut einem internen Bericht der Sicherheitsbehörden hätten Hinweise vorgelegen, dass Übergriffe auf prorussische Demonstranten inszeniert und anderen in die Schuhe geschoben werden könnten, wie der "Spiegel" schrieb. Der Pressesprecher der Berliner Staatsanwalt, Steltner, sagte auf die Frage, ob es sich auch um eine fingierte Aktion gehandelt haben könnte: "Wir ermitteln in alle Richtungen."